Nordirische Geschichte

Adrian McKinty hat eine eindrucksvolle Studie über einen katholischen Polizisten im Nordirland zu Beginn der 1980er-Jahre geschrieben – mit viel Liebe zum Detail

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Grunde genommen kann man Adrian McKinty nur bewundern, bewundern für die intensive Kleinarbeit, die er in „Der katholische Bulle“ betrieben hat, um die frühen 1980er-Jahre einzufangen. Für Zeitgenossen werden da Erinnerungen wach, an Mode (abscheulich, der lange Ledermantel hat noch nichts mit „Matrix“ zu tun), an Autos, an Popsongs, an Dinge, die man damals getan hat und die man am liebsten in wirkliche Vergessenheit geraten lassen würde. Erinnert sich noch jemand? Damals stand die Hochzeit von Prinz Charles und Lady Di noch bevor!

Aber McKinty interessieren solche Animositäten nicht, geht es ihm doch darum, ein imaginäres Nordirland aufleben zu lassen, das einigermaßen stimmig und passend ist. Wir erinnern uns? Die konfessionellen Spannungen in Nordirland streben einem neuen Höhepunkt zu. Inhaftierte IRA-Aktivisten treten einen Hungerstreik an, um als politische Gefangene anerkannt zu werden. Als erster der Hungerstreikenden stirbt Bobby Sands – ja, da war doch was. Der Sinn-Fein-Repräsentant Gerry Adams schlachtet das Ganze publizistisch aus. Katholiken und Protestanten haben nichts besseres zu tun, als sich gegenseitig zu massakrieren. Katholische und protestantische Gruppen und Verbände stehen sich verfeindet gegenüber.

Das ist die Szenerie, in die McKinty die Geschichte von Sean Duffy platziert, dem wohl „einzigen katholischen Bullen in Nordirland“, wie der Klappentext burschikos formuliert. Vermintes Gelände also, in dem sich der Held dieser Geschichte bewegt. Umso schlimmer, dass er in dem ganzen politisch-humanitären Schlamassel dann auch noch an einen potentiellen Serienkiller gerät, der es anscheinend auf Schwule abgesehen hat.

Duffy übernimmt den Fall eines hochrangigen IRA-Funktionärs, der erschossen aufgefunden wird. Allerdings ist ihm eine Hand abgeschnitten worden, die sich nicht mehr bei der Leiche befindet. Es liegt jedoch eine andere Hand dabei und in seinem Anus findet sich ein Zettel mit einem Ausschnitt aus einer Opernpartitur. Die zweite, gleichfalls einhändigeLeiche findet sich auch, bei ihr die Hand des IRA-Funktionärs. Offensichtlich eine Botschaft. Offensichtlich irgendwas mit Obsession. Ein Serienkiller im in Serien killenden Nordirland?

Wie Duffy später bemerkt, ist das wenig plausibel. Wer einschlägige Neigungen hat, kann sich schließlich einfach einem der paramilitärischen Verbände anschließen, die ihm alle Möglichkeiten eröffnen. Politisch jedenfalls sind viele der Morde, die es im Nordirland jener Jahre zu beklagen gibt, kaum begründbar, so die Suberzählung des Textes.

Auch hier geht es naheliegend um Macht, um Übermacht, darum klarzustellen, wer hier das Sagen hat. Und offensichtlich hat der Mob in Nordirland das Sagen. Der Krieg ist ein einträgliches Geschäft für die Krieger. Weshalb die Claims sorgfältig abgesteckt werden, auch zwischen den ansonsten bis aufs Blut verfeindeten konfessionellen Verbänden.

Alles in allem, ein Serienkiller ist eben unwahrscheinlich im Nordirland der frühen 1980er-Jahre – und die Geschichte wird die naheliegende Begründung für den Mord denn auch im Politischen suchen und finden. Bleibt dann nur zu fragen, wie das alles zusammenhängt.

Und damit beschäftigt sich McKinty denn auch intensiv. Allerdings verfängt er sich dabei so sehr in das Motivationsgewirr dieser Jahre, dass er weder zur eigentlichen Aufklärung noch zum belastbaren Beweis kommt. Am Ende wissen wir wers war – wer auch sonst? Aber der Schuldige wird nicht in den Knast zu bringen sein. Und vor allem, die wahre Geschichte wird ohne ihn offen bleiben. Aus dem Grund fängt der Mörder einfach an zu erzählen, was allerdings nicht als gute Lösung bekannt ist. Denn damit verlagert sich das heuristische Verfahren vom Nachweis des Verbrechens zum Nachvollzug des persönlichen Lebens der Ermittlerfigur.

Keine Frage, juristisch ist das alles nichts wert – was aber dann nicht schadet, wenn der Mehrwert in ganz anderen Bereichen angesiedelt wird. Hier geht es nämlich vor allem um Gerechtigkeit. In dem Moment, in dem die Begründung und der Nachweis des Verbrechens in den Hintergrund rücken, wird ein Medium erkennbar, mit dem das alles trotzdem umsetzbar ist: die Erzählung des Täters selbst. Zum Schluss berichtet er alles Wissenswerte und leitet außerdem noch seine Hinrichtung ein – die allerdings nicht auf den Schuldspruch eines Gerichts zurückgeht, sondern das Recht unmittelbar setzt. Es ist deshalb auch konsequent, wenn McKinty seinen Helden den Missetäter höchst persönlich erschießen lässt, um dann zu schließen. Allerdings bleibt hier ein schaler Geschmack zurück, der Geschmack von Gerechtigkeit, die keinen Ausbruch von Gewalt scheut, um die Balance zwischen dem Guten und dem Bösen wiederherzustellen.

Titelbild

Adrian McKinty: Der katholische Bulle. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
384 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518464502

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch