Eleganz als Beruf

Eine Anthologie versammelt Beiträge zu einem kulturhistorischen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts

Von Tobias WeilandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Weilandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 „Dandy, Dandy…you’re chasing all the girls“, wie einst die englische Rockband The Kinks proklamierte, trifft nicht den Kern des Dandys. Der Dandy ist kein Schürzenjäger und auch kein Schwerenöter. Vielmehr lebt er ein Leben der unterdrückten Sexualität, da ihm alles Empfinden fremd ist, ja geradezu seinen Lebensstil prägt. So notierte einst der „literarische Dandy“ Charles Baudelaire, dass es zwar ein Vergnügen sei, Mitmenschen in Erstaunen zu versetzen, es hingegen eine stolze Genugtuung ist, selbst niemals in Erstaunen zu geraten. Charakteristisch für den Dandy ist seine Unerschütterlichkeit. Der Dandy ist auch kein Snob, gleichwohl er eitel und arrogant ist. Er ist ein Gebildeter, ohne aber ein Akademiker zu sein. Er frönt dem Müßiggang, ist aber kein Flaneur, zudem es ebenfalls definitorisch gehört, keinem ernsthaften Beruf nachzugehen. Er ist modisch und elegant gekleidet, aber kein Modenarr oder fashion victim. Nicht zuletzt hat der Dandy ausgezeichnete Manieren, ist aber kein Gentleman. Was hat es nun also mit dem Dandy auf sich? Hierüber soll die Anthologie „Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert“ aufklären. Die Herausgeber Joachim M. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig und Julius H. Schoeps versammeln in 16 Aufsätzen neueste Erkenntnisse der Forschung über das sogenannte Dandytum. Hierbei treibt viele der Autorinnen und Autoren der Essays die Frage um, die sich bereits The Kinks stellten: „Dandy, Dandy where you gonna go now?“. Gibt es noch Dandys und wie hat sich der Dandy seit dem 19. Jahrhundert verändert? Die erste Frage scheint bereits der Titel des Sammelbandes zu beantworten, denn dieser reicht in der angegebenen Zeitspanne bis ins frühe 20. Jahrhundert. Glücklicherweise halten sich aber nicht alle Autoren an diese zeitliche Einschränkung. Fernand Hörner („Jan Delay, oder: Die Zukunft des Dandys zwischen Texten und Textilien“) verfolgt die Spur des Dandys bis in die Gegenwart und konstatiert, dass der Sänger Jan Delay der wohl noch einzig Verbliebene dieser gefährdeten Spezies ist. Dies führt Hörner nicht nur auf Delays Kleidungsstil, sondern auch auf sein nonchalantes Kokettieren mit einem geradezu geniehaften Arbeitsstil zurück, bei dem ohne viel Aufwand hervorragendes Liedgut geschaffen wird. Isabelle Stauffer („Die Femme Dandy – eine vergessene Tradition?“) ruft hingegen die weibliche Form des Dandys, die femme dandys, als eine der letzten Beispiele für das Dandytum aus. In persona ist dies Coco Chanel, die sich in ihrem Kleidungsstil und Gebaren am männlichen Pendant orientierte und durch ihren androgynen Look mit den Grenzen des typisch Männlichen und typisch Weiblichen spielte. Etwas weiter treiben es laut Stauffer die in den 1990er-Jahren auftauchenden drag kings, Frauen in Männerkleidung, die in den queeren Szenen New Yorks, Londons, San Fraciscos und Berlins ihre Orte haben. Wiederum andere Autoren wie Joachim H. Knoll und Günter Erbe begraben das Dandytum, da es dem Dandy durch das Aufstreben des Bürgertums und dem damit einhergehenden Untergang der Aristokratie unmöglich geworden ist, sein auf Distinktion von Gewöhnlichkeit und Konventionalität abzielenden Lebensweise zu führen. Andere Stimmen, wie die von Roland Barthes, beklagten das Ende des Dandys aufgrund der Uniformierung der Kleidungsindustrie.

Die Abgrenzung gelinge demzufolge nicht durch einen exorbitanten monetären Hintergrund, wie es der Adel oftmals mit sich brachte, sondern durch ein untrügliches Stilbewusstsein. Die Frage, ob es noch Dandys gibt, bleibt demnach kontrovers.

