Großonklig=schmerbäuchige Daktylen

Arno Schmidt schreibt über die großen Weimarer: Wieland, Goethe, Herder

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum ausgerechnet Weimar? Wer Arno Schmidt kennt, und das werden wohl die meisten sein, die sich dieses Bändchen kaufen, weiß den Grund: Weil sich in diesem Provinznest Weimar einmal die größten Geister Deutschlands getroffen haben: Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder. Und auch Jean Paul kam öfter zu Besuch. Friedrich Schiller? Wer war Schiller? Nein, Schiller wird von Arno Schmidt nicht dazugerechnet, wird in seinem Werk nur selten erwähnt, und dann meist abfällig. Auch mit Goethe geht Schmidt nicht besonders pfleglich um, aber er akzeptiert ihn doch als einen der Großen und setzt ihm mit „Goethe und Einer seiner Bewunderer“ 1958 ein schönes, ironisches Denkmal. Einige seiner Werke, speziell seine Romane, hält er dagegen schlichtweg für eine „Rumpelkammer“. Und belegt es auch gleich mehrfach.

In den Briefen „An Uffz. Werner Murawski“, in denen er versucht, dem an die Ostfront verschlagenen Schwager etwas Literatur näherzubringen, schreibt er, sich „Hermann und Dorothea“ vornehmend: „Ich weiß kein Beispiel auseinanderklaffenderer Divergenz zwischen erschütterndem Thema und enttäuschend=gartenlaubiger Versifizierung: in Hexametern, in großonklig=schmerbäuchigen Daktylen! In dieser behäbigen, undulatorischen Manier Szenen nicht=besungen, wo, wir Heutigen wissen es genau, Herz & Körper alle 100 Meter stehen bleiben!“

Vehement attackiert er Goethes mangelnde Kenntnis auf so vielen Gebieten, seine „Abscheu vor den ‚krankhaften Sujets‘”, sein „Dilettantismus in den Naturwissenschaften”, seine „uns ganz unbegreiflichen alttestamentarischen Betrachtungen (Wahrheit und Dichtung), die noch völlig im Geiste der mosaischen Theologie des 17. Jahrhunderts befangen sind“, oder seine Persönlichkeit: „Über jeden Dreck geriet er in bedeutende Ekstase; jeder antiken Hausfront müsste man ‚ein jahrelanges Studium widmen können‘ (wörtlich!)“, zudem sei er „brutal egoistisch“ gewesen. Seitenweise zerpflückt Arno Schmidt Goethes „Wahlverwandtschaften“ – es ist eine rechte Freude, das zu lesen. Dennoch: Goethe, den Schmidt akzeptiert, obwohl er eigentlich kein gutes Haar an ihm lässt, darf ins Elysium der großen Dichter, wogegen Schiller, als christlich diffamiert, draußen vor der Tür warten muss.

Noch vor Goethe feiert Schmidt als Weimarer Größen vor allem Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder, jeweils in einem seiner schönen Radio-Essays, die 1958 und 1961 in Buchform erschienen sind. Wieland kannte er sehr genau, oft hat er auf ihn hingewiesen, ihn als einen der größten Experimentatoren der deutschen Literaturgeschichte präsentiert: als den, der den deutschen Roman als hochliterarische Form eigentlich erst erfunden hat. Damit hat er ihn auch der Vergessenheit entrissen und das literaturgeschichtlich bis fast in die heutige Zeit sehr wirksame Verdikt der Romantiker wieder aufgehoben. Sein „Wieland oder die Prosaformen“ ist immer noch aktuell, zudem süffig zu lesen und sehr unterhaltsam. Wenn man die spezifisch Schmidtschen stilistischen Eigenheiten, sein manchmal überschießendes Temperament und seine ab und zu etwas penetrant wirkende didaktische Ader mag oder wenigstens akzeptiert.

Weniger süffig ist „Herder oder vom Primzahl=Menschen“ geraten, dem man doch anmerkt, dass sich Schmidt mit den theoretischen und philosophischen Schriften Herders allerhöchstens kursorisch auseinandergesetzt hat. Immerhin erzählt er sehr packend vom persönlichen Schicksal des Philosophen, der nie so richtig zur Ruhe kommt – etwas, das Schmidt lange Zeit mit ihm gemeinsam hatte.

Diese Schriften sind jetzt in einem preiswerten Reclam-Band zusammengefasst, dazu kommt noch ein „Vorspiel“ mit dem berühmten Schlusssatz „Müde vom Durchwandern öder Letternwüsten, voll leerer Hirngeburten, in anmaaßendsten Wortnebeln; überdrüssig ästhetischer Süßler wie grammatischer Wässerer; entschloß ich mich: Alles, was je schrieb, in Liebe und Haß, als immerfort mitlebend zu behandeln! —“. Sie werden von mehreren Vorworten des Herausgebers Jan Philipp Reemtsma begleitet, die zwar auch sehr kenntnisreich sind und über den Aufstieg Weimars zum deutschen Parnass und über Arno Schmidt ausführlich genug berichten. Aber leider sind sie auch durch manchmal allzu mäandernde Satzperioden, stilistische Umständlichkeiten und einige Ungenauigkeiten nicht immer auch so lesbar, wie es angemessen wäre.

Titelbild

Arno Schmidt: "Na, Sie hätten mal in Weimar leben sollen!". Über Wieland – Herder – Goethe.
Hg. von Jan Philipp Reemtsma.
Reclam Verlag, Ditzingen 2013.
234 Seiten, 6,40 EUR.
ISBN-13: 9783150189795

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