Nachrichten von der Filmcouch

Die neuere Filmpsychoanalyse hat sich professionalisiert

Von Andreas HamburgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hamburger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 2005  hat sich der Psychosozial-Verlag zu einem Zentrum der deutschsprachigen Filmpsychoanalyse entwickelt. Durch die Übernahme der renommierten, von Gerhard Schneider und Peter Bär herausgegebenen Reihe „Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie“ hat der Verlag die bisher 15 eigenen Titel um ein Flaggschiff von neun hochwertigen Themenbänden ergänzt.

Die Filmpsychoanalyse hatte einen weiten Weg. Aus ihren Anfängen in den 1950er- Jahren, oft idiosynkratischen Feierabendinterpretationen aus jener Motivationslage heraus, die Theodor W. Adorno die „Banausie feinsinniger Ärzte“ genannt hat, hat sie sich seit den Achtzigern professionalisiert. Die hier zu besprechenden Arbeiten spiegeln diese Entwicklung.

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Theo Piegler ist einer der filmpsychoanalytischen Autoren, die schon seit vielen Jahren ihre Kinobesuche verschriftlichen. Von ihm liegen vor „Mit Freud im Kino“ (2008) und „Ich sehe was was du nicht siehst“ (2010). Die Bände umfassen, wie auch der vorliegende, Arbeiten aus der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für integrative Psychoanalyse, Psychotherapie & Psychosomatik, die im Rahmen ihrer regelmäßigen Filmseminare entstanden sind – dies ist die mittlerweile typische Form, in der Psychoanalytiker sich auf das Kino einstellen. Waren die beiden ersten Bände nur durch die methodische Klammer verbunden, so wendet sich die Gruppe nun einem Thema zu, dem „Fremden“. Wie schon zuvor, ist auch in diesem Band die Einleitung des Herausgebers kurz. Sie informiert über den Gegenstand der Befassung, das Fremde, nicht aber über die filmpsychoanalytische Methode. Und auch das Fremde wird bei aller beiläufigen Erwähnung verschiedenster Positionen doch erstaunlich kursorisch behandelt, in Aussagen wie „Ohne das Fremde geht es im Leben nicht: Wir haben es mit einer Dialektik zu tun, die ein solches Ausmaß erreichen kann, dass es eines Titanen wie Atlas bedürfte, sie zu schultern. Der Frankfurter Psychoanalytiker S. Mentzos spricht in diesem Zusammenhang von der Bipolarität, die allem Leben innewohnt, von der Zelle bis zur Psyche…“. Mentzos als Atlas, alles Fremde auf zwei Schultern tragend – ein köstliches Bild, in dem der Geehrte sich aber wohl kaum wiederfinden dürfte. Und so geht es weiter durch die Theorien, Freuds Urvatermord wird mit der Ehe gleichgesetzt (‚Zerstörung‘ der vertrauten familären Situation“) und deren Neuigkeitswert mit jenem „Erschlaffen“, das nach Hermann Hesse allem Vertrauten drohe.

Solche begriffliche Springprozession einfach der von Adorno vermuteten Haltung psychoanalytischer Literaturinterpreten zuzuschlagen, griffe freilich zu kurz. Sie lässt sich als Versuch lesen, mit klinischem Blick, den leidenden und sich entwickelnden Menschen vor Augen, das Kunstwerk zu assimilieren, ihm etwas von der Erfahrung abzugewinnen, die eben der psychotherapeutische Praktiker im Kino macht. Man muss in die Lektüre der Beiträge gehen, um zu sehen, was dieser Blick erbringt.

