Lachen hinter dem Abgrund

Der aktuelle Band des „treibhaus’“ beschäftigt sich mit Komik, Satire und Groteske in der Literatur der 1950er-Jahre

Von Jens PriwitzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Priwitzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer heutzutage an die 1950er-Jahre denkt, der kann sich kaum vorstellen, dass man in dieser Zeit befreit auflachen konnte. Gewiss gab es Komiker wie Heinz Erhardt und Filmstars wie Heinz Rühmann oder Hans Albers drehten weiterhin Filmkomödien. Alle drei sind bis heute populär. Ihre Sketche und Filme laufen nach wie vor erfolgreich im Fernsehen oder werden in den unterschiedlichsten Editionen auf DVD und BluRay vermarktet. Doch dieser Humor scheint eher wie ein Lachen im Walde zu sein, das vom Wesentlichen ablenken soll. Denn angesichts von Nationalsozialismus und Holocaust sowie den heißen Fronten des Kalten Kriegs hat diese Komik so gar nichts Kathartisches an sich. Deshalb tendiert sie in den 1950er-Jahren, und zwar dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs, sofern sie nicht gerade unliebsame Erinnerungen oder zeitgeschichtliche Befürchtungen weglachen will, eher in Richtung Satire und Groteske.

Genau diesem Dreigestirn von Komik, Satire und Groteske in den 1950er-Jahren gehen die unterschiedlichen Beiträge nach, die im „treibhaus“ versammelt sind. Inspiriert durch den Titel des berühmten Nachkriegsromans von Wolfgang Koeppen vertritt das „Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre“ den Anspruch, dieses Jahrzehnt in seinen Bänden thematisch neu zu durchleuchten und unser Bild der 1950er-Jahre (Wirtschaftswunder und sozialistischer Aufbau, kulturell konservativ und sozial restaurativ hüben wie drüben) perspektivisch zu erweitern. In zwei Teilen versprechen die Herausgeber Günter Häntzschel, Sven Hanuschek und Ulrike Leuscher, neue Einblicke auf die komischen, satirischen und grotesken Seiten (in) der Literatur zu geben. Der erste, „Passagen“ genannt, beinhaltet Artikel, die Werksbiografien von Autoren und die Sozialgeschichte der Literatur in jenem Jahrzehnt beleuchten, während der zweite Teil, „Stationen“, sich mit einzelnen Werken (fünf Romane, ein Drama und ein Film) beschäftigt.

Donald Duck und die „Diestel“ – West-östliche Kriegsspiele

Der Band beginnt mit einer spannenden Untersuchung von Susanne Luber über Donald-Duck-Comics der 1950er-Jahre. Die Autorin ist selbst aktives Mitglied bei der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (kurz: D.O.N.A.L.D.) und wohl daher prädisponiert für dieses Thema. Luber identifiziert zwei Personen, die entscheidend für die Befreiung des Comics von „Schmutz und Schund“-Vorwürfen sowie die allmähliche Aufweichung der Grenze zwischen U- und E-Literatur: der US-Zeichner Carl Barks und die Übersetzerin Erika Fuchs. Während Barks viele Figuren und hunderte Geschichten im Entenhausen-Universum ersonn und aufs Papier brachte, übersetzte Fuchs die Storys nicht einfach nur, sondern übertrug sie von einer Kultur in die eigene und schuf damit eine eigenständige Variante für den deutschen Sprachraum. Von Alliterationen und Onomatopöien bis hin zu raffinierten Klassikerparodien reicht das Spektrum der Stilmittel. Dass sich Fuchs’ sprachliche Innovationen als folgenreich für die Umgangssprache und die Mentalität der Deutschen erwiesen, ist mittlerweile unumstritten: vor allem die Inflektive – „stammel“, „hüstel“, „schnief“ oder „kicher“ – sind legendär.

