Brutale Wirklichkeit

Martin Clauss korrigiert verklärte Vorstellungen vom mittelalterlichen Hauen und Stechen

Von Benedikt KleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benedikt Klein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Ritter ist mit Sicherheit eine der schillerndsten Gestalten jener klischeebeladenen Epoche, die ganz allgemein als Mittelalter bezeichnet wird. Vom LEGO-Burgen-Bauset, über Turniere auf Mittelaltermärkten, Figuren der Fantasyliteratur und Hollywood-Produktionen, bis hin zu Star Wars wird die Idee des Ritters sogar über das 21. Jahrhunderts hinaus projiziert und ist somit auch heute noch Teil zumindest der männlichen Sozialisation. Ob nun mit Lichtschwert oder archaischen Schlagwaffen gerüstet, es ist immer das Gleiche: ein mehr oder minder gepanzerter Held rückt seinen moralisch zweifelhaften Widersachern zu Leibe und verteidigt die Armen und Schwachen beziehungsweise das Gute, Wahre und Schöne – das meist in der Gestalt einer Prinzessin kumuliert.

In seiner Monografie „Ritter und Raufbolde – Vom Krieg im Mittelalter“ wendet sich der Historiker Martin Clauss explizit gegen dieses verklärte und weichgezeichnete Ritterbild. Dabei sind es für den Autor zunächst die mittelalterlichen Erzählungen selbst, die aus Männern strahlende Helden machen und einen Zusammenhang von Heldentum und Kampf propagieren. Auch in der inhaltlich auf eine CD gekürzten, gleichnamigen Hörfassung wird direkt zu Beginn mit gängigen Vorstellungen vom europäischen Mittelalter aufgeräumt. Clauss konstatiert, dass unser Mittelalterbild weitgehend romantisiert sei und aktuell sogar die realistisch-grausamen Schlachtengemälde der Filmindustrie nur wenig mit der wahren Brutalität des vielschichtigen Phänomens mittelalterlicher Kriege gemein haben. Bereits an dieser Stelle wird die Zielgruppe allzu deutlich: das Hörbuch ist an historisch nur wenig vorgebildete Hörer gerichtet. So wird zunächst umfassend dargelegt, wieso das Mittelalter nicht so war, wie wir es uns vorstellen, dass die zeitgenössischen Berichterstatter parteiisch waren und die literarischen sowie kunstgeschichtlichen Quellen nicht mit der historischen Wirklichkeit verwechselt werden dürfen. Danach folgen eine Einführung zum Begriff des Mittelalters und eine Problemskizze in Bezug auf die dürftige Quellenlage, mit der die historischen Hilfswissenschaften zu kämpfen haben. Störend ist besonders hier, aber auch an späterer Stelle, der sich ständig wiederholende Relativismus des Autors: immer und immer wieder wird betont, dass irgendetwas nicht so sei, wie uns Hollywood weißmachen will, die Forschung jedoch auch keine konkreten Aussagen machen kann, da wir zu wenig verifizierbare Quellen haben. Von diesem Monitum einmal abgesehen, gelingt es dann erstaunlicherweise gut, auf nur einer CD einen kurzen Abriss der wichtigsten Aspekte rund um die Kriege des 6. bis zum 16. Jahrhundert darzustellen. Vor allem unter sozial-, rechts- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive. Dass aufgrund der enormen Kürzung nur rudimentäre Aussagen gemacht werden können, lässt den Gebrauch im wissenschaftlichen Kontext natürlich ausscheiden.

Wie der Titel bereits verrät, steht der Ritter als Repräsentant kriegerischer Gewalt im Zentrum des Hörbuchs. Dabei wird Rittertum jedoch nicht nur auf dessen militärische Komponente reduziert, es werden auch soziale und kulturelle Faktoren berücksichtigt. Natürlich wird gerade in diesem Fall auf die Widersprüchlichkeit des durch die höfische Literatur vermittelten Ritterideals und einem tatsächlichen Verhalten im Krieg hingewiesen. Um die Vorstellung vom galanten Jüngling, der in glänzender Rüstung, manchmal auch in Strumpfhosen, öfters aber im Namen der Ehre für abendländische Werte oder gar die Liebe selbst eintritt, weiterhin zu relativieren, werden dem einzelnen Ritter nun gesichtslose Raufbolde gegenübergestellt. Unter dieser Bezeichnung subsummiert Clauss alle möglichen Krieger, Söldner und Soldaten, die zwar keine Ritter, aber dennoch streitbar sind. Ein wenig zu emphatisch als „Vollstrecker tödlicher Gewalt“ umschrieben, bleiben die Raufbolde allerdings eine nicht weiter differenzierte Worthülse. Hervorzuheben ist, dass die Blickrichtung regelmäßig auch die Seite der Nichtkombattanten und Gewalt gegen Unschuldige miteinbezieht. Hier wird die Position der Kriegsopfer beschrieben, auf Verwüstungsfeldzüge, Gräueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung sowie Schändungen von Kirchen und Frauen hingewiesen. Und spätestens hier wird auch jeder Heroismus und jede Ritterromantik obsolet. Ob mittelalterliche Kriege von grundsätzlich mehr Brutalität als Kriege anderer Epochen geprägt waren, bleibt jedoch an weiterer Stelle zu diskutieren. Dass sich die brutale Wirklichkeit des mittelalterlichen Kriegsalltags gravierend von der Wirklichkeit auf der Filmleinwand unterscheidet, muss aber eigentlich nicht nochmal extra betont werden. Die Idee des Verlages allerdings, ein 150-seitiges Sachbuch auf eine 60-minütige Lesung zu reduzieren, weist eine ganz andere Brutalität auf, die hier zumindest noch Erwähnung finden soll.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Martin Clauss: Ritter und Raufbolde [Tonträger]. Vom Krieg im Mittelalter.
Primus Verlag, Darmstadt 2011.
1 CD, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783654601786

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