Ein Feuer muss man sein

Auf den Spuren Saint Exupérys mit einem schön gestalteten, von Alain Vircondelet herausgegebenen Band, bei dem die Bilder mehr überzeugen als der Text

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben Antoine de Saint Exupérys war, um das Bild aufzugreifen, das der Autor selbst gebraucht hat, tatsächlich keine still vor sich hin glimmende Glut, sondern ein loderndes Feuer, reich an intensiven Erlebnissen und mythenbildenden Abenteuern. Denn Saint Exupéry war eben nicht nur der Verfasser des zu Weltruhm gelangten „kleinen Prinzen“ (sowie noch einiger weiterer Romane), sondern zugleich auch ein passionierter Flieger in Diensten der Aeroposta Argentina und später der französischen Luftwaffe, ein amüsierfreudiger, in den erlesenen Gesellschaften von Paris und New York wandelnder Boheme, ein technikbegeisterter Wissenschaftler, der einige erfolgreiche Patente anmeldete, ein engagierter Humanist, der an den schweren Krisen seiner Zeit verzweifelte, und nicht zuletzt auch ein schwermütiger Liebhaber, der unzählige Länder bereiste und sich doch nirgends richtig zugehörig fühlte.

Bei einem so üppigen und auch tragischen Leben, das ohne Weiteres aus einem klassischen Hollywoodschinken destilliert sein könnte, ist es natürlich verheißungsvoll, einmal einen Blick in die Schatzkiste von Gattin Consuelo de Saint Exupéry zu werfen, aus deren Privatarchiv ein Großteil der persönlichen Bilder und Dokumente stammen, die in deutscher Erstausgabe zu bewundern sind. Unter den zahlreichen Fundstücken finden sich Auszüge aus der Korrespondenz des Autors, Briefe und Telegramme, die er von befreundeten Künstlern – etwa dem Regisseur Jean Renoir oder der französischen Verleger-Legende Gaston Gallimard – erhalten hat, Cover-Abbildungen der Erstausgaben seiner Werke, offizielle Dokumente wie die Geburtsurkunde Saint Exuperys oder die Einladung zu seiner Hochzeit mit Consuelo, Liebesbriefe zwischen den Beiden, Flugkarten und private Notizen, diverse Zeitungsartikel, nicht nur über den Flieger und Autor, sondern auch über Consuelo, die bereits vor der Bekanntschaft mit ihrem späteren Gatten Anfang der 1930-Jahre ein bekanntes Fotomodel war, sowie schließlich ein hübsches Sammelsurium ganz alltäglicher kleiner Dinge wie Hotelrechnungen, Schreib- und Fliegerutensilien aus Saint Exupérys Besitz oder die Abbildung der in eine Tischplatte geritzten Figur des kleinen Prinzen – scheinbar unbedeutende Zeugnisse eines gelebten Lebens, die in ihrer Gesamtheit jedoch erst den privaten Menschen transparent machen. Dazu natürlich eine Unmenge an großformatigen Fotografien, die dem Leser auch das Kind Antoine und die wichtigsten Bezugspersonen aus seinem privaten Umfeld nahe bringen. Keine Frage, der wunderschön gestaltete Band eignet sich wunderbar zum Schwelgen und Schmökern.

Neben den dokumentarischen Materialien steuert der Biograf Alain Vircondelet einen umfangreichen Textteil bei, der schlaglichtartig einzelne Leitthemen aus Saint Exupérys Leben beleuchtet und neben der Kindheit des Autors und seiner früh erwachten Leidenschaft für das Fliegen auch den Ehemann, Freund und Schriftsteller ins Blickfeld rückt. Dabei gelingen Vircondelet einige poetische Schilderungen, bisweilen kommt sein um kraftvolle Bilder bemühter Stil aber auch etwas forciert und blumig daher. So umschreibt er etwa Saint Exupérys melancholische Veranlagung folgendermaßen: „Der Schlagschatten seiner inneren Sonne lässt beunruhigende Lichter in ihm aufflackern.“ An anderer Stelle, als Vircondelet sich den Start zu jenem verhängnisvollen Flug vergegenwärtigt, von dem Saint Exupéry am 31. Juli 1944 nicht zurückkehren sollte, wird es dann arg schwülstig: „Beim Start zieht das Flugzeug einen weißen Schweif hinter sich her, lauter Engelshaar, das ihn noch mit den Menschen verbindet“. Neben den teils ins Kitschige kippenden Bildern finden sich auch einige kryptische Formulierungen, die mehr Fragen aufwerfen, als beantworten. Was ist etwa darunter zu verstehen, dass die Einsamkeit des jungen Antoine „vom Anbeginn der Welt kommt“? Oder, im Zusammenhang mit der krisenhaften Situation des Autors im New Yorker Exil: „Nie war er seiner inneren Wahrheit so nah wie in dieser Zeit. In welcher Situation befindet er sich also, im Sartre’schen Sinne? Wie gestaltet sich das Sein? Wo und woher ist man?“ Geht es bitte noch verschrobener? Mindestens ebenso rätselhaft, wie bereits „die ursprünglichste aller Trennungen, die Entbindung“ für den Neugeborenen Antoine „eine erste Vorahnung“ für später im Leben zu erleidende Verluste hat sein können? Aber vielleicht passen die frühkindlichen Traumata ganz gut zu Vircondelets freudianischem Ansatz, die grundsätzlichen Konflikte und Ängste Saint Exupérys aus einem nicht bewältigten Ödipus-Komplex zu deuten. Da wird das „mütterliche Bett“ zum „Symbol der Gebärmutter, […] der Ort, an den er sich immer noch und immer wieder zurückwünscht.“ Überhaupt dominiert in den Texten das Bild des Träumers, sämtliche Kapitelüberschriften greifen es auf: „Der Traum des Engels“, „Der Traum von Ikarus“, „Der Traum von einer Verbindung“, „Der Traum des Ungeliebten“, „Der Traum von Solidarität“  et cetera. Zwar mag die träumerische Veranlagung Saint Exupérys unbestritten sein, eine einseitige Fokussierung auf diesen Aspekt seiner Persönlichkeit erscheint mir jedoch im Hinblick auf einen so aktiven, tatkräftig im Leben stehenden Mann deutlich verkürzt. Sein Leben verträumt hat Saint Exupéry ganz sicher nicht.

