Geschichtslektion mit Gegenwartsbezug

Arnulf Zitelmann erzählt von Heinrichs IV. Gang nach Canossa

Von Ina KargRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ina Karg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel dieses Hörbuchs signalisiert Spektakuläres und Unerwartetes: Dass jemand „barfuß“ geht und dass es sich dabei um die „drei aufregendsten“ Tage im Leben eines Königs handelt, kann sicher die Aufmerksamkeit junger Hörerinnen und Hörer wecken. Zitelmanns Hörangebot wendet sich an Kinder ab 10 Jahren und kündigt ein „Hörabenteuer“ an, bei dem Fragen nachgegangen wird, die der Titel provoziert. Bei den drei Tagen handelt es sich um den Montag, 23. Januar 1077, und den folgenden Dienstag und Mittwoch, das heißt die Tage, die Heinrich IV. in Canossa verbracht hat, um mit diesem Bußgang eine Lösung vom Bann zu erwirken, den Papst Gregor über ihn verhängt hatte. In insgesamt acht Szenen wird dieses historische Ereignis nachgezeichnet. Für jeden der drei Tage setzt Zitelmann in seiner Geschichtserzählung dabei zwei Ebenen an: Im Fokus der Darstellung steht immer zunächst Heinrich selbst. Des Weiteren erfährt der Hörer jeweils unterschiedliche Einzelheiten über Gründe und Hintergründe, die zu dem Ereignis geführt haben, und über den Kontext, in den es einzuordnen ist. Zur Sprache kommen dabei auch mittelalterliche Chronisten.

Die Erzählung über den ersten Tag beginnt mit der Ankunft Heinrichs in Canossa. Er wird als „barfüßiger Mann im wollenen Gewand“ vorgestellt, der vor dem letzten Mauerring der gut befestigten Burg stehen bleibt und ernst seine Bußpsalmen betet. Man erfährt etwas über sein Herrschaftsgebiet, seine Machtbefugnisse und deren Grenzen, was eine gute Möglichkeit eröffnet zu erklären, wie es zu dem Konflikt zwischen Heinrich und Papst Gregor kam, der schließlich zum Bannfluch führte und – um diesen wieder zu lösen – Heinrich zwang, nach Canossa zu gehen. Sehr informativ, anschaulich und plastisch wird dargestellt, was in der mittelalterlichen Gesellschaft ein Bannfluch für die betroffene Person und ihr Umfeld bedeutete. Schließlich kehrt der Blick zurück zu Heinrich, der am Ende des Tages noch immer ohne Essen und Trinken im Burghof steht, Psalmen betet und auf ein Zeichen von päpstlicher Seite wartet. Übernachten wird er auf einer Burg in der Nähe, auf der er zusammen mit seiner Familie und einem ganzen Stab von Begleitern unterkommen konnte. Sie hatten mit ihm die 1.200 Kilometer lange Reise von Speyer her durchgestanden. Der zweite Tag im Burghof von Canossa verläuft für Heinrich ähnlich wie der erste. Auf der ‚Informationsebene‘ erfährt der Hörer diesmal etwas über die politische Situation im zeitlichen Umfeld, das heißt das Verhältnis zu Heinrich einerseits und zu Papst Gregor andererseits. Ebenfalls vorgestellt wird die so genannte Zwei-Schwerter-Lehre und das Konfliktpotential, das sie enthielt. Auch am zweiten Tag wartet Heinrich vergebens. Man weiß natürlich, dass der dritte Tag die Lösung vom Bannfluch bringt. Erzählt wird, wie Gregor Heinrich wieder in die Kirche aufnimmt, was jedoch mit Bedingungen verbunden ist. Historische Hintergrunddetails beziehen sich im Zusammenhang der Erzählung über diesen Tag auf die Rolle der Bischöfe als Landesfürsten und die sich daraus ableitenden Rechte sowie das Zölibat beziehungsweise die Probleme, die die Kirche mit der Vergabe von Lehen hatte, gerade weil Bischöfe keine Nachkommen hatten. Ein letzter Teil des Hörbuchs befasst sich mit der Entwicklung nach der Lösung vom Bannfluch: Heinrich war weder privat noch in der Auseinandersetzung mit dem Papst eine glückliche Zeit beschieden. Seine Frau Berta stirbt, sein Sohn Konrad stellt sich gegen ihn. Während Heinrichs Abwesenheit hatten die deutschen Fürsten die Wahl eines neuen Königs vorbereitet. Gregor bannt Heinrich erneut und ergreift Partei für den Gegenkönig Rudolf. Die oberitalischen Bischöfe wählen einen Gegenpapst, der Heinrich zum Kaiser krönt, sein Sohn verbündet sich mit den Folgepäpsten Gregors und Heinrich muss schließlich fliehen. Erst Jahre nach seinem Tod kann er im Dom zu Speyer beigesetzt werden.

Zitelmann gelingt es, Geschichte für Kinder darzustellen, ohne in reißerisches ‚Edutainment‘ zu verfallen. Die Frage, ob eine Geschichtserzählung historisch korrekt ist, dürfte seit Hayden White in einem eng ausgelegten Sinn eigentlich nicht mehr gestellt werden. Vielmehr ginge es allenfalls darum, die Prinzipien, mit denen die Darstellung arbeitet, zu benennen oder zumindest erkennbar zu machen. Zitelmann nimmt Akzentuierungen im Kontext einer Kommunikationssituation, nämlich der Vermittlung an ein jugendliches Publikum, vor. Er verfährt dabei, wie im Übrigen in seinen historischen Romanen auch, in der Weise, dass er Figuren als Identifikationsangebot für die Adressaten gestaltet, indem er ihnen eine menschliche Note verleiht. Ihr Charakter und die Situationen, in die sie geraten, werden einfühlsam erzählt und können unmittelbar nachvollzogen werden. Zugleich wird die Erzählung mit historischen Hintergrundinformationen über die Zeit, ihre Wirrnisse und Konflikte sowie die rechtlichen Verhältnisse und weltanschaulichen Vorstellungen angereichert. Der Gegenwartsbezug, der am Ende des Hörtextes vorgenommen wird, und der Vergleich mit dem Islam, der dabei erfolgt, hätten jedoch einer genaueren Recherche bedurft – auch was die Begrifflichkeiten angeht. Auf jeden Fall wären eine korrigierende Anschlusskommunikation und eine Klärung mancher Termini erforderlich, wenn etwa Lehrpersonen einen Einsatz im Geschichts- oder Deutschunterricht erwägen. Der Eindruck, dass in der westlichen und christlichen Welt nach geschichtlichen Irritationen dann doch alles „gut“ geworden sei, ist eine recht einseitige Sicht, die nicht gegen den Islam ausgespielt werden sollte.

Titelbild

Arnulf Zitelmann: Barfuß nach Canossa. Die drei aufregendsten Tage des Salierkönigs Heinrich IV. ; ein Hörabenteuer für Kinder ab 10 Jahren.
Primus Verlag, Darmstadt 2011.
1 CD, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783654602295

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