Irgendetwas Radikales

Über Stephen Emmotts Untersuchung „Zehn Milliarden“

Von Eckart LöhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eckart Löhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stephen Emmott, wissenschaftlicher Leiter eines Microsoft-Labors und in dieser Position verantwortlich für Forschungsprojekte auf dem Gebiet der rechnergestützten Naturwissenschaften, legt in „Zehn Milliarden“ auf circa 200 Seiten die bloßen Fakten zur derzeitigen ökologischen Situation unseres Planeten dar. Herausgekommen ist dabei ein Kompendium der Umweltzerstörung – und wenn das Buch überhaupt einen Mehrwert hat, dann ist er wohl hier zu finden. Allerdings lassen sich die meisten Zahlen und Graphiken problemlos auch im Internet recherchieren und so wirkt das Ganze ein wenig wie eine Wikipedia-Copy-And-Paste Veröffentlichung. Da er neben der Präsentation seiner Daten völlig auf weitergehende Analysen oder theoretische Betrachtungen verzichtet, war es wohl seine Absicht, ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Das wird ihm möglicherweise auch gelingen und dagegen ist ja erst mal nichts einzuwenden. Was sich dagegen einwenden lässt, ist die Tatsache, dass bereits die Prämisse, von der Emmott ausgeht, falsch ist.

Seine zentrale These, die ja bereits durch den Titel des Buches impliziert wird, lautet nämlich, dass der Hauptgrund für die derzeitige globale ökologische Krise im zunehmenden Bevölkerungswachstum zu sehen ist. Das aber ist aus zwei Gründen falsch.

Zum einen sind es gerade nicht die bevölkerungsstärksten Länder wie China und Indien oder das bevölkerungsreiche Afrika, die maßgeblich für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen verantwortlich sind, sondern in erster Linie der Westen – dessen Bevölkerungswachstum stagniert und zum Teil sogar rückläufig ist –, sprich die USA und Europa. Unser Konsum und damit verbunden unser Energieverbrauch und wiederum damit verbunden unsere Kohlendioxidemissionen, verursacht durch das Verbrennen fossiler Stoffe, liegen um ein Vielfaches höher, als in den genannten Ländern. Der richtige Titel müsste demnach vielmehr „1 Milliarde” heißen, denn das entspräche in etwa der Bevölkerung Amerikas und Europas.

Damit soll nicht gesagt sein, das Bevölkerungswachstum stelle kein Problem dar. Es ist ein Problem! Es aber ins Zentrum der Betrachtungen zu rücken, lenkt von der Verantwortung ab, die zuallererst bei uns liegt. Es wäre vielmehr die Aufgabe des Autors gewesen, zu zeigen, dass wir durch eine drastische Verringerung der Produktion auf allen Gebieten den Schwellenländern die Möglichkeit zur nachholenden Modernisierung (die ohnehin unvermeidbar ist) geben müssen und damit verbunden ist die Verpflichtung, ihnen dafür unsere Umwelttechnik kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Wenn Emmott am Ende des Buches schreibt, dass wir unseren Konsum reduzieren müssen und in einem Satz betont, dass mit „wir“ „diejenigen gemeint sind, die im Westen und Norden unseres Planeten leben“, zeigt das immerhin ein gewisses Verständnis für die Problematik. Leider hat er es versäumt, dieser Erkenntnis in seinem Buch Ausdruck zu verschaffen.

Ein weiteres Manko ist die Tatsache, dass der an der Universität Oxford lehrende Professor für wissenschaftliches Rechnen und Bioinformatik von falschen Zahlen und Prognosen ausgeht, wenn er etwa schreibt, dass wir am Ende dieses Jahrhunderts nicht zehn, sondern möglicherweise 28 Milliarden Menschen sein werden. Rein rechnerisch mag diese Zahl richtig sein, aber lange vorher werden einige Faktoren dafür sorgen, dass dieser Fall nicht eintritt.

So kommt Jorgen Randers, verantwortlich für den „Neuen Bericht an den Club of Rome“, der eine globale Prognose für die nächsten vierzig Jahre darstellt, zu einem völlig anderen Ergebnis. Seine Analyse zeigt, dass die Weltbevölkerung „in den frühen 2040er-Jahren einen Höchststand von etwa 8,1 Milliarden Menschen erreicht. Danach wird die Weltbevölkerung immer schneller sinken. […] Die meisten Menschen leben dann in einer urbanen Umwelt und unter Bedingungen, die eine große Kinderzahl nicht als Vorteil erscheinen lassen.“

Richtig ärgerlich wird es dann aber auf Seite 164. Dort schreibt Emmott doch allen Ernstes, dass „allein die Kernkraft unser Energieproblem lösen [könnte]“. Anschließend fügt er beinahe enttäuscht hinzu, dass der weltweite Ausbau der Kernenergie wohl nicht stattfinden wird, da „sie so teuer und bei der Bevölkerung unbeliebt [Hervorhebung durch den Rezensenten] ist.“

Kein Wort zur Problematik der Endlagerung abgebrannter Brennelemente, kein Wort zu Tschernobyl und – man fasst es kaum – kein Wort zum mehrfachen Super-GAU in Fukushima, dessen zerstörte Reaktorblöcke auch nach zwei Jahren noch nicht unter Kontrolle sind. Noch dazu erwähnt der Autor mit keinem Wort, dass unsere angebliche Energiekrise in Wahrheit eine Konsumkrise ist und nur auf dieser Ebene gelöst werden kann, was nichts anderes bedeuten würde, als das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage zu stellen. Diese Kritik sucht man in Emmotts Buch allerdings vergeblich.

Und was soll man eigentlich von einem Autor halten, der am Ende seines Buches vorschlägt „irgendetwas Radikales [zu] tun“, ohne zu sagen, was er damit meint? Aber vielleicht bedeutet „irgendetwas Radikales“ ja seine indirekte Aufforderung sich zu bewaffnen, denn so endet dieses Buch: „Ich habe einem […] Forscher die folgende Frage gestellt: Wenn er angesichts der Situation, mit der wir derzeit konfrontiert sind, nur eine einzige Sache tun könnte, was wäre das?“ Die Antwort: „Ich würde meinem Sohn beibringen, wie man mit einem Gewehr umgeht.“

Es ist schade, dass Emmott durch eine falsche These, schlechte Recherche, unzulängliche Analyse und mangelnder Lösungsvorschläge die Chance vergeben hat, ein allgemeinverständliches Buch zu schreiben, das wirklich in der Lage wäre, die Leserinnen und Leser aufzurütteln. So bleibt nur das nüchterne Fazit des Autors „Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten“. Im englischen Original heißt das übrigens noch etwas konkreter „I think we´re fucked“.

Allerdings ist es weder angebracht, noch besonders förderlich ein so hoffnungsloses Fazit zu ziehen, denn damit ignoriert der Autor zum einen die vielen positiven Entwicklungen, die weltweit zu beobachten sind und zum anderen unterschätzt er die Fähigkeit des Menschen sein Denken und Handeln radikal zu verändern, wenn es darauf ankommt. So stellt dieses Buch einen guten Vorwand dar, nichts gegen die sich abzeichnende Katastrophe zu tun, da ja ohnehin alles vergeblich wäre.

Mit etwas gutem Willen könnte man dieses Buch vielleicht noch als den Versuch einer paradoxen Intervention verstehen. In Anbetracht einer Vielzahl hervorragender Veröffentlichungen zu diesem Thema kann man es aber auch einfach nur überflüssig finden.

Titelbild

Stephen Emmott: Zehn Milliarden.
Übersetzt aus dem Englischen von Anke Caroline Burger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
204 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423851

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