Thrilla in Manila

Zu Joyce Carol Oates’ „Über Boxen“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der „Thrilla in Manila“ bezeichnet einen Boxkampf zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier am 1. Oktober 1975 in Manila. Es war meine erste Begegnung mit dem Boxsport. Meine Großmutter stand immer in der Nacht auf, auch um Fernsehübertragungen von nicht so bekannten Boxkämpfen zu sehen. Einige Familienmitglieder betreiben Boxen als Sport, Kollegen beschäftigen sich mit „Ultimate Fighting“. Boxen existiert im sozialen Umfeld. Boxen ist ein Erinnerungsort meiner Kindheit. Daher scheinen Reflexionen über dieses Thema zunächst interessant zu sein, bewegt sich ein Autor doch immer zwischen diversen Vorurteilen, gesellschaftlichen Tabus und persönlichen Ressentiments und Vorlieben.

Joyce Carol Oates versucht es denn auch redlich, sich dem Phänomen zu nähern. Denn als solches erscheint es in ihren Beschreibungen: als in der Kindheit geprägte Faszination dem Boxsport gegenüber und eine im Erwachsenenalter festgestellte – überraschende – Verbindung dieser eindrücklichen Kindheitserlebnisse mit der Geschäftemacherei und der Korruption im Boxsport – die mit den Kindheitserinnerungen natürlich nicht harmonieren. So weit war man aber auch schon vor der Lektüre.

Ihr Essay „Über Boxen“ (1987) entstand als ein Nebenprojekt zu den Vorarbeiten zu ihrem Roman „You Must Remember This“ (deutsch „Die unsichtbaren Narben“, 1992). Aber ihre Reflexionen bleiben, trotz ihrer erstaunlichen essayistischen Fähigkeiten, im Irrationalen verhaftet, beschören immer wieder einen seltsamen Status, den Boxen in ihrer Vorstellung einnimmt: „Die schreckliche Stille, die sich im Boxring auf dramatische Weise zuspitzt, ist die Stille der Natur, bevor es den Menschen und seine Sprache gab, als das Körperliche noch allein göttlich war.“

Die Transformation von irrationaler Faszination des Boxsports in eine rationale Erklärung für diese Begeisterung und ihre irrationalen Elemente gelingt Joyce Carol Oates nicht. Und die nicht erklärbaren Bereiche verschiebt sie – ganz irrational – auf eine Problemebene außerhalb des Boxsports, denn nicht das Boxen sei das Problem, dieses liegt eher im organisierten Verbrechen, das den Sport korrumpiert. So bleibt eher die Erfahrung einer enttäuschenden Lektüre, eine versprochene, aber nicht eingelöste Reflexion, obwohl man sich Erkenntnis gewünscht hat. Hat man ein Erinnerungsbuch über das Boxen von Joyce Carol Oates erwartet, wird man allerdings nicht enttäuscht. Und dieses Erlebnis teilt die Autorin somit mit vielen ihrer Leser. Eine Erkenntnis, für die man allerdings auf die Lektüre des Buches verzichten kann.

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Joyce Carol Oates: Über Boxen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ursula Locke-Groß und Andrea Ott.
Manesse Verlag, Zürich 2013.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783717522829

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