Angemessene Kommunikationskultur

Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und dem Frankfurter Arzt Emil Liefmann belegt eine großbürgerliche Freundschaft

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Thomas Manns großbürgerlicher Repräsentanz gehörten angemessene Kommunikationskulturen. Eine, die Thomas Mann besonders pflegte, war die Kultur des Briefeschreibens. Zu seinem Arbeitstag gehörte die tägliche Erledigung der Post. Man schätzt, so führt Daniel Lang, der Herausgeber des vorliegenden Briefwechsels zwischen Thomas Mann und Emil Liefmann in seinem begleitenden Aufsatz „Thomas Mann – Der Briefschreiber“ aus, die Zahl der Mann’schen Briefe und Karten inzwischen auf etwa 30.000 und rund 4.200 Adressaten. Wahrlich eine beeindruckende Repräsentanz, die schließlich im amerikanischen Exil auch nur noch mit angestelltem Sekretariat zu bewältigen war.

Neben den bekannten ZeitgenossInnen hielt Thomas Mann briefliche Treue auch zu Menschen, die ihm aus unterschiedlichen Gründen nahe standen, aber einer größeren Öffentlichkeit ansonsten unbekannt geblieben sind. Zu ihnen gehörte der Frankfurter Arzt Emil Liefmann. 1904 war der junge Arzt aus Hamburg nach Frankfurt gekommen. Hier hatte er sich etabliert und 1914 bezog er mit seiner Ehefrau Marie Liefmann eine repräsentative Villa im Frankfurter Westend, in der er fortan auch seine Praxis betrieb. Emil Liefmann, so schreibt der Herausgeber „war der Arzt zahlreicher einflussreicher und angesehener Bürger Frankfurts, er besaß nicht nur innerhalb der Ärzteschaft viele Kontakte, sondern auch zu namhaften Künstlern und Wissenschaftlern.“ Höchstwahrscheinlich kam es im Jahre 1922 zum ersten direkten Zusammentreffen zwischen Thomas Mann und Emil Liefmann. Es mochten die Kontakte Liefmanns zu den Organisatoren der anstehenden Frankfurter Goethe-Woche, zu der Thomas Mann anreisen würde, ihn veranlasst haben, an den verehrten Schriftsteller die Einladung auszusprechen, doch in seinem Haus Quartier zu nehmen. Am 23.1.1922 jedenfalls bedankt Thomas Mann sich in einem Brief an den ihm noch leidlich unbekannten Gastgeber, den er fälschlicherweise „Liepmann“ nennt: „Von Herzen danke ich für die gütige Einladung in Frankfurt bei Ihnen zu wohnen. Ich nehme sie an.“ Vom 27. Februar bis zum 5. März beherbergten die Liefmanns schließlich Thomas Mann und Ehefrau Katia in ihrem Haus. Man verstand sich schnell und bald kann man, wie der Herausgeber bemerkt, „von einer Freundschaft sprechen, die nicht nur Thomas Mann und Emil Liefmann, sondern auch die beiden Frauen und gelegentlich sogar die Kinder der Manns einschloss.“

Das bestätigt ein Brief von Thomas Mann an Liefmann aus dem Dezember des Jahres 1922, in dem er schreibt: „es ist in den letzten Wochen mehr als einmal geschehen, daß meine Frau und ich uns über das Thema unterhalten haben, was für hervorragend liebenswürdige und herzensbegabte Menschen doch diese Liefmanns in Frankfurt sind. […] Ich war doch auf dieser ganzen letzten Reise bei freundwilligen Leuten zu Gast, aber so wohl und geborgen, wie bei Ihnen, habe ich mich nirgends gefühlt.“

Im gleichen Brief nennt Thomas Mann aber noch einen anderen Grund für das freundschaftliche Vertrauen. Liefmann unterstützte Manns deutliches Bekenntnis zur Republik, wie er es in diesem Jahr, unter dem Eindruck der Ermordung Walter Rathenaus durch rechtsextreme Kreise, in Vorträgen und in einem Aufsatz in der Neuen Rundschau („Von Deutscher Republik“) bekundet hatte: „besonders erkenntlich bin ich Ihnen für die guten Worte, die sie mir über den republikanischen Aufsatz sagen. Ich habe für den Entschluß zu diesem Bekenntnis so viel Prügel bekommen, daß ich Balsam wie den Ihren wohl brauchen kann. Man muß sich schon in dem Reizungszustand unseres armen Volkes befinden, um den Versuch, diesem jammervollen Staat ohne Bürger etwas wie Idee, Seele, Lebensgeist einzuflößen, – mit Schimpf und Wut zu begegnen.“

Der Zuspruch kam nicht von Ungefähr. Emil Liefmann und seine Frau Marie Liefmann gehörten einem fortschrittlichen, linksliberalen Frankfurter Bürgermilieu an. Beide waren zudem Mitglieder der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei.