Leider, und dies ist ein Manko des Buches, wird die mögliche Metamorphose des Dandys bis in die Gegenwart nur nachlässig abgehandelt. Zwar fallen Namen wie Jan Delay und Coco Chanel, doch werden diese nur oberflächlich als Dandys beziehungsweise femme dandys analysiert. Wenn heute vom Dandy die Rede ist, beschränkt sich dessen Bild zumeist nur auf das Äußere, sein genuiner Habitus wird dabei nicht übernommen, wodurch der Dandy trivialisiert wird. Umso interessanter wäre es demnach, der Frage nachzugehen, inwiefern sich der Dandy zum Hipster transformiert hat. Übereinstimmungen gibt es zwischen beiden ‚Gruppierungen‘, wie angelsächsiche Kollegen bereits festgestellt haben.

Was ist nun ein Dandy, wenn er kein Schürzenjäger, Snob, Akademiker, Flaneur, Modenarr oder Gentleman ist? Nun, auf den ersten Blick ist er eben eine Mischung aus allem genannten. Auf den zweiten Blick ist er jedoch mehr als das. Den Prototypen des Dandys stellt George Brummell im 19. Jahrhundert dar. Herausstechend war sicherlich der elegante Kleidungsstil Brummells, der allen Dandys nachgesagt wird. Hier war es aber weniger das schrille oder clowneske Kleiden, das unter anderem Oscar Wilde in jungen Jahren exzessiv zelebrierte, sondern ein dezent geschmackvolles Bekleiden, das unter dem Titel Refinement in die Forschung eingegangen ist. Raffinierte Einfachheit machte die Mode Brummells aus. Neben einer ästhetisch-kultivierten Kleidung, war es aber auch sein intellektuell-ästhetisches Gebaren, das ihm zum Dandy par excellence werden ließ, wie es Knoll im Vorwort des Bandes klarstellt. Jules Barbey d’Aurevilly, selbst einer der Dandylichtgestalten, brachte es einst in seinem vielzitierten Werk „Das Dandytum“ auf den Punkt: „Das Dandytum ist eine ganze Art zu sein, und zwar nicht nur im Bereich des Sichtbaren… Ein Anzug bewegt sich ja nicht allein! Im Gegenteil! Erst eine bestimmte Art, ihn zu tragen, bringt das Dandytum hervor.“ Es umfasst demnach das ganze Leben und sämtliche Aspekte der Lebensführung. So ist zum Beispiel von Brummell überliefert, dass er täglich viele Stunden damit zubrachte, seine Kleidung, und insbesondere sein Halstuch und Kragen bis zur Perfektion zu richten. Gerade die Krawatte oder andere Halskleider sind ein notwendiges modisches Accessoire des Dandys und passt als bloßer Dekorationsgegenstand zweifellos zu dessen Äußeren (Julia Bertschik: „‚Des Dandys bestes Stück‘: Die Krawatte als ästhetisches Paradox von Beau Brummell“) Klar, dass man bei dieser Beschäftigung keinem geregelten Beruf nachgehen kann; der Beruf des Dandys ist seine Eleganz. So gilt der Dandy auch als Müßiggänger, der nur in Ausnahmefällen, wie zum Beispiel Oscar Wilde, tatsächlich etwas schafft, jedoch immer mit dem Duktus des Genialischen, der mit wenig Aufwand literarische Perlen hervorbringt. Naturwissenschaftlich gebildete Dandys gab es laut Knoll übrigens kaum.

Der Dandy stellt, im Gegensatz zum Beispiel zum Gentleman, seine eigenen Regeln auf, nach denen er handelt. Jeder Dandy ist selbst die (womöglich letzte, auf jeden Fall aber beste) Inkarnation des Dandys. Ein jeder nimmt ein Höchstmaß an Exklusivität für sich in Anspruch (Günter Erbe: „Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert“), wodurch er sich nicht nur zur Benimm-, sondern auch zur Geschmackselite emporhebt.

Die genannten Merkmale des Dandys lassen einen Vergleich zu einem bereits in die 1920er-Jahre zurückreichendes Phänomen zu: dem Hipster. Wie der Dandy lebt der zeitgenössische Hipster vornehmlich in Großstädten wie New York und Berlin, was ihm häufige Stigmatisierungen als Gentrifizierungsursache einbringt. Er gilt als modebewusst, oder zumindest sich durch sein Äußeres abgrenzendes Wesen. Ironisch, durch Tragen von riesigen Woody-Allen-Brillen, Pflege von Vollbärten (bei Männern) und das lässige Umhertragen originell, teilweise frivol bedruckter Jutebeutel, flieht der Hipster vor dem mainstream, also vor der ‚Geschmacksmasse‘. Gegen die Gefährdung seiner Individualität durch eine Masse von Nachahmern, weiß er sich jedoch durch die Wahl immer neuer Details und Kleidungsstile zu wehren. Der Hipster möchte als aufgeklärt und gebildet (zumindest verfügt er über ein gewisses Herrschaftswissen darüber, was eben ‚hip‘ ist), womöglich sogar als intellektuell gelten. Er selbst, und auch hier stimmt er mit dem Dandy überein, bestimmt, was ‚cool‘ ist. Der Hipster, und so auch der Dandy, wird zum alleinigen Verkünder des ausgewählten Geschmacks. Der Hipster definiert sich, wie sollte es auch anders sein, nicht nur durch einen bestimmten modischen, sondern auch kulturellen Code, der ein Erkennen leichter macht, auch wenn gerade dieses Erkennen anhand von allgemeinen Merkmalen der Tod des Hipsters und auch des Dandys sein muss. Und zuletzt: Weder ein Dandy, noch ein Hipster würde jemals zugeben, ein solcher zu sein, denn ein Label muss jede Form von Individual-Hipster-Seins beziehungsweise Individual-Dandytums unter sich begraben. Die notwendigen Eigenschaften des Hipsters lassen sich in einer Triade zusammenfassen, die Mark Greif, Herausgeber des unlängst erschienenen Suhrkamp-Bändchens „Hipster – Eine transatlantische Diskussion“ formulierte: „Abgrenzung, Narzissmus und ein[…] Gefühl der Überlegenheit“. Und diese könnte durchaus auch auf den Dandy angewandt werden. Zugegebenermaßen können einige dieser Merkmale auch auf andere Subkulturen angewendet werden. Dies zeigt aber nur umso deutlicher, wie schwierig es ist, ein kulturelles Phänomen wie den Dandy begrifflich zu fassen und ihn gegenüber durch unverwechselbare Charakteristika auszuzeichnen. Es bleibt durchaus zu bezweifeln, inwiefern dies mit dem vorliegenden Band gelungen ist.

„Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert“ ist im Gegensatz zu vielen Publikationen der letzten Jahre keine Sammlung historischer Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert. In der vorliegenden Anthologie wird versucht, dem Dandy systematisch auf die Spur zu kommen. Dabei verhandeln Vertreter aus verschiedenenen Disziplinen eine Begriffsbestimmung des Dandys. So finden sich Beiträge, die das Phänomen Dandy aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, wie der Literaturwissenschaft, der Musikwissenschaft und der Film- und Fernsehwissenschaften. Da werden Vergleiche zwischen Dandyliteraten gezogen, Biopics über Oscar Wilde nach dem genuin Dandyhaften untersucht, oder die politischen Aktionen Sergej Diaghilews rekonstruiert, um ihn als Nicht-Dandy zu entlarven.

Trotz des großen Aufwandes, den die Autorinnen und Autoren dieser Anthologie betrieben, bleiben die Gewässer des Dandytums trübe. Dies ist sicherlich auch der Vorgehensweise vieler der versammelten Autoren geschuldet. So wird zumeist eine einzelne Persönlichkeit herausgegriffen und als Dandy deklariert, ein wenn auch noch diffuser Begriff des Dandys bereits vorausgesetzt. Aus den herausgearbeiteten Merkmalen des Stils und des Gebarens wird auf die Definition des Dandys geschlossen. So muss jedoch festgehalten werden, dass Oscar Wilde nicht dem Refinement frönte, Coco Chanel eine knallharte Geschäftsfrau und ein regelrechtes Arbeitstier war und Gabriele d’Annunzio „in Kleidung und Auftreten schon früh auch die Verhaltensweisen der französischen décadents“ adaptierte, also bereits bestehenden „Regeln“ folgte (Sebastian Neumeister: „Gabriele d’Annunzio: Ein Dandy zwischen Leben und Literatur“). Einzig Gregor Schuhen („Untergeordnet? Sublim? Entartet? Der Dandy aus Sicht der Men’s Studies“) scheint dies genauso zu sehen, wenn er notiert: Es macht keinen Sinn „über ‚den‘ Dandy schlechthin zu sprechen. Da es sich beim Dandy um einen extrem auf Individualismus abzielenden Selbstentwurf handelt, verbieten sich generalisierende Aussagen geradezu.“ Immerhin, diese, wenn auch vage Definition ist doch schon einmal etwas.

Titelbild

Anna-Dorothea Ludewig / Joachim H. Knoll / Julius H. Schoeps (Hg.): Der Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert.
De Gruyter, Berlin 2013.
298 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110305524

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