Abgesehen davon gibt es aber auch einige aufschlussreiche Passagen, etwa wenn die Sehnsucht Saint Exuperys nach dem Fliegen und dem Schreiben in anschaulichen Worten heraufbeschworen wird, zwei Leidenschaften, die für ihn eng miteinander in Verbindung standen und ihm die Möglichkeit eröffneten, sich als Teil der Menschheit, einem größeren Ganzen zugehörig zu fühlen: „Nur in der Luft fühlt er sich wahrhaftig, erfüllt. Denn der Schriftsteller ist nie weit weg. Fliegen heißt, Zeichen auf das unermessliche Blatt Papier des Himmels zu schreiben“. Weiter unten, auf der Erde – genauer: im New York der frühen 1940er-Jahre – fühlt sich Saint Exupéry hingegen im Kreis der französischen Exilanten isoliert. Insbesondere mit den Surrealisten um Andre Bréton hat er sich offenbar überworfen. Leider bleiben die Umschreibungen hier merkwürdig vage: „Aber er [Saint Exupéry] entdeckt sehr schnell, dass seine Projekte ausgebremst werden, als sorge sein moralischer und geistiger Einfluss bei einigen seiner Landsleute für Unbehagen. Gerüchte sind im Umlauf“. Nur: Was sind das für Gerüchte? In welcher Hinsicht werden die Projekte Saint Exupérys ausgebremst? Aus dem Zusammenhang ergibt sich zwar der Ärger des Autors über seine intellektuellen Landsleute, die fernab der umkämpften Heimat hochtrabende Reden schwingen, was als möglicher Grund für das Zerwürfnis herhalten kann, aber es wäre sicher spannend gewesen, Näheres über diesen für Saint Exupéry sicher belastenden Konflikt zu erfahren. Vircondelet ergreift stattdessen vorbehaltlos Partei für seinen Autor und spielt Saint Exupérys Humanismus gegen eine inhumane, ignorante Akademikerwelt aus, was doch arg vereinfacht wirkt.

Neben dem innigen Verhältnis zur Mutter, die lebenslang der emotionale Bezugspunkt für Saint Exupéry bleiben sollte, steht insbesondere seine Ehe mit Consuelo im Zentrum der Betrachtung. Auch wenn Vircondelet die charakterlichen Schwächen Saint Exupérys keineswegs verschweigt, sein weinerliches Selbstmitleid, sein zwanghaftes Bedürfnis nach Bestätigung, so werden diese Schwächen eher als verzeihliche Defizite eines großen Träumers und Menschenfreundes gedeutet, dem man seine Makel nachsehen müsse. So seien die vielen Seitensprünge während seiner Ehe auch nicht als „ehebrecherische Akte zu interpretieren, sondern vielmehr als der schmerzliche Widerschein eines zu lange erträumten Ideals“. Ob Consuelo ähnlich elegische Worte angesichts des sich mit anderen Frauen vergnügenden Gatten gewählt hätte, bleibt fraglich. In diesem Stil wird die Ehe der beiden als am Ende über alle Hindernisse triumphierende große Liebesgeschichte gefeiert: „So wird diese Beziehung für alle Zeiten besiegelt, als hätte er endlich, kurz vor seinem Tod, erkannt, dass es Consuelo war, die ihn, allen Angriffen auf ihre Ehe zum Trotz, am meisten beschützt und geliebt hat“. Vom melodramatischen Tonfall abgesehen, werfen diese und vergleichbare Passagen die Frage auf, ob die Idealisierung der Ehe Saint Exupérys womöglich eine Konzession an seine Witwe Consuelo sein könnte, die nach dem Tod ihres Mannes selbst geschickt am Mythos ihrer großen Liebe gestrickt hat und aus deren Privatarchiv, wie eingangs erwähnt, ein Großteil der in diesem Band versammelten Bilder und Dokumente stammen? Das von den Herausgebern formulierte Versprechen, hinter dem Mythos die „wahre Persönlichkeit“ Saint Exupérys zu offenbaren, ist am Ende doch mit einigen Zweifeln und offenen Fragen behaftet.

Titelbild

Alain Vircondelet (Hg.): Antoine de Saint Exupéry. In Bildern und Dokumenten.
Mit einem Vorwort von Martine Martinez Fructuoso.
Übersetzt aus dem Französischen von Stefanie Kuballa-Cottone.
Edition Olms, Oetwil am See 2013.
192 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783283011703

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