Luber vermag glänzend die unterschiedlichen Felder aufzuzeichnen, in denen Erika Fuchs einem US-amerikanischen Comic ihre unverkennbar eigene Note zu geben vermochte. Der Wortwitz und das Sprachspiel waren dabei ihre bevorzugten Mittel. Ganz wie Carl Barks vermochte sie, Figuren auf einem Höhenflug wieder mit dem Boden der Realität bekannt zu machen, gelegentliche sprachliche Bruchlandungen der Übersetzerin mitinbegriffen: Beispielsweise spielen Donalds Neffen „Sturzkampfbomber“, und in Entenhausen ist das „Abbruchunternehmen Alfons Blitzkrieg jr.“ mit dem Slogan „Da bleibt kein Stein auf dem anderen“ tätig. Zugleich aber etablierten die Duck-Geschichten die Micky-Maus-Hefte als Medium der Amerikanisierung Westdeutschlands, das die Kinder der Nachkriegsgeneration mit der amerikanischen Lebensweise, der Populärkultur und der Konsumwelt bekannt machte, inklusive dem sprichwörtlichen „reichen Onkel aus Amerika“. Entenhausen erschien als strahlender Ort der Zukunft, an dem Technik das Leben erleichtert – auch wenn „strahlend“ durchaus doppeldeutig zu verstehen ist. Denn Radioaktivität scheint kein Problem zu sein. Donald vermag dadurch sogar seine Neffen zu überrumpeln, als diese sich vor dem samstäglichen Bad verstecken: „Vor Schmutz starrend, wie sie sind, wird es mir ein Leichtes sein, sie mit dem Geigerzähler aufzufinden.“

Die Amerikanisierung in Westdeutschland wurde auch in der DDR genau registriert. Für das Ostberliner Kabarett „Die Diestel“ war dies Anlass, den Gegensatz von Ost und West im kindlichen Sprachgebrauch unvermittelt aufeinanderprallen zu lassen. Im elften Programm, das im April 1958 unter dem Titel „Liebe und Raketenbasen“ Premiere feierte, zeigt die Nummer „West-östliche Kinderspiele“ den Schlagabtausch des Kalten Krieges als Spiel zwischen zwei Kindern. Beide entstammen jeweils einem der feindlichen Lager – und auch wenn das Alter sie verbindet, so gehört ihre Sprache doch zu verschiedenen Welten. Während das Berlinerisch des Mädchen mit amerikanischen Ausdrücken durchsetzt ist („Du musst sweetheart zu mir sagen und mich zu eener Treff-party einladen, weil du doch mein boyfriend bist …“), spricht er im Jargon der Jungaktivisten („Von meinem Bruder kenn ick det bloss so, det er ihr zum Jugendforum mit Schwofbeilage einlädt …“). Doch das Stück bleibt nicht bei der antiwestlichen Stoßrichtung stehen, sondern verleiht dem kindlichen Kriegsspiel eine überraschende Wendung. Denn anstatt „auf den Knopp“ zu drücken, bis alle gestorben sind, und sich dann zu vertragen, fragt der Junge scheinbar naiv: „Ja – aber sag mal – könn’ wir uns da nich lieber gleich vertragen?“

Dieses Unterlaufen staatlich vorgegebener Richtlinien über die Art und Weise politischen Kabaretts in der DDR war, wie Tiziana Urbano in ihrem Beitrag überzeugend nachzeichnen kann, ein besonderes Merkmal der „Diestel“. Seit Herbst 1953 bestand das Kabarett im Ostteil Berlins, das zunächst eine Ventilfunktion übernehmen sollte. Nach dem gescheiterten Volksaufstand um den 17. Juni bestand die Funktion der Satire darin, „ein genehmigtes und kontrollierbares Mittel der Kritik an Staat und Gesellschaft“ zu sein. Doch die dargestellten Tücken des sozialistischen Alltags erwiesen sich als hartnäckiger als von der SED verheißen, so dass jedes Programm des Kabaretts einen langwierigen Zensurprozess zu durchlaufen hatte. Von der Konzeption bis zur Uraufführung musste jede Nummer und jede Änderung überprüft und genehmigt werden, und zuletzt musste auf die Zustimmung einer Abnahmekommission gehofft werden. Die Kabarettisten erwiesen sich dabei als recht einfallsreich, die Aufmerksamkeit der Zensoren von den wichtigen Kritikpunkten ab- und auf Nebensächlichkeiten hinzulenken. Doch spätestens Ende der 1950er-Jahre geriet auch die „Diestel“ ins Visier der Staatssicherheit. Und für die SED bestand der Sinn der Satire nun vor allem darin, als Propaganda-Mittel im Kalten Krieg zu dienen. Da das Kabarett nun stärker den Kampf gegen den Imperialismus zu unterstützen habe, wurden auch die Stücke immer linientreuer – und Denkanstöße für das Publikum immer versteckter.

