Der geheimnisvolle Schreiber

Christoph Geiser richtet sich in „Schöne Bescherung“ für ein neues Leben ein, nachdem ihm die Mutter ein Erbe vermacht hat

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Glück war dem Schriftsteller Geiser die letzten Jahre nicht eben gewogen. Als der Ammann Verlag 2010 seine Tätigkeit einstellte, wurde er zu einem „Dichter a.D.“, der sich mit einigem Recht „literarisch tot gesagt“ fühlte. So beschreibt er es eingangs in seinem neuen Buch „Schöne Bescherung“. Allerdings war der verschwundene Verlag nicht die einzige Quelle für ein Gefühl der Isolation. Hinterrücks machte auch ein Monsieur Lamort auf sich aufmerksam. Zum einen verstarb die Mutter nach längerem Aufenthalt in einer Klinik. Zum anderen forderte der Hausarzt unmissverständlich eine Änderung der Lebensweise. Schluss mit Rauchen, Trinken, Sitzen. Vanitas vanitatum – damit ist nicht zu spaßen.

Die Konfrontation mit der Vergänglichkeit ist unangenehm und erzeugt panische Gefühle. Die Flucht ins Fitnesscenter vermag dem nur unzureichend abzuhelfen, denn flattert jetzt das Herz nicht erst recht? Geiser hat eine andere, ihm angemessenere Form der Auseinandersetzung gefunden: schreibend versucht er, die Geister zu bannen. „So brauchen wir die Sprache, so brauchen wir die Schrift, so brauchen wir Bücher! Text! Erzählung! Geschichten. Die uns in die Binsen geleiten.“ Wo sonst gäbe es Rettung vor dem lauernden Monsieur Lamort und vor einer demütigen Kapitulation.

Schreibend also reflektiert Geiser über das leidige Altern, indem er Entlastungszeugen aus der Kultur- und Literaturgeschichte aufruft. Er beobachtet sich und seine Umgebung in dem vergeblichen Versuch, ungeschoren davonzukommen. Er begleitet seine Mutter über die Gebrechlichkeit bis zum Tod, nachdem sie einen unglücklichen Fehltritt getan hat und „rücklings sich überschlagend …. die ganze Himmelsleiter hinunter“ gefallen ist.

Diese verhängnisvolle Begebenheit nennt der Erzähler „eine schöne Bescherung“. Eigentlich wollten er und seine Mutter ja nur speisen gehen. Die Bescherung zeigt schrecklich ambivalente Folgen. Am Ende mutterlos geworden ist der Erzähler und neuerdings Erbe kein armer Poet mehr angesichts dessen, dass nun „unsere potentielle Kaufkraft wirtschaftlich relevant ist“.

Diese tragikomische Wendung ist symptomatisch. Geiser erzählt mit Witz und mit gelegentlich boshafter Ironie, die vor sich selbst ebenso wenig Halt macht wie vor den Insassen der mit Plüsch gepolsterten Schlossklinik am Bodensee. Hier kuriert die Mutter ihre Gebrechen, umgeben von Barockspiegeln, Stilmöbeln und medikamentösen Dunstwolken. Der Sohn besucht sie und beobachtet mit schonungslosem Blick Inventar wie Personal in diesem Reich der Vergeblich- und Vergänglichkeit. Es fühlt sich an Samuel Becketts „Endspiele“ erinnert, oder an den unglücklichen Robert Walser. Geisers Beschreibungen sind großartig, ohne aber den Schreiber zur Überheblichkeit zu verleiten.

Er bleibt stets selbst mit gemeint. Auch ihn beschleicht das Arsenal der bösen Vorboten: „Panik? Vorhofflimmern? Herzflattern?“ Doch abtreten will er längst nicht, auch wenn ihm, „Apokalyptiker, der wir sind“, der Gedanke daran keinesfalls fremd ist. Noch schwelt das ungestillte Begehren in ihm. Es hält ihn aufrecht. Das Begehren und auch die Kunst, die sich ihm beispielsweise in jener Figur des hockenden Schreibers offenbart, der aus der Nekropole von Saqqarah geborgen seit 150 Jahren im Louvre ausgestellt ist. Bei einem Besuch der ägyptischen Abteilung begegnet ihm der Autor. „Du schaust mich an! Glasklar, aus fünftausend Jahre alten Augen, türkisblau. […] Mich schaust du an – mein Herz zu öffnen?“ – ein faszinierender Repräsentant des Menschlichen wie der Schrift, die in ihm eins werden: „alles Menschliche ist Schrift!“

So besteht Christoph Geiser die Konfrontation mit der Vergänglichkeit. Doch was hilft’s am Ende? „Ach – im Grund ist der Mist doch geführt; der Tag gelaufen“, antwortet er voll Skepsis dem Aufwallen der Schreib- und Lebensgeister. Und geradezu provozierend fragt er, welche Bestattung es denn sein soll, auf dass er endlich Ruhe gäbe.

„Schöne Bescherung“ signalisiert uns etwas anderes. Christoph Geiser hat darin eine spielerische Balance gefunden zwischen den biografischen Büchern der ersten Phase und den jüngern experimentellen Werken. Mit Witz baut er eine Brücke zum Leser, und behält sich dabei doch das Recht vor, seinen Text literarisch zu komponieren. Er verknüpft seine künstlerischen Lebensfäden mit einem stechenden, ätzenden Blick auf den (Konsum-)Alltag, wie er einem nicht mehr ganz jungen Herrn begegnet. So ist „Schöne Bescherung“ das Zeugnis einer Selbstbehauptung in der hehren Kunst ebenso wie im schnöden Alltag.

„Und wir gäben Ruhe endlich?“ schließt das Buch. Bewahre, jetzt wo wir so schön beim Lesen sind.

Titelbild

Christoph Geiser: Schöne Bescherung. Kein Familienroman.
Offizin Zürich Verlag, Zürich 2013.
136 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783907496824

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