Ein Ausflug in das ferne Brasilien

João Guimarães Rosas Roman „Miguilim“ erzählt vom Kindsein, von großer Armut und von Brasilien

Von Eleonore AsmuthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eleonore Asmuth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Miguilim, der Titelheld der Geschichte, ist ein achtjähriger Junge und wächst in Mutúm auf, einem Ort irgendwo in den Weiten Brasiliens. Zusammen mit seinen Eltern, Geschwistern, Großmama Izidra, einigen Helfern sowie vielen Tieren, erfährt der Junge dort das Landleben in den brasilianischen Campos Gerais, einer vornehmlich agrarisch geprägten Region. Mit seinem eindrücklichen, einfachen und präzisen Schreibstil entführt Guimarães Rosa den Leser mit seinem Roman in eine kindliche Welt, die von Armut, Gewalt und Krankheit beherrscht wird und in der der Glaube an Gott und den Teufel die Prämisse jeglichen Handels darstellt.

Miguilim ist ein höchst sensibler und zugleich intelligenter Junge; die Ausflüge in seine Gedankenwelt weisen oft melancholische oder gar depressive Züge auf und stehen damit sinnbildlich für das Elend sowie die Hoffnungslosigkeit der einfachen Bevölkerung von Mutúm. So beschreibt der Autor, der zu den einflussreichsten Schriftstellern Brasiliens zählt, aus der Perspektive dieses Kindes die Rivalität zwischen dem Vater und Onkel Terêz, der durch die Zuneigung zur Mutter die Stellung des Vaters als Mann im Haus bedroht. Er skizziert die Sehnsucht der Protagonisten nach dem Meer und einem besseren Leben. Miguilim ist dabei ein einfühlsamer Beobachter, der die zerstörerische Kraft des Alkoholismus, die schwankenden Stimmungen der Erwachsenen und die oftmals komplizierten Beziehungen innerhalb dieser Welt der Großen erkennt und gemäß seiner Vorstellungskraft bewertet.

Doch auch in dieser, auf den Leser oft beklemmend wirkenden Szenerie, öffnet sich ein Raum für das Kindsein. Zusammen mit Dito, Miguilims liebstem Bruder – „der Beste, den es gab“ – flüchtet der kleine Protagonist von Zeit zu Zeit in eine Traumwelt, in der gespielt und gelacht wird und in der es Hoffnung gibt. Überhaupt scheint die Figur des Dito als Gegenstück zur Tristesse von Mutúm konstruiert worden zu sein. Gemäß seinem Lebensmotto: „Man muß immer fröhlich sein können, immer fröhlicher, hier drinnen!“, schafft er es, den Bruder hin und wieder aus seiner Lethargie zu befreien. Erst als der Tod Einlass in Miguilims Welt findet, muss der Junge endgültig erwachsen werden.

João Guimarães Rosa gelingt mit dem Roman, der 1965 unter dem Titel „Campo Geral“ erstmals erschien, ein eindringliches Porträt der brasilianischen Landbevölkerung. Durch die Einfachheit der Sprache, die der eines Kindes nachempfunden ist, folgt der Leser den Ereignissen im Ort und innerhalb der Familie mit den Augen des Jungen. Miguilims Gedankensprünge, die den Erzählfluss hin und wieder erschweren, wirken dabei umso authentischer. Die kindliche Erzählweise kontrastiert dabei oftmals mit den brutalen Vorkommnissen, die beschrieben werden.

„Miguilim“ ist der erste Teil des Romanzyklus „Corps de ballet“ (in der Originalausgabe „Corpo de Baile“) und noch heute einer der meistgelesenen Romane Brasiliens. Passend zur Frankfurter Buchmesse 2013, auf der sich Brasilien als Ehrengast präsentieren wird, erscheint im Verlag Klaus Wagenbach – in der Reihe „Brasilien bei Wagenbach“ – derzeit eine Auswahl brasilianische Literaturklassiker, so auch „Miguilim“.

João Guimarães Rosa schafft es in seinem Roman durch die Augen Miguilims das ferne Land Brasilien ein Stück greifbarer und näher werden zu lassen – ein guter Grund, um sich in diesem Leseherbst auf diesen berühmten brasilianischen Romancier einzulassen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Joao Guimaraes Rosa: Miguilim.
Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Curt Meyer-Clason.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013.
140 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783803127051

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