Irrenanstalt mit Aussicht

Zu Marion Poschmanns Roman „Die Sonnenposition“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist der Protagonist des Romans von Marion Poschmann wirklich in einer „Sonnenposition“? Und was ist das eigentlich, eine „Sonnenposition“? Zumindest eins ist klar: Am Anfang der Lektüre stehen Fragen. Auf den ersten hundert Seiten vermehren sich diese Fragen noch und der Leser fragt sich, wie es um den Protagonisten Altfried Janich bestellt ist, der als Arzt in einer offenen, in einem ehemaligen herrschaftlichen Schloss untergebrachten Anstalt für psychische Kranke als Arzt arbeitet. Es wird bald deutlich, dass hier das Verhältnis des Protagonisten zu seinem Aufenthaltsort verhandelt wird. Oder besser gesagt: Ist der Protagonist nicht eher Patient als Arzt?

Der untersetzte und vom Rhein stammende Altfried Janich arbeitet nach der Widervereinigung in einem heruntergekommenen Barockschloss, das als psychiatrische Anstalt genutzt wird. Hier möchte er den Patienten gegenüber die „Sonnenposition“ einnehmen, ihnen – wie die Sonne – Orientierung und Hilfe sein. Als sein Freund Odilio bei einem Autounfall zu Tode kommt, verliert Janich die Orientierung, die er selbst seinen Patienten bieten möchte. Ihn holt seine katastrophale Familiengeschichte ein, seine Selbstzweifel nehmen überhand und letztendlich wird der Ort, das Barockschloss, zur katastrophalen metaphorischen Lebens- beziehungsweise Todesperspektive des Protagonisten.

In diesem Spannungsfeld wird die Figur des Protagonisten in filigraner Sprache ausgeschmückt. Er pflegt eine seltsame Leidenschaft, die Jagd auf sogenannte „Erlkönige“. Als „Erlkönige“ bezeichnet man neue Automodelle, die von der Automobilindustrie zu Testzwecken meistens nachts auf geheime Testfahrten geschickt werden. Janichs Exkursionen zur Suche nach diesen Testfahrzeugen sind nahezu immer erfolglos, ebenso wie die nächtlichen Wanderungen durch das Schloss und die Reflexionen über alte Kühlschränke. Poschmann verhandelt die Irritationen des Protagonisten in einzelnen Kapiteln, demontiert die Hauptfigur und bindet sie gleichzeitig in ein sprachlich differenziertes Netz ein.

Die sezierende Beobachtung des Protagonisten durch Poschmann führt ebenso wie der analytisch scharfe Blick der Hauptfigur auf seinen Freund seltsamerweise zu einem verschwommenen und sich immer mehr auflösenden Bild der Charaktere. Und auch die historischen Reflexionen über die Geschichte des Schlosses halten den Verfall nicht auf. Einzigen Halt bieten die als Einschub in die Erzählung gegebenen „Patientengeschichten“, die in klarer und analytischer Sprache Fallbespielte aus dem psychiatrischen Alltag liefern. Sie sind auch die mit Abstand am unterhaltsamsten zu lesenden Textteile des Buches.

Auf sprachlich hohem Niveau und mit einer inspirierten Sprache, die nicht vor Wortneuschöpfungen wie „Tapeten eines Lebens“ und der „Schönheit des Staubs“ zurückschreckt, umkreist Poschmann ihren Protagonisten und seine Geschichte. Und wenn sie das Motiv des leuchtenden Fisches aufgreift, der wieder im Dunkeln verschwindet, beschreibt das nur einen der gelungenen metaphorischen Bögen des Buches. Und trotz dieser sprachlichen und auch formalen Schönheiten, den poetischen Bildern, „zerbröselt“ der Roman an manchen Stellen und führt den Leser in die Irre, bereitet über weite Strecken kein wirklich unterhaltsames Leseerlebnis. So ist dies einer der Fälle, wo ein sprachlich und formal beeindruckendes Buch, mit einer interessanten Geschichte, vielleicht nur etwas blassen Protagonisten, bei aller Virtuosität nicht die „Sonnenposition“ im Bücherschrank erreichen wird.

Titelbild

Marion Poschmann: Die Sonnenposition. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
338 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424018

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