Trauernde Männer

Über den von Toni Tholen und Jennifer Clare herausgegebenen Sammelband „Literarische Männlichkeiten und Emotionen“.

Von Veronika SchuchterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Schuchter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der unter anderem von Thomas Anz konstatierte emotional turn hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel und die kulturwissenschaftliche Emotionsforschung erfreut sich noch immer größter Beliebtheit. Sich „Literarische Männlichkeiten und Emotionen“ als Thema auszusuchen, birgt also erst mal kein allzu großes Risiko. Der zeitliche Rahmen reicht von der römischen Republik bis in die Gegenwart – ein beachtlicher Zeitraum für den nur acht Beiträge umfassenden Sammelband.

Ein Beitrag stammt aus der Alten Geschichte, zwei mediävistische Aufsätze, Dramen des 18. und 19. Jahrhunderts, das bürgerliche Trauerspiel, zwei Texte von Max Frisch und Andreas Baader als literarische Figur: Die kurze Aufzählung lässt die thematische Zusammenstellung etwas zufällig erscheinen. Es ist müßig, den fehlenden roten Faden von Sammelbänden zu monieren, doch hier werden tatsächlich sehr weit verstreute Schlaglichter auf das Thema geworfen, die das Dunkel insgesamt nur punktuell erhellen, auch wenn sie einzeln durchaus aufschlussreich und interessant sind.

Der Ansatz, die kulturellen Codierungen der binär gekoppelten Oppositionspaare Männlichkeit/Rationalität und Weiblichkeit/Emotionalität einer durchgängig dekonstruierend ausgerichteten Überprüfung zu unterziehen, und zwar aus einer literaturwissenschaftlichen, an interdisziplinären Ergebnissen der Männlichkeitsforschung orientierten Perspektive, kann nur dankbar aufgenommen werden. Leider, und auch das ist ein Manko, das die meisten Aufsatzsammlungen nicht zu überwinden vermögen und dem vorliegenden Band daher nicht im Speziellen anzukreiden ist, bietet der Band keine innovative theoretische Grundlage für eine weiterreichende literaturwissenschaftliche Emotionsforschung. Dennoch wird ein komprimierter und hilfreicher Überblick über den aktuellen Forschungsstand geboten, spannende Einzelstudien und vor allem wird die Vielschichtigkeit eines Themas aufgezeigt.

Chronologisch gesehen zeichnen die Beiträge eindrucksvoll eine Genealogie hegemonialer Männlichkeiten, an der sich Emotionen als Affirmation oder Negation gesellschaftlicher Männlichkeitskonstrukte zu messen haben. Methodisch gesehen werden verschiedene Zugangsmöglichkeiten durchexerziert, was widerum den reduktionistischen Stempel, mit dem die Genderforschung immer noch zu kämpfen hat und wahrscheinlich immer haben wird, abwehrt. Die einzelnen Beiträge geben eben nicht nur Aufschluss über die (Re-)Produktion von Geschlechterrollen, sondern liefern auch Erkenntnisse über narrative Techniken (Klaus Wieland), Erinnerungskulturen (Katharina Weggen) oder zeigen die vielfach übersehene konzeptionelle Vielfalt des bürgerlichen Trauerspiels auf (Weertje Willms).

Klaus Wieland arbeitet penibel die narrative Struktur von Max Frischs „Homo Faber“ und „Montauk“ heraus. Beide Erzählerfiguren erfahren in ihrem Älterwerden eine „emotionale Konversion“, die sich einmal als Intensivierung („Homo Faber“), einmal als Abschwächung von Gefühlen („Montauk“) zeigt, wobei gerade in „Homo Faber“ die Hauptfigur Emotionen eine extreme geschlechtliche Codierung zuweist. Der Ingenieur Faber verkörpert in seinem Glauben an Fakten und Rationalität – der von Wieland gewählte Begriff des „Nerds“ erscheint doch etwas flapsig – und seiner Rücksichtslosigkeit zunächst den Typus jener hegemonialen Männlichkeit, die sich trotz der zunehmenden Porosität der Geschlechterrollen bis heute hartnäckig hält. Die emotionale Konversion führt zu einer Integration des weiblich-metaphysischen in Fabers Identität und damit zu einer Verwischung geschlechtlicher Codierungen überhaupt.

Hervorzuheben ist auch Jennifer Clares Untersuchung zu Andreas Baader als literarischer Figur. Präzise analysiert Clare an der Beispielfigur Baader gängige RAF-Narrative, die stark vom Geschlecht der Protagonisten geprägt sind. Da als Vorbild für die Fiktionalisierung nie die Person Andreas Baader, sondern das medial vermittelte Bild fungieren muss, wird gleichzeitig als Folie das Medienphänomen unter die Lupe genommen, das aus dem Terroristen eine Ikone machte.

Insgesamt ist der vorliegende Band gelungen, auch wenn die einzelnen Themen sehr speziell sind und der Schlaglichtcharakter bis zuletzt nicht überwunden wird. Bemerkenswert ist, dass gerade Trauer und Schmerz und ein intensives Gefühlsempfinden die männlichen Figuren in beinahe allen Beiträgen dominieren, was die häufig so leichtfertig konstatierte Vorstellung einer defizitären Männlichkeit deutlich widerlegt.

Titelbild

Jennifer Clare (Hg.) / Toni Tholen: Literarische Männlichkeiten und Emotionen.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2013.
225 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783825359683

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