Die ersten fünf Stücke stammen von Hannes König aus Klagenfurt. An Filmen wie „Der Exorzist“ (USA 1973) und „Matrix“ (USA 1999) entziffert er die im Film kryptisch inszenierte psychoanalytische Situation und bringt damit – implizit – eine an der Spectatorship orientierte Filmbetrachtung ins Spiel. Warum er dann die witzige Idee, die „Twilight“-Tetralogie (USA 2008 ff.) zum Objekt seines Analysebegehrens zu machen, so figurenpsychologisch verschenkt, bleibt ein Rätsel. Oder ist es Ironie, wenn er „Psychogramme“ von Filmfiguren erstellt, noch dazu auf Kohut basierend (wo doch Vampire bekanntlich von Spiegeln wenig haben)? Falls ja, so wird sie nicht aufgelöst, und der Autor beharrt darauf, allen Ernstes sich um die mangelnde „Reife“ der Protagonisten zu sorgen. So auch in seinem Beitrag „Das Bildnis des Dorian Gray“ (UK 2009), dem er, man ahnte es, Narzissmus attestiert. Wobei er immerhin zum Schluss noch die Kurve zum Zuschauer findet, wenn er das Doppelgängermotiv nicht nur im Film, sondern auch im analytischen Raum ansiedelt und so an sein Ausgangsmotiv, die Spiegelung des analytischen Betrachters im Film, wieder anknüpft. Narzissmus ist allerdings hier nicht nur eine Figurendiagnose, sondern ein Analysetool, das König an alle besprochenen Filme anlegt – und somit erweist sich die Kapitelfolge als eine in sich geschlossene Abhandlung. Diese intertextuelle Lektüre versöhnt mit den figurenpsychologischen Ansätzen im Inneren der Texte. Wenn er im letzten seiner Kapitel „Das geheime Fenster“ (USA 2004) mehrfach auf die vorherigen Analysen Bezug nimmt, so meinen wir eine übergreifende Theorie der narzisstischen Filmspiegelung zu erraten, ähnlich dem verschachtelten Plot des besprochenen Films. Es wäre aber erfreulich, wenn der Autor uns, statt uns raten zu lassen, direkt anspräche. Vielleicht aber macht es ihm mehr Spaß, uns nicht eine Analyse diskursiv vorzutragen, sondern uns spielerisch, durch ein geheimes Fenster in einen möglichen Denkraum blicken zu lassen.

Nun geht das Wort wieder an Piegler. Mit „Eyes Wide Shut“ (USA 1999) greift er auf Bewährtes zurück, und bezieht dabei vorliegende Interpretationen ein, wie etwas Loewenbergs These von der latenten Homosexualität, verortet diese aber naiv bei den Autoren („wie Kubrick zur Homosexualität stand, ist mir nicht bekannt“). Wesentlich tiefer wird psychoanalytisch danach nicht mehr geschürft, erst recht nicht nach Kubricks eigenem Ansatz gegenüber der Schnitzler`schen Vorlage.

Danach behandelt Piegler in schneller Folge weitere Klassiker, allesamt in figurenpsychologischer Perspektive; lediglich in „Casablanca“wird abschießend eine Zuschauerreaktion erwähnt, nämlich die Erleichterung darüber, dass durch die Aussicht auf eine „beautiful friendship“ die bedrohlichen Inzestwünsche gebannt seien (so nämlich deutet Piegler Ilsas unbewusstes Begehren gegenüber der Vaterfigur Laszlo).

In „Three Seasons“ von Tony Bui (USA/VIE 1999) erschließt Piegler den kriegstraumatischen Hintergrund des Melodrams (ohne die dazu bereits reichlich vorhandene Literatur zu rezipieren) unter anderem aus der verschachtelten Erzählweise der drei Parallelhandlungen. Ob man sich der Deutung, der Filmschnitt indiziere die Fragmentierung des posttraumatisch deformierten öffentlichen Bewusstseins, „die Bui zu kaschieren versucht“), anschließen mag, kann dahingestellt bleiben – immerhin ist zu vermerken, dass hier ein filmstilistisches Mittel zur Interpretation herangezogen wird.

Piegler apostrophiert „Gran Torino“ von und mit Clint Eastwood (USA/D/AU 2008) als „Deutung seiner selbst“ und kündigt an, lediglich „Beobachtbares mit psychoanalytischer Terminologie zu benennen“. Dann aber wird doch weiter ausgeholt: Die Position des Gekreuzigten, in der der tote Walt Kowalski (Clint Eastwood) schließlich dem Recht zur Geltung verhilft, gemahnt ihn an Freuds Vatermord-These aus „Totem und Tabu“ und veranlasst einen (etwas unentschiedenen) Exkurs zu Girards Opfertheorie. Dem folgt dann als „psychoanalytische Perspektive“ ein Psychogramm des Protagonisten. Wie der Film mit der Psyche des Zuschauers verfährt, darüber erfahren wir wenig. Lediglich eine „unanalytische Nachbemerkung“ verweist auf den Verfall des Filmschauplatzes Detroit. Genau diese im Film mit Bedacht gewählte location käme im Zentrum einer  rezeptionsorientierten Filmpsychoanalyse zu stehen, ebenso wie die Christusfigur.

