Ein Kessel Buntes

Jean Verdons „Irdische Lust“ als Hörbuch

Von Jasmin M. HlatkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin M. Hlatky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Liebe, Sex und Sinnlichkeit“ verspricht der Untertitel dem geneigten Zuhörer, und tatsächlich beschäftigt sich dieses Hörbuch mit allen denkbaren Aspekten des Lustempfindens des mittelalterlichen Menschen. Höfische Liebe, Sexualität, aber auch andere Aspekte des Genusses, wie etwa Tafelfreuden, Spiele und Feste werden hier dem geneigten Zuhörer in elf abwechslungsreichen Kapiteln nahe gebracht. Jedes Einzelthema wird hierbei kurz auf den mittelalterlichen Menschen bezogen ausgeführt und mit zahlreichen Quellen belegt. Das Hörerlebnis beginnt mit der körperlichen Lust, und hier sinnigerweise mit dem Vorspiel, und endet mit kulturellen Lustbarkeiten. Unterwegs kommen vom mittelalterlichen Umgang mit Homosexualität über die Krankheit der heroischen Liebe bis hin zum Ablauf einer Mahlzeit zahlreiche Einzelaspekte zur Sprache, die als Überbegriff zu Recht mit der Idee eines sinnlichen Genusses verbunden werden können.

Die Buchvorlage hat dabei einschneidende Kürzungen erfahren – das Kapitel über „Die Kirche und ihre Ablehnung der Lust“ wurde zum Beispiel komplett weggelassen, der Rest des an sich sehr schön aufgebauten Werks schmerzhaft auf das Notwendigste eingedampft. Die Übergänge sind dabei nicht immer gelungen. Oftmals stehen dadurch etwa Quellen aus dem 8. Jahrhundert direkt neben Aussagen aus dem 15. Jahrhundert, ohne dass auf den zeitlich bedingten Wandel hingewiesen würde. Beim Thema Homosexualität etwa fällt durch die Kürzung fast die gesamte, im Buch hervorragend dargestellte chronologische Darstellung weg. An anderer Stelle werden nur die spektakuläreren Aussagen übernommen und die Relativierungen dazwischen einfach weggelassen. Die zweite Hälfte des Hörbuchs ist sogar so stark eingekürzt, dass etwa von den Themenbereichen „Tafelfreuden“, „Spiele im Freien“ und „Jagd“ teilweise nur die einleitenden Passagen übernommen wurden. Ein weiteres Beispiel: Im Kurzkapitel zum Thema „Religiöse und weltliche Feiern“ fehlt der fazitartige Exkurs über den Wandel bezüglich der Lust an Vergnügungen im Laufe des Mittelalters – was bedauerlich ist, denn gerade an solchen Stellen kommt Verdon zu eindrucksvollen Synthesen seiner Darstellung. Am Ende wird großzügig über Seiten hinweg zum Schlussabsatz gesprungen, der dadurch merkwürdig isoliert und unzusammenhängend bleibt. Das Hörbuch wirkt somit, als würde das Thema im Schnelldurchlauf abgehakt – weltliche, geistliche und Artes-Literatur werden dabei wild gemischt und wenn überhaupt erst spät differenziert. Ein System innerhalb der Auswahl der fürs Hörbuch benutzten Passagen wird nicht sichtbar. Im schlimmsten Fall und gemessen an der zunehmenden Radikalität der Kürzungen gegen Ende des Buches kann man der Hörbuchversion sogar eine gewisse reißerische Prägung in der Auswahl unterstellen – was Jean Verdons Leistung in keinster Weise gerecht wird.

Titelbild

Jean Verdon: Irdische Lust. Liebe, Sex und Sinnlichkeit im Mittelalter.
Primus Verlag, Darmstadt 2012.
1 CD, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783654602660

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