Die geheimnisvolle Gräfin

Günter de Bruyn erzählt vom Leben und Lieben Elisa von Ahlefeldts (1788-1855)

Von Marie Isabel Matthews-SchlinzigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marie Isabel Matthews-Schlinzig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bitte um das einfachste und wenigst kostspielige Begräbnis. Will gleich nach meinem Ableben in eine Decke oder ein Bettlaken ganz verhüllt, niemandem sichtbar bleiben, in den Kleidern, in welchen ich gestorben bin, ohne Wäsche und Berührung; und bitte meine Erben, meine Pflegerin nach dem Bestand meines geringen Nachlasses zu belohnen. Berlin, den 21. Januar 1849. Elisa Gräfin Ahlefeldt-Laurvig”. Kaum zufällig gehören diese Zeilen zu den wenigen Zeugnissen, die von Gräfin Elisa, wie Günter de Bruyn sie nennt, handschriftlich überliefert sind. Im Gegensatz zu manch anderem Zeitgenossen, der seinen Nachlass sorgfältig ordnete, um sich einen Platz im gemeinschaftlichen Gedächtnis zu sichern, suchte die Gräfin die von ihr hinterlassenen Spuren zu verwischen.

Geheimnisfülle ist ein wichtiges Charakteristikum im Leben dieser bemerkenswerten Frau: Man sagte der geborenen Dänin, die Zeitgenossen als schön, klug und gemütvoll beschrieben, bereits in jungen Jahren eine uneheliche Tochter nach (und dichtete ihr im 20. Jahrhundert Hans Christian Andersen als weiteres illegitimes Kind an). Spätere Lebensabschnitte der Gräfin bleiben aufgrund der spärlichen Quellenlage ebenfalls im Dunkeln. Erstaunlicher als jedes Gerücht ist allerdings, was man von ihr weiß: So rekrutierte sie etwa zur Zeit der Befreiungskriege in Breslau Freiwillige für das Korps ihres damaligen Ehemanns, Adolf Freiherr von Lützow. Welch wichtige Rolle Elisa für seine Truppe spielte, zeigt das ihr verliehene Eiserne Kreuz, einer, wie de Bruyn hervorhebt, in der Zeit sehr selten an Frauen verliehenen Auszeichnung.

Diese Zeit der gemeinsamen Anstrengung vermochte die Ehe in Friedenszeiten nicht zu unterhalten: 1825 verließ Elisa ihren Mann zugunsten des Autors Karl Immermann. Dieser aus Sicht zeitgenössischer Moral skandalöse Schritt in eine uneheliche Beziehung mit einem jüngeren Bürgerlichen kann kein leichter gewesen sein. Wie die Gräfin darüber dachte, bleibt, so de Bruyn, Spekulation, da Briefe des Paars aus dieser Zeit nicht erhalten sind. Das Selbstbewusstsein, welches aus Elisas Verhalten spricht, bestätigt sich darin, dass sie, die finanziell durch eine familiär gewährte Rente unabhängig war, Immermann trotz seiner Bitte nicht ehelichte. Während ihres Zusammenlebens wuchs der Ruhm des Dichters. Elisa, schreibt ihr Biograf, hielt sich im Hintergrund, hatte jedoch „an der Entwicklung von Immermanns literarischen Kräften entscheidenden Anteil […], was von ihm auch immer anerkannt worden ist.” Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab, die Gräfin nach über zehn Jahren für eine erheblich jüngere, heiratswillige Frau zu verlassen.

Auf Anraten ihrer Freundin Johanna Dieffenbach und mit der ihr eigenen Entschiedenheit vollzog Elisa einen klaren Bruch. Nach einer gemeinsamen Italienreise gründeten die Frauen einen Hausstand mit literarischem Salon. Zu dessen regulären Besuchern und den engen Vertrauten der Gräfin zählte Ludmilla Assing, Nichte Karl August Varnhagen von Enses, später Sachwalterin seines Handschriften-Archivs und erste Biografin Elisas. Sie schildert die Gräfin in ihren späten, von der 1848er-Revolution geprägten, Jahren als eine primär an Kunst und Poesie Interessierte, die sich gern der Zeit der Befreiungskriege erinnerte und deren tolerante Einstellung es möglich machte, Gäste unterschiedlichster politischer Überzeugungen in ihrem Salon zu begrüßen. Ludmilla von Assing war es auch, die den spärlichen Nachlass Elisas, aus dem zu Beginn zitiert wurde, dem Archiv ihres Onkels hinzufügte und damit der Nachwelt erhielt.

Die hier in groben Zügen umrissene Biografie Elisa von Ahlefeldt–Laurvigs erzählt de Bruyn in seiner gewohnt klangvollen Prosa als eine Geschichte, die mit vielen anderen verwoben ist. Derart erfährt man nicht nur mehr über diese ebenso kultivierte wie couragierte Frau, die gelernt hatte, angesichts gesellschaftlicher Vorurteile ihre Distanz und damit auch Unabhängigkeit zu wahren: Man begleitet Lützow vor wie nach seiner Ehe, erfährt vom tragischen Schicksal Leutnant Friesens, einer unerfüllten Liebe der Gräfin, liest von Immermann und dessen zweiter Frau, Marianne Niemeyer (später Wolff), lernt Johanna Dieffenbach kennen, Ludmilla Assing und viele andere. Nicht zuletzt auf diese Weise fügt sich dieser schmale Band ein in die Reihe von Personen- bzw. Zeitporträts mit Bezug auf das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert, die man vom Autor kennt und schätzt. Stellvertretend genannt seien hier nur zwei: Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende (Berlin: Siedler, 2001) und Die Zeit der schweren Not. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807 bis 1815 (Frankfurt am Main: S. Fischer, 2010).

Mancher mag sich daran stören, dass de Bruyn, der die von seinem Gegenstand eng gezogene Grenze des Privaten insgesamt respektiert, stellenweise doch ins Spekulative oder Vereinfachende abzugleiten droht: etwa wenn er Elisas Motiven, kein zweites Mal zu heiraten, nachgeht oder die für Immermanns Trauerspiel Cardenio und Celinde zentrale Eheverweigerung als Ausdruck der Seelenlage seines Autors liest. Indes erscheint dieses Vorgehen angesichts der spärlichen Quellenlage verzeihlich. Wirklich bedauert hat die gespannte Leserin dagegen, nicht mehr von dem italienischen Reisebericht der Gräfin zu erfahren, der sich in der Sammlung Varnhagen befindet, den de Bruyn aber nur mit einem Satz zitiert.

Letztlich ist es jedoch das diskrete Einfühlungsvermögen des Autors, das den Reiz dieser wie aller seiner Biografien ausmacht. Mit unverhohlener Sympathie, Neugier und stets kenntnisreich lässt er seine historischen Hauptpersonen und ihre Zeit für den Leser lebendig werden. Man wünscht sich, trotz oder gerade wegen seines fortgeschrittenen Alters, noch viele solcher Bücher von Günter de Bruyn.

Titelbild

Günter de Bruyn: Gräfin Elisa. Eine Lebens- und Liebesgeschichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012.
191 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783100096432

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