Mit der Last der Vergangenheit im Gepäck

Über Gail Jones’ Roman „Ein Samstag in Sydney“

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Circular Quay, so heißt der wichtigste Schiffsanlegeplatz im buchtenreichen Sydney. Im Minutentakt gehen hier die grün-gelben Fähren und die riesigen Schiffe vor Anker, welche aus der ganzen Welt die Passagiere nach Down Under bringen, wo sie Arbeit, Abenteuer oder einfach nur ein besseres Leben ersehnen. In Sichtweite liegen die berühmte Harbour Bridge mit ihrer „optimistischen Wölbung“ sowie das noch bekanntere Opernhaus, das mit seinem gezackten Dach wie der Unterkiefer eines geöffneten Haifischmauls wirkt. Zugleich mögen die sich aufschwingenden Bögen der Oper mit ihren jähen Abstürzen auch die Lebensläufe jener Personen symbolisieren, welche die australische Autorin Gail Jonas, die in Sydney creative writing unterrichtet, an diesem pittoresken Ort zusammenführt: Elli und James, deren Wurzeln in Italien liegen, die Irin Catherine und die Chinesin Pei Xing. In kurzen Episoden verfolgt sie während eines Samstags deren Wege durch die Stadt, ihre Erinnerungen an die zurückgelassenen Familien, an die ferne Schulzeit, an die bitteren Jahre der Haft in Shanghai.

Eine „so strahlende, so leuchtende Stadt“ wie Sydney erfüllt sie allesamt mit neuer Hoffnung und großen Erwartungen. „Im demokratischen Gedränge, im Durcheinander der Menschen“ sollte es gelingen, ein Treffen nach langer Trennung, zum Beispiel eine Versöhnung nach schwerem Leid. Didgeridoo, Woolloomooloo-Bay, The Rocks, the Museum of contemporary arts, die Magie der Worte, die der Weltstadt Glanz verleihen, wirkt wie ein großes Glücksversprechen. Ganz allmählich jedoch setzen sich die hingetupften Impressionen zu immer dramatischeren Bildern zusammen: die Wiederbegegnung der beiden Liebenden vor der schönen Kulisse scheitert, weil Elli gegenüber dem Jugendfreund einfach zu schüchtern ist und weil sich James wiederum am Unfall-Tod einer Schülerin schuldig fühlt. Die freundliche Pei Xing stößt im Gewühl von China Town gar auf ihre Wärterin, die sie während Maos Kulturrevolution mit Fußtritten traktiert hat.

Am Ende wird die heitere Fassade, vor der sich ihre Wege kreuzen, gar von einem Verbrechen, von Hilflosigkeit und Tod erschüttert, während, davon ganz unberührt, das An- und Ablegen der Schiffe weitergeht.

Obwohl der fünfte Kontinent so vielen eine neue Zukunft verspricht, kommt doch niemand hierher, ohne die Last der Vergangenheit im Gepäck. Der weit gereiste Ilja Trojanow bescheinigt seiner Schriftstellerkollegin Gail Jones im Klappentext „eine grandiose Erzählung über das Gewicht der Erinnerung, zart und anrührend“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Titelbild

Gail Jones: Ein Samstag in Sydney. Roman.
Übersetzt aus dem Australischen Englischen von Conny Lösch.
Edition Nautilus, Hamburg 2013.
255 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783894017781

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