Dichtung in der vierten Dimension

Julia Afifi zu Clemens Brentanos „Romanzen“ und Otto Runge

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer hat schon mal die Romanzen von Clemens Brentano gelesen? Oder kennt sie zumindest von Erzählungen oder Klagen über dieselben? Und wenn er sie denn gelesen hat, wird dies wohl eher bei einem Versuch geblieben sein. Oder es blieb dieses seltsame Gefühl, das einen als Leser irritiert: Man weiß, es ist ein guter Text, ein zauberhaft poetisches Gebilde, und vielleicht berührt es einen auch im Innersten, aber es bleibt dieses Gefühl von Un- oder besser Missverständnis zurück. Dieses Gefühl, nicht alles verstanden zu haben, vielleicht eine ganze Dimension des Textes völlig außer acht gelassen oder auch schlicht übersehen zu haben. Alle diese Möglichkeiten treten bei bei der Lektüre von Brentanos „Romanzen“ in seltsamer Häufung auf und sind letztendlich ein Indiz für die Textdichte, die man dem Dichter zwar auch bei seinen anderen Texten, aber nicht in dieser Konzentration der Metaphern, Sprachbildungen und interpretatorischen Schichten, bescheinigen kann. Brentano selbst meinte dazu: „mir gefällt selbst nicht von dem meinigen und weiß ich leider, wo es fehlt, es fehlt daran, daß ich es nicht wisse. Nun habe ich mir alles ausgedacht, waß ich noch nirgends gelesen, und gesehen, und wornach ich dürste, Farben die mir vorschweben, und zu denen ich die Bilder in allen Gallerien umsonst gesucht, ein Hintergrund unergründlich, und doch nah und wehend wie der Himmel und die Hölle“.

Julia Afifi gelingt es, in einer umfassenden Einleitung und einem detaillierten Forschungsbericht die Problematik der „Romanzen“ von Brentano aufzuzeigen. Dabei skizziert und entwickelt sie Brentanos Konzept einer Bimedialität, das vor allem auch in der Moderne ganz neue Bedeutungshorizonte erschlossen hat. Brentano suchte für seine Dichtungen eine Ergänzung im Bild. Daher nahm er Kontakt mit dem Zeichner und Maler Philipp Otto Runge (1777-1810) auf. Seine Illustrationen sollte seine Dichtung „ergänzen“: „Mit Runges Illustrationen wollte Brentano sich nicht nur ihre heilsgeschichtliche Orientierung sichern, sondern ebenso ihre Ordnungs-, Kontroll- und Korrektivfunktion gegenüber den partiell a-religiösen Texttendenzen seiner Romanzen. Insofern sah Brentano die Bimedialität als Ausweg an, die Zwiespältigkeit, Ambiguität und partielle A-Religiosität seiner Romanzen auszugleichen bzw. aufzuheben und zu entsühnen. […] Runges Illustrationen sollten als Erlösungsmedium für das von Brentano selbst als defizient erachtete Medium der Schrift fungieren.“

Die Monografie entwickelt in fein differenzierten Schritten die Gedanken Brentanos zu dem Wechselverhältnis von Schrift und Bild, bezieht auch Runges Blick mit ein – dessen Tod natürlich den Plan für die Kooperation zwischen beiden Künstlern verhinderte – und thematisiert Brentanos späteres Verhältnis zu seinen Romanzen, das deren Rezeption sicherlich  nicht gefördert hat: „Nachdem sich durch Runges Absage und Tod nicht nur das bimediale Gemeinschaftsprojekt, sondern auch die Aussicht auf einen Rettungsanker zerschlagen hatte, setzte Brentano neue Hoffnungen in das Liebesverhältnis mit Luise Hensel. Als seine Liebeswerbung mit einer Zurückweisung endete, ging die Rolle der Mittler- und Heilsgestalt, an die Brentano Anschluß suchte, für mehrere Jahre auf die stigmatisierte Nonne Anna Katharina Emmerick über.“ Die Diskussion der beiden Künstler kann man übrigens in dem von Konrad Feilchenfeldt herausgegebenen Briefwechsel zwischen Runge und Brentano nutzbringend nachlesen.

Der Autorin gelingt es, die Problematik der Rezeption der „Romanzen“, Brentanos Bemühungen um die Bimedialität seines Werkes und vor allem Brentanos Motivation aufzudecken, die einen völlig neuen Blick auf das Werk erlaubt: „Ich [Clemens Brentano] fühle durch und durch, daß mir religiös nicht zu helfen ist, als durch das Anschließen an einen Menschen, dem ich unbedingt traue und den ich innigst liebe, und daß ich dann allen eignen Willen aufgebe, und ihm gänzlich folge, wie ein Knecht. Das gänzliche Unterwerfen unter einen geistigen Oberen entspräche meiner Natur allein.“ Diese Obsession Brentanos ändert auch den grundsätzlichen Blick auf seine Dichtung. Hiermit hat Julia Afifi einen wesentlichen und neuen Aspekt in die Brentano-Forschung eingebracht, der hoffentlich weitere Untersuchungen anregen wird.

Somit kann der Rezensent ein erfreuliches Fazit ziehen: zum einen hat man eine stimmig und kurzweilige Monografie gelesen, zum anderen wurde eine Aufforderung zu Neulektüre von Clemens Brentanos Werk initiiert. Kann es ein erfreulicheres Fazit am Ende einer nutzbringenden Lektüre geben?

Titelbild

Julia Afifi: Brentano / Runge - Schrift / Bild. Clemens Brentanos Romanzen vom Rosenkranz und sein Briefwechsel mit Philipp Otto Runge.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2013.
270 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783861091950

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