Wenig besser ergeht es Feo Aladags Film „Die Fremde“ (D 2010). Das preisgekrönte Drama um einen versuchten Ehrenmord, dem versehentlich ein Kind zum Opfer fällt, wird von Piegler (mit erstaunlichen Parallelen zu Wikipedia) referiert und schließlich gedeutet: und zwar unter Rückgriff auf das persische ‚Buch der Könige‘ als Kastrations- und Vernichtungstragödie. Wir erfahren, dass in allen patriarchalen islamischen Gesellschaften der Vater zur Kastrationsabwehr stark und mächtig sein müsse und anderes mehr über die islamische Welt, etwa die „sprichwörtliche orientalische Eifersucht“; und wir werden ausführlich vertraut gemacht mit der persischen Fassung von „Leila und Madschnun“, um islamische Ehrbegriffe und Schamaffekte zu verdeutlichen. Dabei belässt es der Interpret. Dass dies ein deutscher Film einer österreichischen Regisseurin über ein deutsch-türkisches Sujet ist, gerichtet vorwiegend an ein deutsches Publikum, dessen Reaktionen darauf mit Gewinn erkundbar wären, bleibt aus dem panislamisch vereinheitlichenden Blick.

Der Reigen der Interpretationen wird beschlossen durch eine Arbeit der Gestalttherapeutin Gabriele Ramin über „Benjamin Button“ (USA 2008). Der durch das Thema der rückwärts laufenden Lebensuhr des Protagonisten filmisch interessante Stoff wird auch hier einer strikt psychopathografischen Musterung unterzogen. Es geht um „Reifungsschritte“ und „Entwicklungshürden“, „Initiation und Schwellensituationen“ und eine „existenzielle Psychodynamik“. Dass dies ein Film ist, ein Kunstwerk, und keine Vorlesung zur Krankheitslehre, wird wenig erfahrbar (leider schöpft ja auch der Film selbst die Möglichkeiten, die das Thema der rückläufigen Zeit geboten hätte, im Gegensatz etwa zu Christopher Nolans „Memento“nicht aus). Auch das Thema des Kairos, das Ramin im Gegensatz zum chronologischen Zeitverlauf in den Vordergrund stellt, wird vorwiegend im Sinne einer reifungsorientierten Individuationspsychologie gelesen, statt in Bezug auf die präsente Kinoerfahrung.

Zusammenfasend ist zu diesem Buch zu sagen: Das „Fremde“, das uns der Titel verspricht, wird nicht verhandelt, es bildet allenfalls eine lose Klammer um heterogene Beiträge zu einer sich als psychoanalytisch verstehenden Filmbetrachtung, von denen die des jüngsten Autors, Hannes König, sicherlich die vielversprechendsten sind. In allen jedoch ist ein stringenter methodischer Ausweis des psychoanalytischen Anspruchs zu vermissen.

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Ein anderes Kaliber ist da der von Alf Gerlach und Christine Popp herausgegebene Band. Schon die Einleitung benennt das Problem und umreißt das Verfahren: Filme sind Kunstwerke, die Analyse muss ihre formalen Eigenschaften beachten und kann weder der Person des Regisseurs noch der ‚Person‘ der Figuren habhaft werden. Wiewohl unterschiedlichen Zugängen verpflichtet, wie sie in der Geschichte der Filmpsychoanalyse vertreten wurden, haben sich die Mitglieder des saarländischen Instituts für Psychoanalyse, deren Beiträge zu einer lokalen Filmreihe in diesem Band versammelt sind, doch diesem methodischen Anspruch, jedenfalls teilweise, nicht entzogen. Vorbildlich umgesetzt ist er in Gerlachs eigenen Beiträgen, etwa zu „Spellbound“ (USA 1945). Hier wird der Filmwirkung auf den Betrachter nachgegangen, nicht den Absichten eines „fiktiven Regisseurs“. Sie wird – mit einem Verweis auf Ralf Zwiebel (2007) – entziffert als menschliches Dilemma zwischen Angstlust und Katharsis, und zu fragen bliebe lediglich, ob dieses Dilemma nicht doch auch etwas mit dem aktuellen Gesellschaftszustand der frühen Vierziger zu tun hatte. – Auch in seiner Analyse von Cronenbergs „Spider“ (CDN 2002) hält Gerlach seinen methodischen Standard. Zwar ist auch hier, wie in „Spellbound“,  psychische Krankheit das Sujet, und Psychoanalytiker sind dann besonders verführt, am Deutungswettbewerb teilzunehmen. Doch bleibt Gerlach am Film, und dessen Absicht ist eben nicht die Illustration von Krankheit, sondern das Kino-Experiment der Dekonstruktion von Wirklichkeit. Selbst wenn passagenweise aus der Perspektive des Protagonisten argumentiert wird, bleibt doch deutlich: Es ist des Zuschauers Urszenenfantasie, die Überwältigung durch die Wahrnehmung der Sexualität der Mutter, die der Filmwirkung dynamisch zugrundliegt und ihn mit dem Protagonisten identifiziert.

Eingeleitet wird der Band von einem umfangreichen Seminarbericht: David Finchers „Seven“ (USA 1995) wurde über zwei Semester immer wieder gesichtet und die Zuschauerreaktionen psychoanalytisch diskutiert. Das Ergebnis ist interessant: Ordentlich wird der Film zunächst als Oberfläche beschrieben (und nicht gleich in einen Plot zurückverwandelt) und daran anschließend die Reaktionen des Publikums registriert. Dann freilich wird das gewonnene Material für die Erschließung einer „Psychodynamik des Täters“ genutzt, eine methodisch nicht ganz unproblematische Angelegenheit (ist doch der Täter eine Filmfigur, und die haben keine Psyche). Im Schlusskapitel wird diesem Problem Rechnung getragen, indem alle dargelegten ‚Psychodynamiken‘ zurück auf den Zuschauer gewendet werden. Die These lautet, dass „Seven“ auf einer fantasmatischen Ebene die ödipale Vaterverstrickung thematisiert, mit einer Aufspaltung der Vaterfigur in einem „apollinischen, symbolischen Vater“ (Somerset) und einen „dionysischen […] triebhaft genießenden Vater“ (Doe).

Freilich sehen wir den Respekt vor paradigmatischen Differenz zwischen artifiziellen Filmgestalten und leibhaftigen Kinobesuchern, von denen nur letztere Objekt psychoanalytischer Aufdeckungsarbeit sein können, weil nur sie in Unbewusstes haben, nicht in allen Beiträgen des Bandes gleich deutlich verwirklicht.

Wenn Ute Fissabre sich Lars von Triers „Breaking the Waves“ (DK 1996) widmet, liegt dieser Anspruch mit der traditionellen, pathologieorientierten psychoanalytischen Lektüre im Widerstreit. Auch hier wird zunächst der Film paraphrasiert, jedoch ganz am Plot orientiert. Dann folgt, statt auf die immerhin erwähnte gespaltene Reaktion der Kritik (und damit auf etwas wie Spectatorship) einzugehen, eine psychoanalytische Rekonstruktion von Entwicklungsprozessen der Protagonisten unter dem Schlüsselkonzept des guten inneren Objekts. Rekonstruiert wird Bess‘ Übergang von der paranoid-schizoiden zu depressiven Position im Sinne von Melanie Klein. Unklar bleibt –  und das ist bei einem so formversessenen Regisseur wie Lars von Trier besonders misslich – mit welchen filmischen Mitteln die christliche Passion persifliert wird: Wie die Heldin ihre sexuelle Liebeswahl (die Entscheidung für den Fremden von der Bohrinsel) nach dessen Kastration in eine Reihe von sexuellen Sühnehandlungen verwandelt, bis hin zum Sühnetod als sexuelle Selbstaufopferung. Diese Verwandlung in die Psyche einer einzelnen Figur zu packen überzeugt nicht – und so ist es vom Film auch nicht gemeint. Erst aus der Kulturperspektive, der Film also als Verhandlung von zwar im einzelnen Zuschauer wirksamen, in der Summe aber „gesellschaftlich notwendigen“ Projektionen verstanden, ergibt Triers weibliche Passionsgeschichte einen Sinn. Und dann erst erschließt sich auch, warum er diese und keine andere Filmsprache wählt; Psychologie jedenfalls will er gerade nicht machen. Schade, dass die Autorin ihre durchaus fundierte kleinianische Fantasie nicht zurück in die Gesellschaft vermittelt, wo wir Zuschauer leben.

