Philosophen und Krimis

Josef Hoffmann schaut auf die Schnittstellen von Philosophie und Kriminalliteratur.

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass sich manche Philosophen für Kriminalliteratur interessieren, ist hinreichend bekannt, ebenso dass es durchaus gebildete Kriminalautoren gibt, was – Scherz beiseite – durchaus legitimiert, das Verhältnis von beiden näher zu betrachten. Das Spektrum der Themen im Spannungsfeld von Literatur und Philosophie ist dabei breit gefächert. Im Zentrum stehen dabei neben den epistemologischen Annahmen der Kriminalliteratur vor allem Fragen der Rechtsphilosophie (oder -soziologie), also solche nach Schuld, Recht und Legitimität. Was davon jeweils im Mittelpunkt der Erzählung steht, wird in jedem Fall neu ausgehandelt. Insofern gehen intellektuelle Ansätze, die nach der Funktion des Kriminalromans im kulturellen Haushalt einer Gesellschaft fragen, weit ins Grundsätzliche und fragen nach Strukturen in Gesellschaften, nach der Ausbalancierung von Taten und Untaten, nach den Möglichkeiten von Erkenntnis und Wahrnehmung und nicht zuletzt nach dem Status des Einzelnen, wie seiner Peergroup in einer komplexen Gesellschaft.

Gerechtigkeit und Recht sind zentrale Regulierungsinstrumentarien von Gesellschaften, und wenn ein literarisches Genre sich mit diesen Themen beschäftigt und sie immer wieder in Frage stellt, dann ist das eben auch Ausdruck einer spezifischen Reflexion dieses Themas, die auf Friktionen oder kulturelle Verschiebungen schließen lässt, die in der offiziellen Kultur möglicherweise so nicht verhandelbar sind. Dass Rache und Vergeltung etwa als legitime Handlungsmuster verstanden werden, ist dort nicht denkbar. Dennoch sind beide Kulturen eng miteinander verknüpft, was auch den Status des Krimigenres insgesamt hervorhebt.

Von ähnlichem Gewicht ist die Frage nach der Wahrnehmung und Erkennbarkeit von Realität, die in der Mordermittlung, genauer gesagt, in der Ermittlung des Tathergangs und des Täters ihre angemessene Plattform findet. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Rekonstruktion nicht selten in einem Feld stattfindet, das genau für diese Aufgabe bereitet worden ist, dass sie zudem unlogisch und sprunghaft sein mag, dass sie auch gelegentlich nach dem Eingeständnis greift, wo der Nachweis nicht gelingt. Zentraler Punkt ist, dass die Realität als konsistent und erkennbar vorgestellt wird und damit eines der zentralen Paradigmen der Moderne eingeholt wird, nämlich die Undurchschaubarkeit der komplexen Realität aus der Perspektive des Subjekts.

Viele Themen also, aber das Interesse Hoffmanns ist nicht grundsätzlicher Natur, sondern lässt sich darauf beschränken, mögliche Berührungspunkte und Bezüge von Kriminalautoren und Philosophen nachzuvollziehen. Dabei bezieht er sich im Wesentlichen auf den Kanon der Kriminalliteratur, also auf deren Gründerväter Poe, Conan Doyle und Hammett, ergänzt um einige Vorläufer (Schiller, Godwin, Hoffmann, Quincey) und Nachfolger, die sich nicht minder interessiert an philosophischen Themen gezeigt haben. Das ist in der Regel angenehm zu lesen und als intellektuelle Bereicherung zu verstehen, die jederzeit willkommen ist. Aber zugleich sind Hoffmanns versammelte Studien zumeist von amüsierender Nebensächlichkeit – nice to have und sicherlich erhellend.

Dass UmbertoEco Kriminalromane im Geiste der aristotelischen Poetik liest – was erklärt davon den Erfolg des Kriminalromans? Dass Gilles Deleuze den Krimi als Versuch der kapitalistischen Gesellschaft sieht, den Staat und seinen Widersachern eine eigene, für Geschäfte ungefährliche Spielweise zu geben – ist, offen gesagt, eine deutliche Unterschätzung der Funktion von Krimis und eine allzu schlichte Sicht auf Gesellschaft. Dass Slavoj Zizek den Krimiplot psychoanalytisch liest – im Sinne Jaques Lacans –, kann kaum verwundern. Aber was erklärt es? Ein anachronistisches psychisches Konzept?

Hoffmanns Studien werfen also mehr Fragen auf, als sie beantworten, wenn denn Antworten überhaupt seine Sache sind. Dennoch hat durchaus mehr zu bieten, fast so als ob es sich trotz seiner Weigerung nicht habe vermeiden lassen, dass er auch zu Epistemologie Stellung bezieht: So verweist er darauf, dass Sherlock Holmes keineswegs deduktiv vorgeht (wie es ihm sein Autor massiv zuschreibt), sondern – im Sinne Peirces – abduktiv. Der Unterschied besteht darin, dass das deduktive Verfahren zwingend zu einem Ergebnis führt (wie das induktive Verfahren auch), Holmes aber in der Regel Hypothesen aufstellt – also seine Ableitungen unter Plausibilitätsgrundsätzen vornimmt, die Alternativen nur bedingt ausschließen können. Dass er mit diesen Hypothesen ins Schwarze trifft, ist wohl eher der Konstruktion der Erzählung zu verdanken als einer zwingenden Beweisführung (was nicht nur die Gerissenheit der Erzähler bestätigt, sondern auch das Argument bestärkt, dass ein Argument nur so stark ist wie seine Akzeptanz).

In diesem Zusammenhang stellt sich zwar die Frage, ob Doyle Peirce gelesen hat, aber was bringt die Antwort? Auch in anderen Fällen? Hammetts Lektüren sind möglicherweise für sein pragmatisches Konzept von Bedeutung – das Konzept selber aber ist bedeutender nicht zuletzt durch seiner Langzeitwirkung wie auch durch seine Homologie zu den Kältekonzepten, die Helmut Lethen für die deutschsprachige Literatur der 1920er-Jahre aufgearbeitet hat. Was besagt es nun, dass Hammett Spengler gelesen hat? Viel und nichts, denn welcher Intellektuelle der 1920er- bis 1950er-Jahre hätte das nicht? Ob er Peirce gelesen hat – auch „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ –, wobei hilft es? Bei nicht mehr, als Hoffmann versprochen hat – und er hat nichts von dem versprochen, was in den vorhergehenden Absätzen vermisst wurde.

Titelbild

Josef Hoffmann: Philosophien der Kriminalliteratur.
Passagen Verlag, Wien 2013.
271 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783709200698

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