Zweierlei zu Jean Paul

Im Nachtrag zum Jubiläumsjahr: ein biografischer und ein editionsphilologischer Blick auf Jean Paul

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen, nicht zuletzt begleitet von den Reverenzen seiner heutigen Kollegen aufwendig begangene Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag von Jean Paul ist inzwischen vorüber. Dennoch soll an dieser Stelle noch einmal die Gelegenheit genutzt werden, den Blick auf zwei Neuerscheinungen aus diesem Zusammenhang zu richten – obzwar man gewiss nicht behaupten kann, dass es dem Buchmarkt im Jahr 2013 an Neuerscheinungen oder Wiederauflagen von Jean-Paul-Publikationen gemangelt habe. Das nimmt aber der freiherzig-freundschaftlichen wie auch der philologisch exakten Perspektive auf das Werk und das Leben Jean Pauls nichts von ihrem Wert, wie es die beiden im Folgenden vorzustellenden Bände ihren Leserinnen und Lesern bieten.

Da ist zunächst die beeindruckende Jean-Paul-Bildbiografie „Das Wort und die Freiheit“, herausgegeben von Bernhard Echte und der Germanistin Petra Kabus in Echtes Wädenswiler Nimbus-Verlag. Biografien des 1763 geborenen Johann Paul Friedrich Richter, die ihn jeweils mehr oder weniger entschlossen hinter seinem schriftstellernden Alter Ego hervorzuziehen versuchen, gibt es bereits mehrere. Auch im vergangenen Jahr sind neue hinzugekommen. Bernhard Echte stellt in seiner Vorbemerkung fest: „Für Jean Paul war sein Leben nur insofern interessant, als es Ausgangsmaterial zu seinen Büchern erzeugte und entsprechend ausgebeutet werden konnte. Seine Tätigkeit ihm selbst überlegen und sein Leben zweitrangig im Vergleich zu seinem Werk.“ Umso mehr aber bietet sich Jean Paul für uns Leserinnen und Leser späterer Jahre an, sein Werk auf sein Leben hin zu befragen. Mit aller dabei gebotenen Vorsicht, natürlich, und dank der vorliegenden Literatur nun auch sicher geführt durch die Fallstricke Jean Paul’scher Selbstfiktionalisierung.

Dieser Band nun hat jedoch mit seinem Ansatz, Leben und Werk des Autors mit mehreren Hundert Illustrationen im Format eines Bildbands zu entfalten, so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Dessen 62 Lebensjahre zwischen Absolutismus und Restauration spiegeln sich in zeitgenössischen Stichen und Gemälden, in faksimilierten Manuskript- und Buchseiten sowie den jeweils ausführlichen Kommentaren und Erläuterungen der Herausgeber. Hinzu kommen außerdem Essays zu Einzelthemen, etwa Jean Paul im Verhältnis zur Weimarer Klassik, zu den Frauen oder zu Napoleon, beigetragen unter anderem von Brigitte Kronauer und zahlreichen wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren.

Über die Stationen des Lebens und der Reisen Jean Pauls hinaus reicht der Band schließlich auch bis zu seinem Nachruhm und zu seiner jüngeren Editionsgeschichte. Deren Grundlagen legte Eduard Berend, der sein Leben – auch unter den Bedrückungen der NS-Herrschaft und der Emigration, in die er gezwungen wurde – einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Jean-Paul-Edition widmete, die bis heute fortgeführt wird.

Der materialreiche Band von Echte und Kabus verdankt sich der Kooperation der beiden Herausgeber nicht nur mit den zahlreichen Beiträgern, sondern auch mit diversen Bibliotheken, Archiven und anderen Institutionen, die Teile des Nachlasses oder andere relevante Bestände zu Leben und Werk Jean Pauls verwahren. Freilich ist er gerade in Ergänzung zu einer der einschlägigen Biografien empfehlenswert, und allen an Jean Paul Interessierten sehr ans Herz gelegt.

Aus einer anderen Richtung stellt uns die von Kaltërina Latifi herausgegebene historisch-kritische Edition der Jean Paul’schen Vorrede zu E.T.A. Hoffmanns „Fantasiestücken in Callot’s Manier“ den Jubiläumsautor des vergangenen Jahres vor. Dass Jean Paul das 1814 erschienene erste größere Werk Hoffmanns mit einer Vorrede versah, ging auf einen durchaus strategischen Vorschlag des Bamberger Verlegers Carl Friedrich Kunz, der mit beiden bekannt war, zurück. Ihm gelang es, die Einführung Hoffmanns auf dem Buchmarkt mithilfe des renommierten Jean Paul aus dem nahe gelegenen Bayreuth auch gegen die anfänglichen Vorbehalte beider Schriftsteller durchzusetzen. Die Vorrede selbst besteht zum größten Teil aus einer – auf das Jahr 1823 datierten – fiktiven Rezension des Hoffmann’schen Werks für die „Jenaische Allgemeine Literaturzeitung“.

