Von Buntwerk und Grauwerk

Das Hörbuch zu Jan Keupps „Mode im Mittelalter“ ist eine gelungene Gedankenstütze für die Monografie

Von Alissa TheißRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alissa Theiß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das knapp 70 Minuten umfassende Hörbuch „Mode im Mittelalter“ stellt eine Zusammenfassung der gleichnamigen Monografie von Jan Keupp dar (Vergleich: die Rezension von Jörg-Christian Klenk). Eingeteilt in 10 Tracks, die sich an den Kapiteln des Buches orientieren, wird der Leser in die schillernde Modewelt des Mittelalters entführt, und das ganz ohne die Zuhilfenahme von visuellen Reizen, was bei bestimmten Beispielen bedauerlich ist. So hätte dem Hörbuch ein Booklet mit Abbildungen zumindest der wichtigsten Beispiele gut angestanden.

In der Einleitung wird der Hörer knapp, aber präzise in die Thematik eingeführt: Besonderes Augenmerk wird auf die symbolische Dimension von Kleidung gelegt. Geschichten und Anekdoten aus der Epoche des Mittelalters sollen einen Zugang zur Vergangenheit eröffnen, gleichzeitig könne, wie Martin Falk mit monotoner Stimme herunterliest, der Blick auf die modische Welt des Mittelalters ein Mittel zur Selbsterkenntnis sein.

Der zweite Track behandelt die gesellschaftliche Dimension von Kleidung. Das erste konkrete Beispiel, betitelt mit „Der Kaiser im Schafspelz“, berichtet von der Darstellung Karls des Großen als Gegner von Prunksucht und Modewahn, zeigt jedoch, dass kostbare Kleidergeschenke bei der Pflege politischer Beziehungen auch für Karl unumgänglich waren. Allerdings muss man schon die Ohren spitzen, um den Faden nicht zu verlieren: Gerade noch wird gesagt, dass Karl der Große Mäntel als Geschenk an den Hof Harun al-Raschids sandte, da heißt es ohne Pause oder sonstige akustische Markierung, die einen Themenwechsel anzeigen könnte: „Eine unerträgliche Blamage!“ Der Hörer wundert sich zunächst, was so peinlich an Karls Gabe gewesen sein könnte, findet dann aber heraus, dass es sich wohl um die Überschrift für das nächste Beispiel handeln muss. Ähnliches begegnet uns auf dem fünften Track, wo es bei einem Beispiel aus Wolframs „Willehalm“ heißt: „Doch verweigert es der Markgraf […] auf dem Hoffest festliche Kleider anzuziehen. Seine Nichte überzeugt ihn schließlich mit den Worten: Die Schande könnte ich nicht wieder gutmachen, liefest Du nackt bei mir herum. Lieber Bruder, verstehst du nicht, wie das deinen Standesgenossen vorkommen müsste wenigstens pro forma ein Seidenkleid über seine schmutzige Haut zu ziehen.“ Allein die Inkongruenz des Personalpronomens hilft hier, das Ende der wörtlichen Rede auszumachen. Warum die Nichte den Markgrafen mit „lieber Bruder“ anspricht, sei dahingestellt. Aber nicht nur zwischen einzelnen Sinnabschnitten, sondern auch zwischen den einzelnen Tracks sind keine oder kaum vernehmbare Pausen auszumachen, was dem Hörer mehr Konzentration abverlangt, als eigentlich nötig, denn der Text Jan Keupps an sich ist eindeutig, klar und verständlich.

Für den dritten Track hätte die eine oder andere Abbildung im – nicht vorhandenen – Booklet Wunder gewirkt, denn wer weiß schon auf Anhieb, wie ein Tassel-Mantel aussieht, der zu allem Überfluss auch noch mit falscher Betonung als „Tassél-Mantel“ tituliert wird oder wie der Kopfputz von Reglindis, Stifterfigur des Naumburger Doms, gestaltet ist. Auch muss man sich fragen, ob ein mit mittelalterlicher Kleidung unvertrauter Hörer mit der Aussage, dass Robert von Arbrissel unter seinem geistlichen Habit ein härenes Büßergewand trug, viel anfangen kann und ob Termini wie Buntwerk, Grauwerk und Scharlach selbsterklärend sind.

Als ein Exempel aus der höfischen Literatur dient auf Track zwei die Szene von Iweins Identitätsverlust, an der eindrücklich gezeigt wird, wie wichtig Kleidung im Zeichensystem des Mittelalters war. Leider werden weder Datierung des Werks (um 1200) noch der Autor (Hartmann von Aue) genannt. Desgleichen beim fünften Track, wo zunächst nicht zu entscheiden ist, ob es sich bei Königin Herzeloide um eine historische Gestalt handelt. Dann ist von Parzival (hier „Parzifal“ ausgesprochen) die Rede und von dessen Dichter, was darauf schließen lässt, dass es sich bei Herzeloide wohl auch um eine Romanfigur handelt. Wer dieser Dichter ist, bleibt allerdings vorerst ein Geheimnis, und das, obwohl es im Folgenden auch um „seinen“ Willehalm-Epos geht. Für Mediävisten stellt dies kein Hindernis dar, ob man bei interessierten Laien, man denke zum Beispiel an Schüler, die sich überlegen, ob sie einmal mittelalterliche Geschichte studieren wollen, soviel Vorwissen voraussetzen darf, ist eher fraglich. Belohnung fürs Durchhalten, das heißt eine Auflösung des Rätsels um die Autorschaft, gibt es dann zwei Tracks weiter. Dort wird ganz klassisch eingeleitet mit „Im Epos des Wolfram von Eschenbach: Willehalm…“ Und weiter: „So schildert Wolfram von Eschenbach, wie der junge Parzi[f]al in neue Gewänder gekleidet wurde […].“ Ja, haben denn die Redaktoren das Skript nicht noch einmal gelesen? Oder wurden etwa Track fünf und sieben vertauscht? Man weiß es nicht und wird es wohl auch nie erfahren. Generell wirken die einzelnen Beispiele ein wenig wahllos aneinandergereiht und der Hörer mag darüber sinnieren, welche aus der Buchversion ausgewählt wurden und warum, und ob der Autor bei der Einrichtung des Hörbuchs eigentlich ein Mitspracherecht hatte.

Alles in allem eine hörbare Einführung in den Gegenstand mittelalterlicher Mode. Allerdings ist das vorherige Lesen der Monografie sehr zu empfehlen. Dann kann das Hörbuch als gelungene Gedankenstütze für den Text fungieren. Für sich allein und ohne Grundkenntnisse in der Mediävistik seitens der Hörerschaft ist es leider nur eingeschränkt zu empfehlen.

Titelbild

Jan Keupp: Mode im Mittelalter.
Primus Verlag, Darmstadt 2012.
70 min, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783654602998

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch