Früchte des Zorns

Friedrich Christian Delius hat sich mächtig geärgert

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Berliner Schriftsteller Friedrich Christian Delius, 1943 in Rom geboren und der Ewigen Stadt verbunden geblieben, muss sich lange Jahre hindurch gewaltig geärgert haben: über den Verfall der abendländischen Kultur ganz allgemein, über die Deutschen mit ihrem sonnigen Italien-Bild und ihrem bildungsbeflissenen Rom-Tourismus, über Italien mit seinem falschen, auf freiwilliger Vergangenheitsblindheit beruhenden Nationalstolz und seiner Verlotterung zu einem kaum noch demokratischen, von Korruption und Mafia-Brutalität gezeichneten Land, und vor allem über die opportunistische und machtgeile Politik des Heiligen Stuhls. Der kluge, sprachmächtige und angenehm leise Ironiker, der 2011 endlich und völlig zu Recht den Georg-Büchner-Preis bekommen hatte, hat eine Rom- und Papst-Erzählung geschrieben, die es in sich hat: „Die linke Hand des Papstes“. Die Geschichte spielt in Rom, genauer gesagt in einer evangelischen Kirche in der Via Sicilia, und sie dauert eigentlich nur ein paar Minuten. Im Grunde jedoch spielt sie im Kopf des Ich-Erzählers, eines frühpensionierten deutschen Archäologen und Rom-Kenners, der gelegentlich als Fremdenführer arbeitet und sich nicht zu schade dafür ist, angeekelt auf die durch die Sixtinische Kapelle taumelnden Touristenmassen herabzusehen. Und der Papst, der da bei den Lutherischen fremdgeht, das ist der im Februar 2013 von seinem Amt zurückgetretene Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger. Der erste Satz dieser merkwürdigen Erzählung ist eine Frage: „Die Hand, dachte ich am ersten März-Sonntag des Jahres 2011 – was ist mit der Hand?“.

Die alte, ein wenig müde Hand des Unfehlbaren ruht zumeist, ist jedoch permanenter Anlass für einen Wirbel von Gedanken und Fragen: Wann zuckt sie, wann zuckt sie nicht? Zuckt sie, wenn der Papst den „regierenden italienischen Hurenbock“ sieht? Oder den „Öldiktator“ von der anderen Seite des Mittelmeers, der bei seinem sogenannten Staatsbesuch im Sommer 2010 die „massenhafte Käuflichkeit der einst katholischen Menschen“ bloßgestellt hat? Dass Rom „aller Laster Heimatland“ sei, wie schon Vittorio Graf Alfieri gedichtet hatte, ist für Delius keineswegs „Rom-Schelte“, sondern „brauchbare Arbeitshypothese“ für seine literarische Demaskierungsarbeit. „Rom lebt von Übertreibung und Größenwahn, erzähle ich gern, seit dem einundzwanzigsten April Siebenfünfdrei“. In dieser rätselhaften und faszinierenden, aber eben auch total kaputten Stadt gibt es jede Menge Tabus, und Friedrich Christian Delius will sie alle brechen. Er tut das vor allem mittels ungewöhnlicher, spannender und amüsanter, gelegentlich auch umständlicher Abstecher in wenig bekannte Gefilde der Geschichte und Gegenwart der italienischen Hauptstadt, und er tut es mit großem Furor und bisweilen derart polemisch, dass einem unversehens APO-Kampfbegriffe wie „klerikalfaschistoider Verblendungszusammenhang“ (oder so) in den Sinn kommen. Das Ganze läuft auf eine aberwitzige Pointe hinaus, die hier nicht verraten werden soll. Das morbide Rom radikal entmystifizieren, die fatale Rolle des Vatikan seit den Anfängen des Papsttums gründlich entlarven, den Mussolini-Terror, der 1943 in den Nazi- und SS-Terror überging, endlich einmal nicht verschweigen: Da ist Delius in seinem Element. Nicht immer mit Schaum vor dem Mund, durchaus seine Worte wägend, mögliche Einwände bedenkend, umsichtig und eher im Gestus des Fragens. Aber dass sich, wie er seines Archäologen italienische Frau Flavia sagen lässt, Italiener stets als Opfer fühlen – „Schuldgefühl: null Komma null“ –, das regt den Ich-Erzähler denn doch wahnsinnig auf. „Die Kunst des Zweifels ist nicht erwünscht, Aufklärung kein Ziel unter dem klaren oder regenschwarzen Himmel von Rom, das haben die Fremden und vor allem die Germanen gefälligst zu lernen, wenn sie sich schon als Gäste aufdrängen und einmischen“. Niemals! Und schon gar nicht ein germanischer Zweifler und Aufklärer wie Friedrich Christian Delius! Er hat Goethe und Byron und Stendhal ebenso gelesen wie Rolf Dieter Brinkmanns „Rom, Blicke“ und „Stillbach oder Die Sehnsucht“ von Sabine Gruber – und ein originelles, sprachlich meisterhaftes, kritisches und ziemlich schräges Buch über das Rom von heute geschrieben. Wer sich für dieses Rom interessiert, sollte zuallererst „Zurück nach Rom“ von Dante Andrea Franzetti lesen. Und dann gleich den neuen Delius.

Titelbild

Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013.
122 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783871347702

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