Einen aufregenden, zu Recht noch heute als Psychoklassiker geltenden Film von Nanni Moretti analysiert Christine Pop: „Das Zimmer meines Sohnes“ (I 2001) –zudem ein Film, in dem die Psychoanalyse selbst porträtiert wird, gebrochen über eine Familienkatastrophe, den plötzlichen Tod des Sohnes. An diesem Tod entfaltet Moretti eine emotionale Rekonstruktion des Vater-Sohn-Konflikts und der Verständnisbarriere, die ihn charakterisiert. Wir erleben schließlich wie der Vater an einer Stellvertreterfigur seine von der Autorin als latent symbiotisch-homosexuell verstandene Bindung an den Sohn aufgeben und ihn symbolisch freilassen kann. Freilich geht die Analyse nicht über dieses Entwicklungsdrama der Protagonisten hinaus, der Schlusssatz des Artikels hält als Fazit lediglich fest: „Die Zukunft liegt auch in der Fähigkeit abzuschließen! Denn ‚Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere‘“. Ob dieses figurale Psychogramm die intensive Filmwirkung von „Das Zimmer meines Sohnes“ aufklären hilft?

Weitere Beiträge von Christine Pop belegen den Eindruck, dass sie ihren psychoanalytischen Ansatz als Aufklärung von Backstories versteht: In der Untersuchung von „½ Miete“ (D 2002), wird das formale Anliegen des Regisseurs Marc Ottiker verkannt und nur auf den Entwicklungsroman abgehoben, der für Ottiker ja nur die Projektionsfläche seiner eigentlichen Filmidee war; „Up in the Air“ (USA 2009), tiefenpsychologisiert die bitterböse Vielflieger-Satire und glaubt den MacGuffins so unmittelbar, dass uns der Hinweis nicht erspart wird, American Airlines biete den 10-Millionen-Meilen-Executive-Status „nachweislich“ gar nicht an – für die Nichtexistenz von Lummerland steht dieser Nachweis noch aus – und die zusammen mit Hanni Scheid-Gerlach verfasste Abhandlung über „Yella“ (D 2007) misshandelt den deutschen Arthouseregisseur Christian Petzold erheblich, dessen meisterhafte Bilderzählung nur als Vorlage für Psychoanalysmen dient, wie „Yella hat bereits früher einen Verlust des mütterlichen Objekts erlitten, sodass sie diese Wünsche auf den Vater übertragen hat“, gefolgt von einer kaum strukturierten Aufzählung von Bildsignalen und deren vordergründig-symbolischer Deutung. Dieser Beitrag hätte von einem Lektorat profitiert.

Wenden wir uns dem nächsten Autor zu: In Ludwig Janus‘ Analyse von „Der Himmel über Berlin“ (D 1987) dürfen wir hoffen, dass etwas mehr auf Gesellschaftsbezug und Kunstcharakter eingegangen werden wird, apostrophiert der Autor den Film doch schon im ersten Satz als „Dokument der seelischen Verarbeitung der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs“ und als „Filmgedicht“, und geht von Anfang an auf die filmischen Stilmittel ein. Seine psychoanalytische Hypothese ist, dass Wim Wenders im Gefolge der 68er- Bewegung den „Glauben an die Kraft der Liebe“ und „einfühlende Männlichkeit“ als Überwindung der Gewaltkatastrophe des Krieges und ihrer psychohistorischen Folgen inszeniert. Diese Narbe, symbolisiert durch die Berliner Mauer, wird eben von „Himmel über Berlin“ und die aus ihm herabsteigenden Engelfiguren überwölbt und versöhnt. Dramatisiert wird diese Versöhnungsreise durch den Wunsch eines der Engel (Bruno Ganz), sich zu verlieben und ein – wenn auch schüchterner – Mensch zu werden. Ob es wirklich notwendig ist, dies als Selbstporträt von Wim Wenders zu outen, sei dahingestellt. Wenn Wenders persönliche psychoanalytische Deutungen wollte, könnte er sie sich einfacher besorgen. Ob es weiter notwendig war, Janus‘ Leibthema, die Pränatalpsychologie, mit einzubauen („Die beiden Engel […] leben noch in der Zeitlosigkeit des Ungeborenseins“)? Janus‘ zentrale These, dass es um beziehungsfähige Männlichkeit im Nachkriegsdeutschland gehe, kann auch aus einer zuschauerorientierten filmpsychoanalytischen Sicht zugestimmt werden, ohne fötales Paradies, welches als Rezeptionsfantasma den Film eher glättet. Und bei einem so körnigen Film käme eine am Ende weniger glatte Lesart vielleicht dem Werk etwas näher (etwa erwähnend, dass das Verleugnen im mental gelähmten Deutschland nach 1945 nicht nur einem „Krieg“ galt).

