Den Platz im Leben finden

Manu Larcenets „Der alltägliche Kampf“ in der deutschen Gesamtausgabe

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 2004 erschien der erste Band von „Der alltägliche Kampf“ auf Deutsch – und bereits dieser Band des französischen Zeichners Manu Larcenet war ein melancholisches, kluges und übermütiges Meisterwerk. Die Geschichte um den jungen Fotografen Marco, der an Panikattacken leidet, sich aufs Land zurückzieht und sich dort, als seine Katze krank wird, in die Tierärztin verliebt, klang zunächst ziemlich gewöhnlich. Doch Larcenet schaffte es, beinahe nebenbei in wenigen Bildern ein Panorama der französischen Gesellschaft aufzuzeigen. Das beharrliche Schweigen der Eltern über den Algerienkrieg, der Nachbar, der sich als berüchtigter Folterer entpuppt, der Aufschwung der Front National, das Leben in den Banlieues, Drogen – um politische Aussagen ist der Comic nicht verlegen. Und darüber steht als Klammer die private Geschichte Marcos, seine Beziehung zur Familie und zu Emilie.

Die in den darauffolgenden zwei Jahren erschienenen Bände 2 und 3 waren dann eine Spur ernster, ohne aber gänzlich die Leichtigkeit zu verlieren. Im Mittelpunkt des zweiten steht die Demenzerkrankung des Vaters und der Niedergang der Werft, in der dieser gearbeitet hatte. Marco, der mittlerweile mit Emilie zusammenlebt, schafft es wieder, als Fotograf zu arbeiten, und porträtiert die ehemaligen Arbeiter in den leeren Hallen und Docks. Die Ausstellung, in der diese Bilder gezeigt werden, ist überaus erfolgreich. Doch kurz darauf erfährt Marco, dass sein Vater sich umgebracht hat. Die Aufarbeitung des Todes des zuletzt so fremden Vaters beschäftigt Marco im dritten Teil „Kostbarkeiten“. Die Bilder Larcenets haben in diesem Band etwas Düsteres, viele Panels sind dunkler, beunruhigender als zuvor. Die Klarheit der Zeichnungen wird zurückgenommen, sie wirken skizzenhafter, machen auch visuell deutlich, dass Marco versucht, aus seinen Erinnerungen und aus Gesprächen mit den Arbeitern der Werft ein Bild seines Vaters zu konstruieren, das bleiben wird. Besonders eindrucksvoll gelingen Larcenet dabei die Szenen am Ende des Bandes, wenn Marco auf seinen Nachbarn zugeht und mit diesem über den Kriegseinsatz des Vaters spricht. Der Band endet mit einem Neubeginn, inhaltlich wie visuell: Emilie ist schwanger, die Bilder sind wieder farbig und leuchtend.

Einem ganz anderen alltäglichen Kampf widmet sich Larcenet dann im abschließenden vierten Teil „Gewissheiten“: Marco und Emilie sind Eltern einer kleinen Tochter – und Marco findet seinen „Platz im Leben“. Nicht ohne Schwierigkeiten. Larcenet verknüpft hier die Fäden wieder, die er in den vorangehenden Bänden aufgedröselt hat. Bisweilen wirkt der Wille, die früheren Themen und Schauplätze noch einmal zu rekapitulieren und zuende zu führen, etwas bemüht. Zumal Larcenet hier nicht ganz konsequent vorgeht. Marcos Bruder etwa fehlt gänzlich, der nicht uninteressante Nebenplot geht so leider verloren. Seine Stärken hat der Schluss der Tetralogie eindeutig dann, wenn die Geschichte sich weiterentwickelt, wenn die kleine Familie Marcos ins Spiel kommt. Die Szenen mit der kleinen Maude sind hinreißend gezeichnet, haben einerseits die Skizzenhaftigkeit des zweiten und dritten Teils, andererseits aber eine ausgefeilte Farbendramaturgie.

Der Gesamtband macht es nun möglich, die vier Teile auch am Stück zu betrachten. Das kleine Format stört dabei erstaunlicherweise kaum, das Ganze wirkt stimmig und ist hervorragend reproduziert. Schade nur, dass die jeweiligen Titelzeichnungen der Einzelbände fehlen.

Titelbild

Manu Larcenet: Der alltägliche Kampf.
Übersetzt aus dem Französischen von Barbara Hartmann und Kai Wilksen.
Reprodukt Verlag, Berlin 2011.
242 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783941099265

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