Eine gescheiterte Gleichberechtigung von ,Marginalexistenzen‘ – Irene A. Diekmann hat einen Band über das „Emanzipationsedikt von 1812 in Preußen“ herausgegeben

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irene A. Diekmann hat anlässlich des vergangenen 200. Jahrestags der Erlassung des sogenannten Emanzipationsediktes von 1812 eine Sammlung historiografischer Beiträge vorgelegt, die auf eine wissenschaftliche Tagung des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien im März 2012 zurückgehen. Sie geben einen Überblick über die zeitgenössischen Diskussionen und die späteren Auswirkungen des Edikts auf die Situation der Juden in Preußen.

Der Potsdamer Historiker Julius H. Schoeps stellt in seinem Eröffnungsbeitrag fest, dass man das Verhältnis zwischen der christlichen Mehrheitsgesellschaft und den Juden bis Ende des 18. Jahrhunderts schlicht als „Nichtbeziehung“ mit einem deutlichen „rechtlichen Gefälle“ charakterisieren müsse: „Reglementierungen bestimmten den Alltag der Juden. Bis auf einige wenige Privilegierte, denen Sonderrechte gewährt worden waren, lebte die Mehrzahl der Juden nicht integriert, sondern ausgegrenzt und am Rande der Gesellschaft. Sie waren fremde, Nichtdazugehörige, so etwas wie Marginalexistenzen in einer Welt, die glaubte, ohne Juden auskommen zu können.“

In dieser Situation freute sich die ausgegrenzte und vielfach drangsalierte Minderheit am 11. März 1812 über das Emanzipationsedikt „betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“, das ihnen die Staatsbürgerschaft zuerkannte. Das Gesetz war ein wichtiger Schritt, brachte allerdings auf lange Sicht nur wenig, wie Diekmanns Band perspektivenreich unterstreicht: Noch hundert Jahre nach Erlassung des Edikts, im Jahr 1912, stellte „Die Allgemeine Zeitung des Judentums“ in einer ernüchternden Bilanz zur Zentenarfeier fest, die Juden seien „auch heute […] nicht als ebenbürtige Staatsbürger anerkannt“. Drei Jahrzehnte später hatten die Deutschen bereits einen Großteil von ihnen ermordet und die wenigen Überlebenden in alle Welt vertrieben: Die „Zukunftsgarantie“, als die das Emanzipationsedikt einmal begriffen werden konnte, war damit endgültig Makulatur geworden.

J. S.

Titelbild

Irene A. Diekmann (Hg.): Das Emanzipationsedikt von 1812 in Preussen. Der lange Weg der Juden zu >Einländern< und >Preussischen Staatsbürgern<.
De Gruyter, Berlin 2013.
382 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110319309

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