Das Lachen nach der Apokalypse

Die meisten Autorinnen und Autoren des aktuellen Treibhaus-Bandes versuchen, Komisches aus dem Kontext heraus zu erklären. Komik resultiert dabei aus einer mehr oder minder intendierten Abweichung, die kulturell und historisch sehr variabel sein kann. Eine Definition „des“ Komischen lehnen solche Kontextualisten wohl in der Mehrzahl ab. Doch würden sie es bei der Analyse immer schon voraussetzen, behauptet Sophia Wege in ihrem Aufsatz zu Arno Schmidts Roman „Schwarze Spiegel“. Und die Universalisten wären außerstande, ein handfestes und praktikables Analyse-Modell zu liefern. Deshalb orientiert sich die Autorin stattdessen an einem empirisch-naturalistischen Ansatz, der sich an Erkenntnissen der Kognitions- und Evolutionsbiologie orientiert und stark von Tom Kindts Habilitationsschrift „Literatur und Komik“ (2011) geprägt ist. Denn kulturell geprägter und anthropologischer Humor wird nun als zusammenhängend gedacht: „Die universale evolvierte Humordisposition des Menschen sorgt dafür, dass kontextbedingt variable inkongruente Phänomene als komisch wahrgenommen werden können.“

So erhellend dieser neue Ansatz in der Komik-Theorie auch ist, so schnell zeigt er seine Grenzen, wenn es um die Analyse eines einzelnen Werkes geht. Dabei ist Schmidts Roman „Schwarze Spiegel“ überaus treffend gewählt, weil er ebenfalls „den kognitiven Ursprung und die soziale emotionale Funktion von Komik“ thematisiert. Der Roman spielt nach einem fiktiven Atomkrieg und beschreibt in Ich-Form den Alltag in einer postapokalyptischen Landschaft. Wie Wege überaus treffend feststellt, resultiert die Komik des Romans aus der Wahrnehmung des Protagonisten, der versucht, sein von Einsamkeit geprägtes Leben emotional und intellektuell zu bewältigen. Sein Witz und seine Ironie machen vor nichts halt, auch nicht vor der eigenen Person. Spiel und Ernst erweisen sich damit als konstitutive Elemente des Romans, doch wie genau der Brückenschlag zur Biologie gelingen soll, bleibt in dieser Studie offen. Denn einerseits kann Wege die unterschiedlichen Strategien, Komik in Zeiten der Katastrophe zu erzeugen, genau aufzeigen und differenzieren, andererseits ist fraglich, ob das Lachen bei der Lektüre dem Schmidt-Leser helfen kann, sich für reale Situationen mit potenziell tödlichen Inkongruenzen vorzubereiten.

Das Lachen ist mit Sicherheit auch Heiner Müller im Halse stecken geblieben, als seine Komödie „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ nach der Uraufführung verboten wird. Zusammen mit Regisseur Bernd Klaus Tragelehn und dem FDJ-Studententheater der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst hatte Heiner Müller zwischen 1959 und 1961 die Spielfassung erarbeitet. Nach den früheren Stücken „Der Lohndrücker“ und „Die Korrektur“, die den Wiederaufbau in der DDR thematisierten und ebenfalls von der Laien-Theatergruppe einstudiert worden waren, sollte die Komödie „Die Umsiedlerin“ sich nun mit der „Sozialistischen Bodenreform“ einem für Müller vertrauten Thema zuwenden. Seinen Stoff fand Müller, als er in den Jahren 1946-47 in der Kleinstadt Waren – im Herzen Mecklenburgs gelegen – im Landratsamt tätig war. Dort wurde er mit den Sorgen, Beschwerden und Problemen der Bauernschaft konfrontiert, die sich einer Neugestaltung ihrer vertrauten Umgebung ausgesetzt sah. Hätte Müller „Die Umsiedlerin“ als typisches „Agrodrama“ beziehungsweise „Landstück“ (Wolfgang Emmerich) geschrieben, so wäre das Lachen des Publikums in der Komödie das Gelächter des historischen Siegers gewesen.