Ein ähnliche psycho(prä)historische Fragestellung legt Janus in seinem zweiten Beitrag an. „The Matrix“ (USA 1999) wird zunächst seiner eigentlichen Thematik, der Virtualität, entkleidet. „Das Überwiegen computerbezogener Inszenierungselemente im Film lenkt davon ab, dass es letztlich doch um Fragen der persönlichen Individuation […] geht“ meint Janus, deutet diese jedoch hinsichtlich der „psychohistorischen Stellung des Films“, was immerhin  eine Kunstperspektive eröffnet. Freilich will er auch hier diese Perspektive auf sein Pränatalthema beziehen. Kino ist ihm zwar Institution einer Gesellschaft, in der „archaische Urkonflikte, die nicht mehr im projektiven Raum der Kirche entsorgt werden können, unter anderen im Medium moderner Filme reflektiert“ werden – doch identifiziert er diese modernen Konflikte beharrlich als „Erlebniswirksamkeit von vorgeburtlichen und geburtlichen Erfahrungen“. Dass er sich hierbei auf Peter Sloterdijks Blasen-Buch (1999) berufen kann, macht die Sache nicht klarer.

Hervorzuheben sind originelle Beiträge, wie der von Rainer Krause über „Jeremiah Johnson“ (USA 1972). Krause verrät nicht nur intime Kenntnis der Westerngeschichte und der Schusswaffentechnik, sondern vor allem: Er interpretiert den Film aus einer markierten Zuschauerperspektive, als kulturelles Signal. Und in dieser selbstverständlich nicht bei der Psychoanalyse von Filmhelden sich aufhaltenden, sondern durch deren zur Schau gestellte, klischierte  Pathologie hindurch auf den eigentlichen Adressaten der Kunst, die Gesellschaft zielend, wird zum ersten Mal auch Kritik einem Werk gegenüber artikuliert. Er liest die „Idealisierung des Killers“ als Schöpfungsmythos der USA, und zwar als Abwehrmythos. Das „ewige ‚Go West‘“ erscheint  als „Abwehr des Verlustes und der Trauer durch eine Art manischer Vorwärtsbewegung, in der das Gelobte Land immer weiter vor sich hin projiziert wird“.

Ebenso deutlich gesellschaftsbezogen, und auch hier an einem Kulturkonflikt verdeutlicht, liest sich Kizil Tekdemirs Artikel zu Fatih Akins „Gegen die Wand“ (D, TRK 2004). Bedeutsam, dass er schon zum Auftakt das eigene Interesse benennt, das ihn zu dem Film hingezogen hat – das birgt das Zeug zu einem methodisch psychoanalytischen anstelle eines pathografischen Ansatzes in sich. Systematisch ausgehend von seiner Kinoerfahrung untersucht Tekdemir dann die fünfaktige formale Struktur, bleibt dabei nah an den Bildern, von denen aus er den Plot einfühlsam nacherzählt. Zwanglos ergibt sich aus dieser Lektüre das Fazit, nach dem es dem Film um die Erfahrung von Identität und die darin eingewobene Schuldthematik im Raum zwischen den Kulturen gehe, deutlich erfahrbar am Thema der Migrantenkinder. So einfach, klar und unprätentiös also kann man Psychoanalyse von Filmen machen – wenn man als Zuschauer darin vorkommt.

Originell ist auch Ditmar Seels Beitrag über „Orlacs Hände“ (A 1924), vor allem wegen des selten besprochenen, aber wichtigen Stummfilms. Der Autor liest den Film als Traumsimulation, beeinflusst von der zeitgenössischen psychoanalytischen Symboltheorie. Wenn auch nicht ausdrücklich vermerkt wird, dass es sich dabei um den (artifiziellen) Traum des Zuschauers handeln muss, sondern figurenpsychologisch der Protagonist substituiert wird, so bleiben die Filmfiguren doch als didaktische Inszenierungen erkennbar.

Fazit: Der problembewusst von Alf Gerlach eingeleitete Band enthält eine Reihe von sorgfältigen Filmanalysen, von denen einige den methodischen Zugang einer Angewandten Psychoanalyse veranschaulichen – leider jedoch auch einige Beispiele, die scheinbar feststehende psychoanalytische Einsichten über Seelenverhältnisse an Filmfiguren verdeutlichen wollen, als hätten diese keinen anderen Sinn, als ihre Backstories den filmbegeisterten Psychoanalytikern zur (unsystematischen) Deutung herüberzureichen. Nur gelegentlich werden in den abgedruckten Filmbesprechungen einschlägige kulturwissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Kenntnis genommen – was an sich selbstverständlich wäre, im Bereich der psychoanalytischen Filminterpretation jedoch bedrückend selten ist. Der Band spiegelt die Bemühung einer aktiven, methodisch aber heterogenen Arbeitsgruppe, sich dem gemeinsamen Liebesobjekt Film psychoanalytisch zu nähern.