In den folgenden Jahren kommt es immer wieder – wovon die Briefe künden – zu Besuchen der Manns in Frankfurt. „Köln und Essen“, so schreiben beispielsweise Thomas und Katia Mann am 6.5.1927 von einer Rheinreise mit Lesungen in beiden Städten, „waren auch sehr angenehme Aufenthalte, aber dem Frankfurter kommt keiner gleich.“

Mit dem Machtantritt der Nazis 1933 ändert sich alles. Die Besuche in Frankfurt werden nun unmöglich, immerhin gelingt es Liefmann noch, den exilierten Schriftsteller in der Schweiz aufzusuchen, sofern „Pass- und Devisenstand“, wie er in einem Brief vom 28. Juli 1933 schreibt, es erlauben. Was hier beiläufig angedeutet wird, hat eine schwerwiegende Begründung: Liefmann ist Jude und sieht sich bereits unmittelbar Schikanen zur Ausgrenzung ausgesetzt. Die „raue Wirklichkeit“, von der er dezent in einem anderen Brief schreibt, zehrt nun auch an der Existenz der Liefmanns. Am 1. Januar 1934, „am Ende dieses schicksalbeladenen Jahres“, schreibt er an Thomas Mann: „Wir beide leben still dahin. Von Zeit zu Zeit werden wir erquickt durch die Begegnung mit Menschen, die dieser Zeitlichkeit absolut unbestechlich gegenüberstehen, ja, ich habe den Eindruck, als wären derer gar nicht so wenige.“ Zu wenige aber, um das Verhängnis abwenden zu können. Unter dem zunehmenden Druck der Zwangsmaßnahmen und ihres Eigentums und Vermögens bereits beraubt konnten die Liefmanns am 4. April 1939 Frankfurt noch verlassen. Über Rotterdam gelangten sie nach New York. Ihre zurückgebliebenen Verwandten wurden von den Nazis ermordet.

In Amerika durfte Emil Liefmann als Arzt zunächst nicht praktizieren. Thomas Mann half nun zuweilen unmittelbar. Am 2. Januar 1940 schrieb er: „Sollte Freundschaft nicht ehrlich-sachliche Miene machen auf beiden Seiten? Ich lebe auch von der Hand in den Mund, aber meine Arbeit hat das Hundepack mir nicht nehmen können, und ich vertraue darauf, daß Sie sich im Notfall an mich wenden, damit ich nie wieder so lange zaghaft hin und her denken muß, wie jetzt, bis ich mich entschloss, diesen Zeilen einen bescheidenen Check beizulegen, dessen Betrag, wie etwa Weiteres, Sie mir ja zurückgeben können, wenn Sie Einnahmen haben.“ Bevor das aber möglich war, musste Liefmann ein neuerliches Examen ablegen. Er bestand diese „groteske Strapaze“, zu der Thomas Mann am 1.Oktober 1940 gratulierte: „Großartig! Nun sind Sie M.D., vollberechtigt und losgelassen auf die Bevölkerung of this country. Gratuliere herzlich.“

1941 siedelten die Manns nach Kalifornien um. Es mag der weiten Entfernung zwischen Ost- und Westküste geschuldet sein, dass man fortan sich immer seltener traf. Nur ein Brief Thomas Manns an Emil Liefmann vom 24. Januar 1942 liegt noch vor. Indes erfahren wir aus dem Tagebuch Thomas Manns, dass es weiterhin Kontakte zu den Liefmanns gab. Überliefert ist schließlich nur noch ein Brief vom 30.11.1952, der den vorliegenden Briefwechsel abschließt. Den Brief an die 1949 bereits wieder nach Frankfurt zurückgekehrten Liefmanns leitete Thomas Mann ein: „Liebe alte Freunde“!

Titelbild

Daniel Lang (Hg.): Thomas Mann – Emil Liefmann. Briefwechsel.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2013.
175 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783866001640

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