Kaltërina Latifi, die im Jahr 2011 bereits eine historisch-kritische Edition von Hoffmanns „Der Sandmann“ vorgelegt hat (ebenfalls bei Stroemfeld), präsentiert uns den Jean Paul’schen Text in seinen verschiedenen Varianten mit aller philologischer Akribie, wie man sie im Umfeld der Heidelberger Textkritiker erwarten kann. Zunächst werden die verschiedenen handschriftlichen Stadien der Textentstehung, soweit sie erhalten sind, faksimiliert, transkribiert und detailliert beschrieben: erste Notizen, eine Entwurfshandschrift aus Jean Pauls Feder sowie das Fragment einer Reinschrift. Latifi stellt damit auch einige überlieferungsgeschichtliche Irrtümer über die Dokumente klar. Sodann folgt eine Edition des Erstdrucks der Vorrede mit Hinweisen auf Veränderungen, wie sie den beiden Wiederabdrucken zu Lebzeiten Jean Pauls zu entnehmen sind. Philologisch detailliert legt die Autorin Gründe für Differenzen zwischen dieser Handschrift und der Druckfassung dar, beispielsweise im Hinblick auf eine Fußnote, die auf Hoffmanns „Magnetiseur“ hinweist. Jean Paul sandte im Februar 1814 die von seiner Frau Karoline Richter angefertigte Reinschrift der Vorrede – mit Korrekturen von eigener Hand – an Kunz, der die Handschrift später in Teilen verschenkte. Das von ihm dem Schriftsteller Karl Immermann zugeeignete letzte Blatt ist heute als einziges erhalten und befindet sich im Bayreuther Jean-Paul-Museum (die übrigen Handschriften befinden sich in der Staatsbibliothek zu Berlin).

Die genauen Zusammenhänge der Entstehungsgeschichte und der Bekanntschaft zwischen Hoffmann und Jean Paul werden von Latifi in einem Anhang erläutert, der auch einige Dokumente aus diesem Zusammenhang faksimiliert und transkribiert wiedergibt, darunter unter anderem einen Brief E.T.A. Hoffmanns an Jean Paul aus dem Jahr 1822. Mag die Vorrede zu den „Fantasiestücken“ auch eine gewisse Nähe beider Autoren dokumentieren, räumte sie doch die wechselseitig und besonders aufseiten Jean Pauls bestehenden Vorbehalte nicht aus. Die beiden Autoren, die in Bayreuth beziehungsweise Bamberg wohnend sich eine Zeit lang doch wenigstens räumlich nahe waren, blieben oder wurden sich zunehmend fremd. Hoffmann selbst scheint von der Vorrede nur mäßig begeistert gewesen zu sein; jedenfalls bat er seinen Verleger noch vor Drucklegung des Bandes im Falle einer zweiten Auflage auf eine Übernahme der Vorrede zu verzichten (tatsächlich wurde sie aber 1819 nochmals abgedruckt). Umgekehrt ging Jean Paul, der sich nach einer ersten Lektüre der „Fantasiestücke“ noch angetan gezeigt hatte, später auf Distanz zu Hoffmann, ja, er betrachtete ihn als einen schlechten Nachahmer seiner selbst – im Komischen zumal. In der Bildbiographie von Echte und Kabus wird es auf den Punkt gebracht: Jean Paul habe den Eindruck gehabt, „Hoffmann schreibe weniger in Callots denn in Jean Pauls Manier“. Beide Bände dürfen dem interessierten Publikum guten Gewissens ans Herz gelegt werden.

Titelbild

Bernhard Echte / Petra Kabus: Das Wort und die Freiheit. Jean Paul-Bildbiographie.
Nimbus. Kunst und Bücher, Wädenswil 2013.
420 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783907142837

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Titelbild

Jean Paul: Vorrede zu E.T.A. Hoffmann »Fantasiestücke in Callot’s Manier«. Historisch-kritische Edition.
Herausgegeben von Kalterina Latifi.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2013.
170 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783866001770

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