Hoffnung ohne Verfallsdatum

Ulla Hahns „Gesammelte Gedichte“ zeigen sie als souveräne Interpretin der menschlichen Höhen und Tiefen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ulla Hahn (Jahrgang 1946) zählt zu den wichtigsten Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen der deutschen Gegenwartsliteratur. Mit ihren ersten Gedichten Anfang der 1980er-Jahre erntete sie bereits Aufmerksamkeit und Anerkennung. Seitdem veröffentlicht Hahn Lyrik, Prosa, Artikel und Essays, dabei hat sie einmal selbst bekannt: „Mein Geliebter ist die Lyrik, verheiratet bin ich mit der Prosa.“

Nun ist mit „Gesammelte Gedichte“ eine wichtige Würdigung an ihren „lyrischen Geliebten“ erschienen. Allein der Umfang von 880 Seiten macht schon deutlich, wie umfangreich und vielseitig das lyrische Schaffen von Ulla Hahn in den zurückliegenden dreißig Jahren war.

Der Band versammelt alle veröffentlichten Gedichte aus ihren früheren Lyrikbändchen – von „Herz über Kopf“ (1981) bis zu „Wiederworte“ (2011), die ausnahmslos zuerst bei DVA erschienen. Mit aufgenommen wurde auch der Privatdruck „schloss umschlungen“ zur 800-Jahr-Feier der Stadt Heidelberg von 1996 und die hier zum ersten Mal gedruckten Gedichte „fünfte Jahreszeit“.

Das inhaltliche Spektrum der Gedichte ist breit gefächert. Die Themen ihrer ersten lyrischen Äußerungen waren neben dem Leben und dem Alltag – sie stammte aus einer katholischen Arbeiterfamilie – vor allem der individuelle Glücksanspruch und die Suche nach Liebe in einer von Vernunft und Technik beherrschten Welt. Entgegen dem Zeitgeist hat sie diese Inhalte immer wieder in den Mittelpunkt ihres Schreibens gerückt und ist ihnen auch in den späteren Gedichte treu geblieben – zur Freude ihrer großen Fan-Gemeinde.

Ulla Hahn genügen wenige Worte, um ihre Gedanken spürbar werden zu lassen. Oft hat man den Eindruck, als schreibe sie zu ihrer eigenen Erklärung, zur Selbsterforschung und Therapie – gewissermaßen Gedichte, in denen die Autorin mit drin ist. Aber diese Gedichte können dem Leser die Welt erklären, die Höhen und Tiefen verstehen und erträglicher machen. Lyrik als Lebenshilfe: „Aber die Hoffnung hat kein Verfallsdatum“. Dabei gestaltet die Autorin auch vielfältige Beziehungen zu ihren literarischen Vorbildern und gibt poetische Schreibauskünfte. Was diesen Sammelband so interessant macht, ist seine Vielseitigkeit, dieses bunte Kaleidoskop von Themen und Gestaltungen. Es sind keine lauten Gedichte – eher der Stille und der Harmonie verdächtig – es sind feinfühlige Annäherungen an Etwas, das ihr und anderen Halt gibt.

Komplettiert wird der Gedichtband durch ein einfühlsames Nachwort „Penelope am Schreibtisch“ von Dorothea von Törne, die ausführlich die künstlerische Entwicklung von Ulla Hahn beleuchtet und dabei immer wieder auf den Dialogcharakter ihrer sehr persönlichen Gedichte hinweist.

Titelbild

Ulla Hahn: Gesammelte Gedichte.
Mit einem Vorwort von Ulla Hahn und einem Nachwort von Dorothea von Törne.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013.
878 Seiten, 26,99 EUR.
ISBN-13: 9783421042200

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