Bilder, die mehr wissen als man selbst

Über Tanja Langers Edvard-Munch-Roman

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Norweger Edvard Munch, am 12. Dezember 2013 vor 150 Jahren geboren, ist zweifellos einer der bekanntesten und auch einflussreichsten Künstler Europas, der, vor allem mit seinen symbolistischen Bildern, den Expressionismus mit begründet hat, wenngleich er keineswegs als Expressionist rubriziert werden kann. „Der Schrei“, „Angst“, „Melancholie“ oder der „Kuss“ sind die Bilder des von Munch so genannten „Lebensfrieses“, in denen er scheinbar unsagbare Gefühle auszudrücken versuchte. Und wenn heute von Munch die Rede ist, wird man unwillkürlich an diese Bilder denken.

Vor der Natur zu malen, sie abzubilden, war nicht die Sache des unsteten Künstlers, der die Unbill des Lebens mit Alkohol, Nikotin und Frauen zu ertragen versuchte. Ein Wendepunkt seines Lebens war das Jahr 1908. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in einer Kopenhagener Nervenklinik änderte Munch sein Leben radikal. Er entsagte den süßen Giften und – freudianisch ausgedrückt – sublimierte das bisweilen unerträgliche Leben mit seiner Kunst. Er sah nun die Landschaft, die ihn auf seinem Gut Ekely bei Oslo reichlich umgab und er sah die Menschen, die um ihn herum lebten.

Der 150. Geburtstag ist ein guter Anlass, sich diesem einzigartigen Künstler in Romanform zu nähern. Tanja Langer tut das auf einfühlsame Weise mit ihrem Roman „Der Maler Munch“. Schon 2006 hatte sich die Autorin in „Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte“ mit Munch beschäftigt. Dort hat sie sich über ihre Romanfigur Eva den Bildern Munchs genähert und ist mit dem Künstler in eine Art imaginierten Dialog getreten, der das Leben der Figur Eva verändert hat.

Nun ist Tanja Langer einen Schritt weiter gegangen und lässt Munch zu seinem Recht kommen, der nun allein im Mittelpunkt ihres Romans steht. Sie eröffnet so, jenseits einer Biografie, neue Sichtweisen auf den Künstler und seine Bilder.

Der Roman gliedert sich in drei Teile, in die Zeit vor 1908, die vor allem durch seine (gescheiterte) Liebesbeziehung zu Tulla Larsson geprägt ist, den mehrmonatigen Aufenthalt in der Nervenheilanstalt in Kopenhagen und schließlich das Lebensende, das manchen Anlass zu Rückblicken bietet. Ist der erste Teil geradezu unruhig auch im Erzählton und den Schauplätzen, so dass die aufkommende Verzweiflung und Depressionen Munchs auch in der Konstruktion sichtbar werden, konzentrieren sich im zweiten Teil Ton und Thema, um schließlich im dritten Teil in einen ruhigeren Erzählstrom zu münden.

Tanja Langer wählt für ihre Annäherung die Assoziation, nutzt Andeutungen und konzentriert sich auf die Bilder und deren Beschreibungen, die für sie am meisten über Munch und seine Stimmungen aussagen. Langer überstrapaziert dieses Verfahren der Bildinterpretation jedoch nicht, sondern bleibt meist im Bereich des Faktischen und des Überprüfbaren. Gleichwohl nimmt sie sich die dichterische Freiheit, ihre Imaginationen auf Munch zu übertragen, und zwar durchaus auch im psychoanalytischen Sinn. Genau darin liegt der Reiz dieses Romans, genau deshalb eröffnet er neue Sichtweisen auf diesen faszinierenden Künstler.

Immer wieder taucht in dem Roman ein Originalzitat von Munch auf: „Ich male nicht, was ich sehe. Ich male, was ich sah.“ Damit bestätigt Munch, dass es ihm nicht um das Malen nach der Natur, sondern um seine subjektive Sicht geht, die allerdings in seinen Bildern als Kunstwerke objektiviert werden. Das bekräftigt der Leiter der Nervenheilanstalt und Therapeut Munchs, wenn er zu ihm (im Roman) sagt: „Ihre Bilder wissen mehr als Sie.“ Exakt dieser Spur folgt Tanja Langer. Sie versucht, die den Bildern zugrunde liegenden Geschichten nachzuerzählen, um so einen Blick in die Seele Munchs riskieren zu können. Sie tut das, ohne ihn zu verletzen oder bloßzustellen. So wird dieser Roman zu einer schönen Liebeserklärung an die Kunst eines großen Malers, der als Alltagsmensch wohl nicht ganz einfach war.

Der Roman von Tanja Langer ist eine wunderbare Würdigung Edvard Munchs, durch die wir angeregt werden, seine Bilder aufs Neue anzuschauen, uns in sie zu versenken, nun mit einem neuen, von Tanja Langer gelenkten Blick. Das hätte dem Alten auf Ekely sicher gefallen.

Titelbild

Tanja Langer: Der Maler Munch. Roman.
Buchverlage LangenMüllerHerbig, München 2013.
232 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783784433356

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