Die Liebe in den Zeiten der Briefzensur

Ronaldo Wrobels „Hannahs Briefe“ ist kein sehr glaubwürdiger, aber ein spannender Roman

Von Regina RoßbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Regina Roßbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman „Hannahs Briefe“ versetzt den Leser in die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, während derer Brasilien von Getúlio Vargas quasi-diktatorisch geführt wird und von Spionage, Waffenhandel und politischen Gruppierungen im Untergrund geprägt ist. Zumindest sind dies die Aspekte, aus denen sich am besten eine spannende Romanhandlung voller Verwicklungen, Entdeckungen und Sensationen zusammenstellen lässt. In dieser Hinsicht hat Ronaldo Wrobel keineswegs gegeizt.

Seine Hauptfigur Max Kutner ist jüdischer Emigrant aus Polen und möchte – möglichst unbehelligt von politischen Fragen, religiösen Verpflichtungen und emotionalen Beziehungen – nur in Ruhe seiner Tätigkeit als Schuhmacher nachgehen: „Für den Großvater erklärte sich der Beruf aus dem Los der Familie als ewig umherirrender Juden: Gute Schuhe bezwangen Kälte und Entfernungen.“. Er bleibt vom Leben jedoch nicht lange verschont. Eines Tages erhält er den polizeilichen Auftrag, Briefe aus dem Hebräischen ins Portugiesische zu übersetzen und dabei regierungsfeindliche – vor allem kommunistische – Machenschaften aufzudecken.

Der nächste Handlungsschritt erfolgt etwas zu plötzlich und gerät wenig nachvollziehbar: Max verliebt sich in die Verfasserin einiger der Briefe, die er übersetzt. Hannah, so ihr Name, pflegt regen Kontakt zu ihrer Schwester Guita. Eigentlich besteht der Austausch nur aus süßlichen Lobeshymnen und Komplimenten für die jeweils andere. Was Hannah für Max so faszinierend werden lässt, sind wohl die Leerstellen in ihren belanglosen Phrasen: Mit persönlichen Informationen ist sie sparsam. Max möchte mehr über sie erfahren und beginnt sie zu suchen.

Viele der Schrauben, die das weitere, turbulente Geschehen zusammenhalten, sind reichlich locker und machen das ganze Konstrukt zu einer ziemlich wackligen Angelegenheit: Max lässt sich trotz seiner vorher viel beschworenen Abstinenz („Und die Liebe, so oft besungen und beschrieben, bedeutete selten mehr als zwei einsame Seelen, die halbwegs zueinander passten, vereint durch den heiligen Bund der Unterdrückung.“) durch nichts von seiner Hannah abhalten („Ja, Hannah war verheiratet. Na und?“), obwohl auch seine Liebe nicht glaubwürdig vermittelt wird. Vielleicht liegt das auch an der zum Teil höchst platten oder unsensiblen Sprache: „Dieses Miststück! Sie hatte alles kaputtgemacht.“ Oder: „Hätte Max doch über all das lachen können, aber stattdessen verspürte er den Drang, sie zu packen, ihr das Kleid vom Körper zu reißen und auf dem Küchenboden endlich zur Sache zu kommen. Da ihm nichts anderes übrigblieb, nahm er ihren Kaffeebecher in die Hand, leckte den Lippenstift ab und befriedigte sich selbst.“

Dass der Passagier, dessen Identität Max für seine Flucht aus Europa angenommen hat, der verstorbene Ehemann Hannahs sein soll, ist die erste überraschende Enthüllung. Sie wird auch dadurch nicht glaubhafter, dass Hannah eigentlich eine Edelprostituierte ist, die das Polizeipräsidium mit ihren Reizen kontrolliert und Max aufgrund seines Namens für die Tätigkeit als Übersetzer eingestellt hat. Keine Sorge, hiermit ist nur wenig von dem verraten, was im Lauf der Geschichte noch alles enthüllt werden wird.

Schade, dass der Autor die thematische Grundlage der jüdischen Emigrantenkultur in Brasilien nicht besser zu nutzen wusste, die eigentlich viele interessante Aspekte bereithalten würde. Im Roman erhalten die Elemente des Judentums – Geschichte, Sprache, Feiertage, Symbolik – nicht mehr Bedeutung als die einer Staffage. Recht unmotiviert sind Gedanken über die Unterschiede zwischen portugiesischer und jiddischer Sprache oder der Bericht über den Diebstahl einer Menora eingeflochten. Auch Brasilien als Zuflucht für viele Exiljuden aus Europa wird nur als „liebenswertes Tollhaus“ und „gastfreundlicher Tummelplatz“ beschrieben. All das scheint kaum einen Einfluss auf die Charaktere oder auf das eigentliche Romangeschehen zu haben. So wirken Passagen wie „Es war Jom Kippur, der Tag der Versöhnung, an dem die Juden fasteten und für die Sünden büßten, die sie im vergangenen Jahr begangen hatten“, eher wie eine Notiz in der „Schon gewusst?“-Rubrik einer Wochenzeitschrift als wie der Absatz eines Romans. Wäre es nicht schön gewesen, wenn der Roman die jüdische Kultur Brasiliens auch ein wenig mit Leben gefüllt hätte? Hätten dann die reinen Informationsbrocken nicht vielleicht auch zu lebendigen dargestellten Ritualen, Charakteren und Bildern verdichtet werden können?

Man muss das Buch wohl als das nehmen, was es ist: Ein spannender Unterhaltungsroman mit einer Prise Liebe, ein wenig Mord und einem Topping aus Politik und Kriegsgeschichte. Als solchen kann man ihn guten Gewissens empfehlen. Als große Literatur leider nicht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Ronaldo Wrobel: Hannahs Briefe. Roman.
Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai Schweder-Schreiner.
Aufbau Verlag, Berlin 2013.
328 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783351035242

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