Relektüren und Recycling

Ein Tagungsband von Mireille Tabah und Manfred Mittermayer untersucht „Persiflage und Subversion“ im Werk von Thomas Bernhard

Von Willi HuntemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Willi Huntemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 80. Geburtstag Thomas Bernhards hat quer durch Europa die Bernhardverehrer und -forscher zu Konferenzen angeregt; nach der internationalen Konferenz in Ljubljana im Februar 2013 (Johann Georg Lughofer (Hrsg.), Thomas Bernhard. Gesellschaftliche und politische Bedeutung der Literatur. Wien 2012) fand im November desselben Jahres an der Freien Universität Brüssel eine Tagung in kleinerem Rahmen zum Thema Persiflage und Subversion statt, deren Erträge im vorliegenden Sammelband vorliegen. Forschungsgleise, die schon seit Beginn der interpretatorischen Beschäftigung mit Bernhard befahren werden, finden sich hier neben neueren, (gender)theoriegeleiteten Ansätzen; texthermeneutisch vorgehende Beiträge im zweiten, „Interpretationen“ überschriebenen Teil stehen neben Autorenvergleich sowie entstehungs-, rezeptions- und einflussgeschichtlichen Untersuchungen.
Auch wenn die Leitbegriffe bei Konferenzen – besonders beliebt sind wie auch hier Doppelformeln – zumeist nicht zuletzt pragmatisch nach ihrem größtmöglichen Anschlusswert hin gewählt werden, muss doch nach ihrem spezifischen Erkenntnisgewinn gefragt werden, wenn sie mehr sein sollen als ein bibliografisches Label.

Der Begriff Subversion ist dabei keineswegs so evident in Bezug auf Bernhard, wie es zunächst scheinen möchte – wenn man nämlich auf den genauen Wortsinn eines eher verdeckten, nicht offen zutage liegenden Angriffs auf eine sei es gesellschaftliche, symbolische oder kategoriale Ordnung abhebt, verträgt sich das Subversive nicht mit allem Provokativen und Skandalösem, woran man ja bei Bernhard zunächst denkt.

Die den Band eröffnenden Beiträge von Mireille Tabah und Clara Ervedosa bewegen sich im Feld von ästhetischen Wirkungs- und Genrekategorien, die von Anfang an den Zugriff auf Bernhards Werk bestimmt haben, allen voran natürlich das Verhältnis von Komik und Tragik.

Groteske und Karnevalismus sind die leitenden Begriffe bei Tabah, ergänzt um dekonstruktivistische Terminologie; sie geht, anders als in ihren früheren Arbeiten, recht kursorisch und kaum textnah vor, wenn sie eine „subversive Poetik des Lächerlichen“ umreißt. Clara Ervedosa hingegen führt die Begriffe Schock und Farce ins Feld, ohne dabei zwischen Erzählprosa und Theater zu unterscheiden. Belege fehlen, da es sich um den Extrakt einer monografischen Arbeit von 2008 handelt. (Gleiches gilt für den Aufsatz von Alexandra Pontzen zum „Kalkwerk“-Roman, der auf einer Studie über „negative Produktionsästhetik“ von 2000 beruht und – was jedoch kein Einwand ist – nicht auf der Linie von Persiflage und Subversion liegt.)

Alfred Pfabigan ist der einzige, der sich in seinem Text überhaupt die Mühe macht, den Begriff der Subversion genauer zu fassen. Er holt begriffsgeschichtlich weit aus, bevor er das „subversive Spiel“ mit den Begriffen „Staatskünstler“ und „Staatskunst“ in den Romanen „Holzfällen“ und „Alte Meister“ entfaltet.