Wie Thomas Zenetti in seinem sehr erhellenden Beitrag deutlich macht, wich Müller aber in etlichen entscheidenden Punkten vom offiziellen Komödien-Verständnis deutlich ab. Schon die Figur des Fondrak ist alles andere als ein Vertreter des „Neuen Menschen“ des Sozialismus: hemmungslos egoistisch, verantwortungsscheu und dauer-alkoholisiert. Damit weicht er konsequent von allen an ihn gerichteten Erwartungen ab und misst den neuen Staat danach, wie weit dieser im Stande ist, Fondraks Bedürfnisse zu befriedigen: „Ein Bier, und vor dir steht ein Kommunist.“ Doch auch etliche andere Elemente zeigen, dass beim Aufbau der neuen Gesellschaft immer wieder wichtige Dinge auf der Strecke bleiben: die Ausgabe der Grenzsteine gerät zur Slapstick-Nummer, Neubauer Ketzer erhängt sich wie sein Vater und sein Großvater, weil er seine Schulden nicht begleichen kann – die notwendigen Traktoren aus der Sowjetunion lassen einfach zu lange auf sich warten. Müllers Stück legte offensichtlich den Finger in die richtige Wunde – doch dem Staat DDR fehlte „die nötige Souveränität […], um eine witzig vorgetragene und obendrein solidarische Kritik mit Gelassenheit aufzunehmen.“ Statt sich heiter mit der Utopie zu beschäftigen, schlug Müller den Weg zur grimmigen Groteske ein.

Die Kontextualisten bleiben unter sich

Wie die vorgestellten sowie die übrigen Beiträge des aktuellen Treibhaus-Bandes deutlich machen, lassen sich Komik, Satire und Groteske in Literatur, Comic, Film und Theater der 1950er-Jahre, in der BRD und der DDR, nicht in einfache Kategorien zwingen. Zwar half das Lachen dabei, die jüngste von Nationalsozialismus und Weltkrieg geprägte Zeit zu verdrängen, aber dabei blieben Kabarettisten, Romanschreiber und alle übrigen Humoristen nicht stehen. Mit ihren Werken nahmen sie die unmittelbare Vergangenheit aufs Korn, sezierten messerscharf die noch präsenten Traumata und hielten die gegenwärtigen Wunden offen.

Doch die meisten Studien des Bandes haben gemeinsam, dass sie von einem Hauch von Wehmut durchzogen sind. Das tödliche Potenzial der Texte, Filme oder Aufführungen, im Ernst gemeinten Scherz die Verwerfungen zu glätten und Denkanstöße zu geben, fand kaum Widerhall. So ist es kein Wunder, dass bis heute die Komödien von Erhardt und Rühmann populärer sind. Denn wer sich mit dem Humor der 1950er-Jahre auseinandersetzt, trifft auf beißenden Spott genauso wie auf grotesken Spaß, der immer noch verletzen kann.

Wer auf methodische Vielfalt in der Herangehensweise der einzelnen Beiträge hofft, wird enttäuscht. Denn in der Mehrzahl entpuppen sich die Autorinnen und Autoren des Treibhauses-Bandes als Kontextualisten, wie Sophia Wege sie beschreibt, die zwar gründlich ihren Michail Bachtin (Literatur und Karneval) gelesen haben, doch nur in den wenigsten Fällen seine Theorie des Grotesken überhaupt den Gegebenheiten der 1950er-Jahre entsprechend modifizieren. In den Überblicksdarstellungen des ersten Teils – „Passagen“ genannt – dominiert zudem eine historische Perspektive, die den kontextuellen Rahmen sehr weit absteckt und deshalb auch die verschiedensten Elemente als Humor auffassen kann. Schon hier, noch deutlicher dann aber im zweiten Teil – den „Stationen“, die sich mit einzelnen Werken befassen – wird das zweite Problem einer literaturwissenschaftlichen Komik-Ausdeutung sichtbar: Wenn man den Humor der Werke ausdekliniert und die jeweilige Diskrepanzen – wie sorgfältig auch immer – nacheinander durchbuchstabiert, so verflüchtigt sich leicht der Esprit, dem man eigentlich nahe kommen wollte. Daher ist zu hoffen, dass sich bald weitere Studien anschließen werden, um die Komik, die Satire und die Groteske der 1950er-Jahre noch schärfer in ihren ganzen Verstrickungen und ihrem Potenzial für die Gegenwart fassen zu können.

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Günter Häntzschel / Ulrike Leuschner / Sven Hanuschek (Hg.): treibhaus. Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre. 8/2012: Komik, Satire, Groteske.
edition text & kritik, München 2012.
269 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783869162027

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