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Nach den bisher besprochenen Arbeiten zur Filmpsychoanalyse hat der Psychosozial-Verlag seinen verlegerischen Mut so weit gesteigert, eine Dissertation herauszubringen, zweifellos bewogen durch die Qualität derselben. Im Gegensatz zu den oben besprochenen Büchern ist dies keine psychoanalytische Untersuchung, sondern eine soziologische, die die Profession der Psychotherapie beziehungsweise Psychoanalyse, genauer ihre filmische Darstellung zum Gegenstand nimmt.  Auch dies ist ein bereits begonnener Weg: ältere Standardwerke (Irving Schneider 1985, Glen und Krin Gabbard 1987) haben den Grundstein gelegt, indem sie als gängige Analytikerfiguren im Spielfilm den trotteligen „Dr. Dippy“, den väterlichen „Dr. Wonderful“ und den dämonischen „Dr. Evil“ ausmachten, mit weiteren Varianten wie „the Alienist, the Quack, and the Oracle“. Filmklischees, die ganz unabhängig von der realen psychoanalytischen Praxis die Jahrzehnte auf der Leinwand überdauerten, mit zyklisch wechselnder Konjunktur, und nur sehr langsam professionellere Züge annahmen. Wohlrab (2005) – ebenfalls bei Psychosozial erschienen – sieht in dieser Typisierung eine Auswirkung der Scham und Idealisierung, die mit dem Beruf des Psychoanalytikers verbunden ist.

Nun dürfen wir auf die eigene Studie von Sylvia Herb gespannt sein. Wir werden belohnt durch den weiten, soziologischen Blick der Autorin, die, gelassen gegenüber den verzerrten Darstellungen der analytischen Profession, konstatiert, dass etwa der dämonische Analytiker dem übergreifenden, von der filmsoziologischen PUS (‚Public Understanding of Science‘)-Forschung  beschriebene  „mad scientist“-Typ zuzuordnen ist und dass die zunehmende Erotisierung der analytischen Beziehung seit den achtziger Jahren ebenfalls einem allgemeinen Trend entspricht. Die empirische Untersuchung erfolgt durch eine tiefenhermeneutische Analyse von US-Mainstreamfilmen aus den Jahren 1980 bis 2005. Im ersten Schritt werden bildanalytisch die Erkennungsmarker des Psychoanalytiker-Genres herausgearbeitet, zunächst (eine hübsche Idee) anhand von Psycho-Cartoons (mit dem über 50 Jahre stabilen Ergebnis: Psychoanalytiker sind männlich und Brillenträger, haben Couch, Notizblock und Bart), anschließend in systematischer Bildanalyse erarbeitet an Stills aus drei Filmen aus den Achtzigern: „Dressed to Kill“, „Ordinary People“ und „Zelig“. Die weiteren Untersuchungsschritte werden an textbasierten Szenenanalysen durchgeführt: So etwa zur Modellierung des Expertenstatus; hier werden der allmächtige Analytiker in „Nuts“ (USA 1987) und der ohnmächtige in „Analyze This“ (USA 1999) kontrastiert.

Professionssoziologisch zeigt sich daran die Hinterfragung des  Leistungsrollenträgers im Gesundheitssystem, der „Aufstand des Publikums“ (Gerhards). Aufstand des Publikums? Dem Leser erschließt sich diese Formel erst nach einer kurzen Pause, in der er gewissermaßen einen anderen Film einlegen muss: Denn in der Luhmann`schen Terminologie ist damit nicht das Kino-, sondern die systemtheoretisch „Publikum“ genannte Nutzergruppe gemeint, hier also die Patienten. Die Schaltpause freilich kann genutzt werden um die Frage zu entwickeln, ob sich hier nicht eine gewisse Unschärfe des Ansatzes bemerkbar macht. Denn die Verwirrung ist nicht nur transdisziplinär. Auch im soziologischen Denkraum selbst indiziert die Homophonie den Spagat der Untersuchung zwischen Professions- und Mediensoziologie. Methodisch werden zwei Publika ineins gesetzt, die doch allenfalls eine Schnittmenge gemeinsam haben: Mediensoziologisch wäre das Systempublikum des Films eben doch nicht die Gruppe der Patienten, sondern der Kinobetrachter; deren Reaktion auf Filmfiguren im Kino unterschieden ist davon, was im Bereich realer seelischer Krankheit und Heilung verhandelt wird.

