Prosaisten im Krieg

Wilhelm Krulls Sammlung von Erzählungen und Tagebucheinträgen aus dem Ersten Weltkrieg: ein Sammelsurium oder Zeugnis der Widersprüche?

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt nicht viele literarische Zeugnisse aus der Zeit des Großen Krieges, die noch einigermaßen gegenwärtig sind: das Ende von Thomas Manns „Zauberberg“, eine Zeile wie „Deutschland muß leben, auch wenn wir sterben müssen“, ein bisschen Zweig („Erziehung vor Verdun“, ein großartiger Roman übrigens), ein bisschen expressionistische Lyrik (Stramm zum Beispiel), Karl Krauss gegebenenfalls, Remarque vielleicht noch und dann vor allem Jünger, Jünger, Jünger.

Die meisten noch gegenwärtigen Kriegsschriften stammen freilich nicht aus dem direkten zeitlichen Umfeld des Krieges, sondern stehen im Zusammenhang mit der Kriegsromankonjunktur um 1929/30, die an literarischen Zeugnissen reich ist. Die literarischen Zeugnisse, die im unmittelbaren Umfeld der Jahre 1914 bis 1918 erschienen sind, sind weitgehend unbekannt, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass ihre Affinität zum Großen Krieg nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nur schwer hinnehmbar ist. Das August-Erlebnis, das die nachfolgenden zwanzig Jahre teilweise so unerträglich gemacht haben, ist uns heute kaum noch nachvollziehbar. Die Jugend vor Langemarck eine Horrovision. Die Distanzlosigkeit, mit der der Krieg teilweise behandelt wurde, ist kaum noch vorstellbar. Und den Drang, sich des elenden wilhelministischen Friedens zu entledigen, mag man heute für kindisch halten – so sehr er sich auch aus den Widersprüchen und Spannungen zwischen der dynamischen, jungen Wirtschaftsnation, dem nationalistischen Gepräge der Kultur und dem wilhelminischen Byzantinismus erklären lässt.

Umso lehrreicher ist es, sich auf solche Texte doch einzulassen und von der sonst üblichen Lektüre der späteren Texte einmal abzusehen. Also kein Remarque, Renn, Jünger, Zweig oder wen auch immer. Zöberlein und Dwinger liest zum Glück ohnehin keiner mehr, auch wenn es sinnvoll wäre.

Wilhelm Krull, der die vorliegende Sammlung von „Prosa aus der Zeit des Ersten Weltkriegs“ herausgegeben hat, berücksichtigt in der Tat neben den bekannteren Autoren eben auch unbekanntere. Neben Walter Flex, Leonhard Frank, Manfred von Richthofen, Paul Zech, Fritz von Unruh, Gustav Sack, Ernst Jünger und Egon Erwin Kisch also auch Herbert Volck, Martin Beradt, Andreas Latzko, Otto von Gottberg und Wilhelm Lamszus.

Das Spektrum reicht von unbedarften U-Boot- und Kampffliegertexten bis hin zu expressionistisch überhöhten Friedensappellen, die halbwegs im Aufruhr enden. Es sind Frontberichte ebenso zu finden wie Texte, in denen sich Kriegsgefangene durchzuschlagen versuchen, oder Feiern der nationalen Erhebung.

Entscheidend für die Auswahl war die große zeitliche Nähe der Niederschrift und Publikation der Texte zum Krieg, was über die ausgewählten Fassungen gesichert wird, deren Publikationsdaten von 1912 bis 1922 reichen. Den Anfang macht eine Erzählung von Wilhelm Lamszus (Das Menschenschlachthaus, 1912), deren Frontszenen denen der späteren Kriegsliteratur verblüffend gleichen. Da die Zensur die Publikation einiger Texte verhinderte, sind auch nach 1918 erschienene Erzählungen und Tagebucheintragungen aufgenommen.

Auch politisch und literarisch ist die Mischung bunt. Nicht alle Autoren waren professionelle Schriftsteller, unabhängig davon, wie erfolgreich ihre Bücher waren. Von Richthofens „Roter Kampfflieger“ jedenfalls war ein posthumer Bestseller, der noch lange Jahre nach Ende des Kriegs viel beachtet wurde. Der heutigen Lesbarkeit kommt der Mangel an Professionalität nicht zugute, aber ein solcher Band soll ja nur bedingt literarisches Vergnügen bereiten, sondern Kenntnisse vermitteln.

Die politische Ausrichtung ist gleichfalls disparat. Neben dem späteren Linken Kisch findet sich der Neue Nationalist Jünger oder der pazifistische Bekenntnistext eines Leonhard Frank. Die nationalistischen Texte (Jünger, Flex) sind dabei nicht einmal die schlechtesten – aber das war ja auch nicht zu vermuten.

Die Texte sind nur durch ihre zeitliche Nähe und das Thema Krieg miteinander verbunden. Weitere Zusammenhänge werden – bedingt – durch das Vorwort des Herausgebers hergestellt, dem es immerhin gelingt, die disparaten Texte so zu kontextualisieren, dass ihre Zusammenstellung in einem Band akzeptiert werden kann. Allerdings ist zu bemerken, dass er in seiner Argumentation gelegentlich schwankt, die politische Ebene mit erzählten Fronterfahrung kontaminiert, ohne die Differenz der Akteure hinreichend klarzustellen.

Krull schließt zudem im Vorwort an alte Thesen aus den 1970er-Jahren an, in denen das Scheitern der Revolution von 1919 immer wieder bitter beklagt wurde: Statt radikale Sozialisierung also nur jene halbherzige Weimarer Republik? In der sich die Klassengegensätze verschärft hätten? In der der Krieg dann weitergegangen sei?

Es ist keine Frage, dass die Weimarer Republik ihre Grenzen und Beschränkungen hatte. Die Niederwerfung der Revolution durch Freichors ist mehr als nur ein Schönheitsfehler. Und dass die Präsidialregimes ab 1930 und die Berufung Hitlers zum Reichskanzler ihr unrühmliches Ende anzeigten, bleibt unbestritten.

Das aber legitimiert es nicht, die sozialen und gesellschaftlichen Errungenschaften von Weimar zu ignorieren. Diese kaum 15 Jahre nach dem Krieg zeigen eine Gesellschaft im Wandel zur Moderne, die zahlreichen Krisen zu begegnen hatte und am Ende scheiterte. Das aber ist, um einer alten These des Historikers Hagen Schulzes zu folgen, nicht zuletzt der deutlichen Distanz der gesellschaftlichen Eliten zur Republik zu verdanken, die sich 1918 unter anderem mit der Dolchstoßlegende aus der Verantwortung gezogen hatten und sich seitdem massiv gegen den Staat positionierten, den sie hätten tragen müssen. Mit solchen Themen wäre der Band, der sich eben bewusst beschränkt, aber sicher überfordert gewesen.

Titelbild

Wilhelm Krull (Hg.): Krieg - von allen Seiten. Prosa aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013.
222 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835313460

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