Ermittlungen gegen eine Legende

David Oels korrigiert mit „Rowohlts Rotationsroutine” die offizielle Rowohlt-Geschichte

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Nachkriegskultur der Bundesrepublik spielte der Rowohlt-Verlag nicht allein eine prägnante und bewusstseinsbildende Rolle, sondern es umgab ihn ein aufklärerischer, antifaschistischer Mythos. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft versorgte er die Lesewilligen in Trizonesien mit den Werken der europäischen und US-amerikanischen Moderne, verlegte Albert Camus, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Ernest Hemingway und John Dos Passos, Louis-Ferdinand Céline und Henry Miller, beeinflusste politische und literarische Diskurse mit Buchreihen wie „das neue Buch“, „ro-ro-ro aktuell“, „Rowohlt Jahrhundert“ oder der Zeitschrift „Literaturmagazin“ und machte das deutsche Publikum mit Autoren wie Thomas Pynchon oder Paul Auster bekannt.

Vor allem aber die Rolle des Verlags in der Verbreitung des Taschenbuchs nach dem Zweiten Weltkrieg wird in Rückblicken immer wieder hervorgehoben. „Die Idee, gute Literatur zu niedrigen Preisen für jedermann auf den Markt zu bringen, ist eng verknüpft mit dem Namen Ernst Rowohlt“, konstatiert beispielsweise Vivienne Schumacher in einem mit dem Titel „Ernst Rowohlt – ein Leben für die Literatur“ überschriebenen NDR-Beitrag. „Der von ihm gegründete Verlag ist bis heute einer der erfolgreichsten Deutschlands.“ Auch für Richard Seaver, den legendären amerikanischen Verleger, Lektor und Übersetzer, der in den 1950er und 1960er Jahren die Autoren der europäischen Avantgarde wie Samuel Beckett oder Alexander Trocchi mit amerikanischen Avantgardisten wie William Burroughs bei Verlagen wie Grove oder Arcade verband, besaß Rowohlt (vor allem in Person von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt) einen „tadellosen anti-Nazi-Leumund“ (wie es in seinen posthum publizierten Memoiren „The Tender Hour of Twilight“ aus dem Jahre 2012 heißt) und entwickelte eine qualitativ hochwertige Taschenbuchreihe für den Massenmarkt, ähnlich wie es Barney Rosset mit Grove Press in den USA getan hatte.

An der eigenen Legendenbildung strickte der Rowohlt-Verlag selbst eifrig mit, indem er 2008 zur Feier seines hundertjährigen Bestehen eine opulente, reich bebilderte Chronik herausgab, in der er sich als „publikumsnaher, weltoffener Verlag“ darstellte und seiner großen Vergangenheit rühmte, ohne die dunklen Flecken seiner Geschichte zu thematisieren. Eine Korrektur zur offiziellen Verlagsgeschichte präsentiert David Oels (der bereits 2008 in einem „Spiegel“-Artikel die Verstrickungen Ernst Rowohlts in die nationalsozialistische Propaganda offenlegte) in seiner nun als Buch erschienenen Dissertation „Rowohlts Rotationsroutine“. Darin beschreibt Oels die Geschichte des Rowohlt-Verlages vom Ende der Weimarer Republik bis in die Adenauer-Ära. Entgegen der gängigen Historiografie zeichnet Oels die Rowohlt-Entwicklung nicht als eine Geschichte des Widerstandes und des Neuanfangs, sondern als eine des Opportunismus, der Kollaboration und der Kontinuität. Bereits in der Endphase der Weimarer Republik verlegte Rowohlt nicht allein Autoren wie Hemingway, Robert Musil, Erich Maria Remarque, Walter Benjamin oder Kurt Tucholsky, sondern publizierte auch nationalistische Autoren wie Ernst von Salomon und Arnolt Bronnen, den Tucholsky in der „Weltbühne“ als verkleideten Faschisten attackierte. Nach dem Untergang des Dritten Reiches ließ Rowohlt den deutschen Nationalismus durch die Publikation der Memoiren des ehemaligen Reichsbankpräsidenten und NS-Ministers Hjalmar Schacht weiterleben. Auch die beiden Bestseller des Verlages – „Götter, Gräber, Gelehrte“ des ehemaligen Wehrmacht-Propagandisten und Rowohlt-Lektors Kurt W. Marek (der unter dem Pseudonym C. W. Ceram publizierte) und „Der Fragebogen“ von Ernst von Salomon (der die Entnazifizierung der Alliierten kritisierte) – bewegten sich im nationalistischen Fahrwasser. In diesem Sinne schrieb Rowohlt als Autor der intellektuellen Gründungsgeschichte der Bundesrepublik den verhängnisvollen deutschen Text der Vergangenheit in der Gegenwart fort.

Seine Stärken hat das Buch zweifelsohne in der Aufdeckung der verdeckten Kontinuitäten des deutschen Verlagswesens, wobei vor allem das Kapitel über die Entwicklung der Ro-Ro-Ro-Taschenbücher im Kontext der Massenbuchproduktion herausragt. In seiner historischen Aufarbeitung kann Oels schlüssig darlegen, dass Rowohlts „Rotationsromane“ im Zeitungsformat weniger eine revolutionäre Errungenschaft der Nachkriegszeit waren als eine konsequente Fortsetzung des Frontbuchhandels aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die offenkundigen Mängel des Buches liegen aber in der Spekulationsbereitschaft und der Personalisierung historischer und ökonomischer Prozesse. Der Historiker sieht sich mit dem Dilemma konfrontiert, dass ein Großteil des Rowohlt-Archivs im Jahre 1970 durch ein Feuer zerstört wurde und viele Details einzelner Geschichten sich nicht faktisch belegen lassen. Dennoch versucht Oels, die Biografie Ernst Rowohlts lückenlos zu rekonstruieren, ohne dass er für eine stimmige Rekonstruktion mit entsprechenden Belegen aufwarten könnte. 1938 verließ Rowohlt Deutschland, kehrte jedoch schon 1940 in sein Heimatland zurück, um als Wehrmachtssoldat in einer Propagandakompanie in Griechenland und im Kaukasus am Krieg des „Dritten Reiches“ teilzunehmen. Die Gründe für dieses Verhalten bleiben im Dunkeln.

Fehlen die Dokumente zur Rekonstruktion des Geschehens, sucht der forsche Ermittler im schneidigen Tonfall Zuflucht in Mutmaßungen, Insinuationen und Gerüchten, um seinen selbstgestellten Auftrag der Legendenzertrümmerung nicht zu gefährden, auch wenn dies nicht mit dem wissenschaftlichen Ethos der Wahrheitsfindung zu vereinbaren ist. „‚Die Ratten betreten das sinkende Schiff‘, soll Erich Kästner bemerkt haben…“, raunt der Historiker, der für diese wie für andere Behauptungen keine faktischen Belege beibringen kann. Wie schon im Fall des sensationslüsternen „Spiegel“-Artikels wird Geschichte exzessiv personalisiert: Anstatt die Mechanismen und den Prozesscharakter der kulturellen Massenproduktion mit ihren Auswirkungen auf die Herstellung literarischer Öffentlichkeit zu durchleuchten (wie es etwa Kenneth C. Davis in seinem immer noch lesenswerten Buch „Two-Bit-Culture: The Paperbacking of America“ aus dem Jahre 1984 versuchte), kapriziert sich Oels auf die Personen Rowohlt, Marek und Salomon und begräbt die Erforschung der ökonomischen Bedingungen der massenkulturellen Produktion in der Bundesrepublik unter einem scheppernden teutonisch-akademischen Soundtrack, der Ketten von Blockzitaten hinter sich herschleppt, ohne dass er die Zellen der geschichtlichen Realität aufschließt. So notwendig eine Korrektur der offiziellen Geschichtsschreibung des Rowohlt-Verlages ist, so missraten ist dieser Versuch durch seine ermittlungstechnische, geradezu herrische Attitüde, mutmaßliche Täter zu überführen und anzuprangern, anstatt historische Prozesse zu ergründen.

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David Oels: Rowohlts Rotationsroutine. Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2013.
439 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783837502817

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