Drei Marias auf der Suche nach dem Glück

Rachel de Queiroz’ lesenswerter Roman in neuer Auflage

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gebäude des Klosterinternats für Mädchen sind voller Statuen und Bilder der Jungfrau Maria, am Himmel leuchtet das Sternbild der „Drei Marias“ und auch die drei Mädchen, die im Internat Freundschaft schließen, heißen Maria: Maria Glória, Maria José und Maria Augusta, genannt Guta, die Erzählerin des Romans. Sie sind bald unzertrennlich und bekommen von ihrer Lehrerin ihren Spitznamen verpasst: Die drei Marias. Das könnte sich auch auf die Mutter Jesu und die beiden Jüngerinnen Maria Magdalena und Maria Kleophas beziehen, aber das Sternbild fasziniert die Freundinnen mehr. Sie ritzen es sich als Zeichen ihrer Verbundenheit und ihrer Hoffnungen in die Haut. Es steht für Liebe, Glück, Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben, wie es sich die Mädchen in der Eingeschlossenheit des Internats erträumen.

Diese Träume erweisen sich allerdings als kühn in einer Welt, in der Frauen im Wesentlichen drei Lebenswege offenstehen: Als Ehe- und Hausfrau, Nonne oder Prostituierte. Während Glória ihr Glück in der Ehe findet, schlagen sich die beiden anderen Mädchen mit schlechtbezahlten Jobs durch – Maria José als Lehrerin, Guta als Schreibkraft. Ihre Sehnsucht nach Liebe und Abenteuern erstickt die fromme Maria José in Gebeten. Guta dagegen erlebt nach mehreren Enttäuschungen das Glück einer Liebe, die jedoch durch äußere Umstände nicht von Dauer sein kann. Am Ende kehrt sie resigniert zu ihren Eltern in die ländliche Region des Sertão zurück. Aber die drei Marias am Himmel leuchten noch und mit ihnen die Hoffnung auf eine erfülltere Zukunft.

Rachel de Queiroz schildert in ihrem 1938 erschienenen, 1994 übersetzten und jetzt neu aufgelegten Roman eine beengte, triste Welt, ohne die lebensfrohe Exotik, die man so gerne klischeehaft mit Brasilien assoziiert. Obwohl Fortaleza, der an der Nordostküste Brasiliens gelegene hauptsächliche Schauplatz des Romans, schon zu dessen Entstehungszeit mit annähernd 200.000 Einwohnern (heute sind es 2,5 Millionen) keine kleine Stadt mehr war, wirkt es beinahe provinziell. Hier gibt es kaum Möglichkeiten zur Selbstentfaltung, weder für die drei Marias noch für die anderen jugendlichen Figuren, in deren episodisch eingestreuten Schicksalen sich die Suche der Protagonistinnen nach Freiheit und Glück spiegelt. Es ist kein Zufall, dass Guta ihre Liebe auf einer Reise nach Rio findet und ihr Geliebter als griechischer Jude buchstäblich aus einer anderen Welt stammt – in die er nach dem Erlöschen seiner Aufenthaltserlaubnis schließlich auch zurückkehren muss.

„Die drei Marias“ ist ein Roman der Hoffnungen und des zaghaften Aufbruchs, die jedoch höchstens im meist nur vorübergehenden Glück der Liebe ihre Erfüllung finden. Lesenswert ist er nicht zuletzt wegen der prägnanten und unprätentiösen Schilderungen der Lebenswege seiner Figuren und der vielen Reflexionen der nachdenklichen Erzählerin, deren teilweise fast existentialistischer Charakter an die französische Literatur der Zeit denken lässt. Bedauerlich ist allerdings, dass der Verlag dem Roman kein Nachwort beigegeben hat, das die historischen und sozialen Hintergründe des Geschehens und die Stellung der Autorin und ihres Buches in der brasilianischen Literatur für den deutschen Leser hätte erschließen können.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Rachel de Queiroz: Die drei Marias. Roman.
Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Ingrid Führer.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013.
170 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-13: 9783803127044

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