Karl Wagners Beitrag zu „Holzfällen“ legt – als „Lektüre nach den Skandalen“ – in einem eingehenden close reading etwas frei, was vom skandalgetrübten Blick auf den Schlüsselroman verstellt wurde: die Selbstbezichtigung und Selbstdemontage des Ich-Erzählers. Und er kommt dabei ganz ohne den Begriff Subversion aus. Umgekehrt hingegen zeichnet der Bernhardforscher und -editor Martin Huber materialreich die Chronik des Skandals um das Stück „Heldenplatz“ nach – es wäre ein origineller Beitrag, wenn es sich nicht um die nur geringfügig überarbeitete Fassung eines Tagungsbeitrags zur Konferenz in Ljubljana neun (!) Monate zuvor handelte, die man bei zahlreichen textidentischen Passagen, wenn schon keine Selbstpersiflage, so doch ein Selbstplagiat nennen könnte.

Auf eine falsche Fährte führt der Persiflage-Begriff Paola Bozzi, die Bernhards Kindergeschichte „Viktor Halbnarr“ als Persiflage auf Goethes „Faust“ und das Faustische überhaupt lesen möchte. Die Referenz auf die Faustfigur ist durch nichts suggeriert: der beinlose Protagonist hat keinerlei Ähnlichkeit mit Dr. Faust, der Mühlenbesitzer nicht mit dem Teufel und eine Wette über eine Waldwanderung macht noch keinen Teufelspakt. Damit eine Figurenkonstellation oder ein Handlungsmuster als Persiflage eines Prätextes aufgefasst werden kann, muss eine Referenz klar erkennbar sein, ähnlich wie bei der Parodie. Zu sagen, dass die diametrale Verfremdung des Geistesmenschen Faust´ zu einer Figur verkrüppelter Körperlichkeit gerade die Persiflage ausmache, heißt so viel, wie von einem Messer ohne Griff zu sprechen, bei dem die Klinge fehlt. Andere Parallelstellen mit Goethe-Referenzen bei Bernhard helfen da nicht.

Einen begründeten Sinn und eine Aufschlusskraft dagegen hat der Persiflage-Begriff in Jan Süselbecks Beitrag zu „Über allen Gipfeln ist Ruh“ als „Persiflage auf Autorschaftskonzepte des 20. Jahrhunderts“. Differenziert und materialreich werden Referenzen nicht nur aufgezählt, sondern in ihrem widersprüchlichen Verhältnis zueinander hervorgehoben, gipfelnd in einem Verweis auf eine „verlogene philosemitische Tendenz im deutschen Nachkriegsliteraturbetrieb“.

Wieder eher nur aufgesetzt (und auch nur im Titel vorkommend) erscheint der Begriff der Persiflage im Beitrag von Bernhard Judex, der abermals – es ist für ihn die vierte (!) Publikation zu diesem Thema – der Figur des Großvaters, Johannes Freumbichler, in Bernhards Œuvre nachgeht. Der Aufsatz verliert sich derart in stofflicher Detailfülle, dass die Argumentationslinie – im Werkverlauf weiche die Identifikation mit dem Großvater mehr und mehr einer distanzierenden/ persiflierenden Haltung – kaum mehr zu erkennen ist. Angesichts von mindestens sieben Untersuchungen anderer Forscher zu diesem Thema, die Judex anführt, hat man durchaus den Eindruck einer gewissen Redundanz in manchen Zweigen der Bernhard-Forschung. Ähnliches könnte man auch bei den Themen Bernhard und die Musik oder Komik/Tragik konstatieren. Immer wieder erscheinen Studien, welche die vorangegangenen Arbeiten resümieren, ohne dass ein klarer Erkenntnisfortschritt zutage treten und das Thema bis auf weiteres als „erledigt“ gelten würde.

Allerdings sind in nunmehr über 40 Jahren Bernhard-Forschung perspektivische Neuansätze und „Trends“ zu verzeichnen. Neben der Entdeckung der komisch-humoristischen Seiten des Werkes in den 1980er-Jahren, nach den anfangs auf das Weltanschaulich-Düstere und dann Gesellschaftskritische abstellenden Deutungsparadigmen, brachte in den 1990er-Jahren der überhaupt in der Literaturwissenschaft an Bedeutung gewinnende Leitdiskurs Erinnerung/ jüdisches Schicksal, vor allem zunächst am Roman „Auslöschung“ festgemacht, eine wegweisende Neuorientierung in die Forschung. Zu gleicher Zeit gewannen dekonstruktivistische und feministische/gendertheoretische Ansätze an Boden. Zu ihnen zählen im vorliegenden Band die Beiträge von Verena Ronge, fußend auf ihrer Dissertation von 2009, und Stefan Krammer.