Zwar sind Gesundheits- und Mediensystem voneinander nicht unabhängig; Leiden ist nicht nur individuell, sondern folgt sozialen Klischees, und insofern stehen  gefilmtes Leid und inszenierte Heiler auch bisweilen symptomatisch dafür, wie Menschen ihr Kranksein erleben. Umgekehrt sind auch mediale Inszenierungen nicht realisierbar ohne bei realen Zuschauern reale Reaktionen auszulösen – und diese Zuschauer sind gelegentlich vielleicht auch Patienten. Und doch sind die beiden Sphären alles andere als deckungsgleich. Ganz abgesehen davon, dass (jedenfalls aus Sicht der Filmpsychoanalyse, aus der ich hier schreibe) im soziologischen Kondensat erhebliche Anteile der Sache selbst ausgedampft sind (und sein müssen). Der Soziologin, sei es der Medien- oder (wie hier) der Professionssoziologin, werden reale Zuschauer zu paradigmatischen Akteuren, reale Filme vom Kunstwerk zum sozialen Symptom. Wollte man das beklagen, so müsste man erneut die Abstraktheit des systemtheoretischen Ansatzes anprangern; das ist aber hinlänglich bekannt.

Erwähnt werden darf aber aus der Sicht des „Publikums“ professionssoziologischer Leistungsangebote (nämlich der Leser), das dieses nicht immer amused ist, wenn ihm Erkenntnis angeboten wird, die bruchlos aus der medialen Inszenierung der Profession schöpft. Man möchte dann vielleicht doch härtere Daten. Vielleicht sind die Psychoanalytiker, über die hier aufgrund der Analyse von Filmexemplaren gesprochen wird, draußen im Feld doch etwas anderes als „Dr. Dippy“, „Dr. Wonderful“ und „Dr. Evil“? Und das Systempublikum der mediensoziologischen Leistungsangebote (also wiederum die Leser)? Meutert es, wenn die Analyse dieser Professions-Inszenierung deren Kunstcharakter beiseite setzen muss, weil sie ja soziologische Interessen verfolgt? Fordert sie von den Soziologen, mehr über das Eigene der Kunst wissen zu wollen als über das Symptomatische? Leider zu wenig.

Soweit der allgemeine Einwand gegen den Ansatz; der Autorin freilich ist zugutezuhalten, dass sie sich dieser Reduktionismen durchaus bewusst ist und auch die Unzufriedenheit ihrer Publika referiert. Sie hat nicht vor, die Grenzen ihrer Profession in Frage zu stellen; sie macht einfach saubere Arbeit. In ihren Detailanalysen behandelt Sylvia Herb professionssoziologisch relevante Fragestellungen der sozialen Differenz oder Ähnlichkeit zwischen Analytiker und Patient (anhand von „House of  Games“ (USA 1987) – als Exempel der Lebensferne – und „Prime“ (USA 2005) als Beispiel für lebensweltliche Verflechtung) sowie der Nähe und Distanz (anhand von „Final Analysis“, USA 1992 und „What about Bob?“, USA 1991). Aufschlussreich und flüssig zu lesen sind all diese Detailanalysen, und insofern hat der Psychosozial- Verlag das Risiko, eine Dissertation zu veröffentlichen, wohl nach aufmerksamer Lektüre und völlig zu Recht auf sich genommen. Dem Buch sind viele Leser zu wünschen, die das Verhältnis Psychoanalyse und Kino einmal anders betrachten wollen: wie jene bei diesem in (soziologische) Analyse geht, das ist gerade wegen des nüchtern-beschreibenden Blicks allemal eine Lektüre wert.

Titelbild

Theo Piegler: Das Fremde im Film. Psychoanalytische Filminterpretationen.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2012.
200 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783837922165

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Titelbild

Alf Gerlach / Christine Pop (Hg.): Filmräume - Leinwandträume. Psychoanalytische Filminterpretationen.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2012.
213 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783837922066

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Titelbild

Silvia Herb: Psychoanalytiker im Spielfilm. Mediale Darstellungen einer Profession.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2012.
346 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-13: 9783837921731

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