30 Jahre nach der feministischen Entlarvung des Autors als misogynem Patriarchen durch Ria Endres (Am Ende angekommen. Dargestellt am wahnhaften Dunkel der Männerportraits des Thomas Bernhard. Frankfurt 1980) erfolgt nun eine Umwertung auf der Basis des „dekonstruktiven Feminismus“ (B. Vinken): wie in einem Gestaltswitch beziehungsweise Umspringbild sieht man nun gewissermaßen den Hasen anstatt der Ente. Ronge führt den Nachweis, dass Geschlechterbilder vordergründig affirmierend inszeniert und zugleich dekonstruiert bzw. subvertiert werden, und argumentiert dabei auf inhaltlicher und stilistischer Ebene. Das ist durchaus nachvollziehbar und schlüssig, doch das Resultat: die „subversive Persiflage und Re-Inszenierung“ des stereotypen Geschlechterdiskurses“ oder gar die „Wahrheit über die Künstlichkeit von Geschlecht“, wird wohl nur plausibel, wenn man den erheblichen theoretischen Aufwand teilt, der als Prämisse notwendig ist. Dafür ist der Geschlechterdiskurs bei Bernhard nur einer unter anderen – Natur/Kunst, Einzelner vs. Gesellschaft, Österreich(kritik) et cetera – und Bernhard eben nicht Ingeborg Bachmann.

Eine Weiterführung versucht Stefan Krammer, wenn er im Rahmen des gendertheoretischen Ansatzes die „men studies“ als jüngsten Trend fruchtbar zu machen versucht. Er bezieht sich vor allem auf die Personenkonstellationen und Vaterfiguren in manchen Familien-Stücken („Theatermacher“, „Ritter, Dene, Voss“) und will „Maskeraden der Männlichkeit“ und ein „subversives Geschlechtertheater“ sichtbar machen. So ließe sich auch ein Stück von Henrik Ibsen als „Geschlechtertheater“ analysieren, sind die Begriffe eher plakativ und die Textbelege doch sehr punktuell und selektiv. Wenn der wenig aufregende Ausgangsbefund: „Wer [im Personenverzeichnis] zuerst angeführt wird, nimmt unmissverständlich auch die Hauptrolle im Stück ein“ am Schluss zu dem Resultat wird, dass diese Rangordnung „nur wenig über das tatsächliche Mächteverhältnis in den Stücken“ aussagt, ist wohl wenig Substanzielles und Spezifisches getroffen, denn für welches Drama würde dies nicht gelten? Und was soll daran subversiv sein? Krammer antwortet auf Fragen, die weder der Text noch der Leser/die Leserin stellt, sondern nur der theoretische Ansatz, der appliziert wird. Dies ist die methodische Crux der Interpretation unter theoriegeleiteten Ansätzen (Diskursanalyse, Gendertheorie), dass sie schon im voraus wissen, worauf der Text antworten soll, und sich nicht hermeneutisch seinem Eigen-Sinn anvertrauen.

Neben durchaus erkenntnisreichen Relektüren und einigem „Recycling“ (immerhin fünf der 14 Beiträge beruhen auf vorgängig veröffentlichten Arbeiten – nur dem Publikationsdruck im Jubiläumsjahr geschuldet?) bietet der Tagungsband ein eher durchwachsenes Bild – gerade auch angesichts der Ergiebigkeit und Triftigkeit der beiden Leitbegriffe – und wirft die Frage auf, ob das Bernhard’sche Werk nicht womöglich schon überforscht ist. Ob die noch ausstehende Auswertung des bisher größtenteils unter Verschluss gehaltenen Nachlasses im Bernhard-Archiv neue Impulse geben kann, bleibt abzuwarten.

Titelbild

Mireille Tabah / Manfred Mittermayer (Hg.): Thomas Bernhard. Persiflage und Subversion.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2013.
230 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783826050374

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