Vor lesenden Frauen wird gewarnt!

Ein Münchner Verlag setzt auf Titel, die seine Leserinnen gefährlich erscheinen lassen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt da einen kleinen Münchner Verlag, der beschwört in den Titel etlicher seiner Bücher geradezu gebetsmühlenartig die Gefahr, die von lesenden Frauen ausgehe. „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ verspricht ein Titel den anvisierten Leserinnen. Greifen sie zu dem Buch, dürfen sie sich während der Lektüre und darüber hinaus mithin in das wohlige Gefühl hüllen, selbst als durchaus nicht ungefährlich gelten zu können. Gefährlich womöglich für Machos, Macker, Macher und überhaupt das ganze Patriarchat. Vielleicht aber auch für Nicht-LeserInnen aller Geschlechter, die auf diversen Gebieten als potenzielle KonkurrentInnen in Frage kommen – sei es im Arbeits-, Wirtschafts-, Liebes- oder im sonstigen Leben.

Tatsächlich gefährlich werden Lesende jedoch allenfalls dann, wenn sie sich nicht auf diese rezeptive Tätigkeit beschränken, sondern die Lektüre auch einmal aus der Hand legen und aktiv werden. Während Frauen, die mutmaßlich nie ein Buch zur Hand genommen haben, sehr wohl in vielerlei Hinsicht gefährlich sein können. Und zwar allen und jedem. Selbstverständlich trifft all dies nicht allein auf Frauen, sondern auf Menschen überhaupt zu. Und ebenso selbstverständlich ist bei besagtem Buchtitel ein Augenzwinkern mitzudenken.

Ebenso wie bei den Titel der drei hier zu besprechenden Bücher, die wahlweise die Gefährlichkeit von lesenden Hamburgerinnen, Münchnerinnen und Wienerinnen verkünden. Die von Thomas Bleitner respektive Claudia Teibler herausgegebenen Bände „Hamburgerinnen, die lesen, sind gefährlich“ und „Münchnerinnen, die lesen sind gefährlich“ bieten je vier bis fünf chronologisch geordnete Rubriken mit drei bis vier Kurz-Porträts von Frauen. Bleitner unterteilt seine Hamburgerinnen in „Bürgerinnen – Musen und Salonièren seit 1750“, „Rebellinnen – Revolution und Frauenrecht zur Jahrhundertwende“, Künstlerinnen – Die wilden Zwanzigerjahre“ und „Gründerinnen – Die Grandes Dames des Wiederaufbaus“, während Teibler die Münchnerinnen in den Rubriken „Gestutzte Flügel“, „Zwischen Wirtshaus und Rebellion“, „Musen, Gefährtinnen, Kämpferinnen“, „Verehrung, Verfolgung, Widerstand“ und „Wiederaufbau“ unterbringt.

Anders als Bleitner und Teibler hat Isabella Lechner in „Wienerinnen, die lesen, sind gefährlich“ die Rubriken „Frauenrechtlerinnen und Kämpferinnen“, „Salonièren und Künstlerinnen“, „Schriftstellerinnen und Dichterinnen“ sowie „Geschäftsfrauen und Pionierinnen“ nicht rein chronologisch angeordnet, dafür aber die Frauenporträts innerhalb der jeweiligen Rubriken.

Gemeinsam ist den drei Büchern hingegen, dass sie mal bekanntere, mal weniger bekannte Frauen vorstellen. Dabei sind die unbekannteren keineswegs die weniger interessanten, wie etwa das Porträt der Hamburgerin Ludmilla Assing bezeugt, wenngleich sie vielleicht nicht wirklich „eine der bedeutendsten Frauen der literarischen und politischen Avantgarde des 19. Jahrhunderts“ gewesen sein mag, zu denen sie Bleitner zählt.

Wie er im Vorwort erklärt, folgt er in seinem Hamburg-Buch „Spuren avantgardistischer Frauen, die das Kulturleben ihrer Stadt seit der Aufklärung geprägt haben“. Damit sind die vorgestellten Frauen weit treffender charakterisiert als mit der vom Verlag vermutlich aus Werbegründen so geliebten Wendung von den Frauen, die qua Lektüre gefährlich seien. Eine Behauptung, die im Übrigen bei nicht einer der in den drei Bänden vorgestellten Frauen plausibilisiert wird. Überhaupt ist in ihnen von der Lektüre der Frauen oder gar deren Gefahren bergenden Folgen wenig die Rede. Eine weit größere Rolle spielen hingegen nicht selten die Autorschaft der Porträtierten, ihr Engagement in Frauen- und Friedensbewegung, gelegentlich ihr Mäzenatentum. Verweist etwa Bleitner ausnahmsweise doch einmal auf die Relevanz ihrer Lektüre, ist das nicht unbedingt überzeugend. So erklärt er, in Lida Gustava Heymann sei angesichts der Ehen ihrer Schwestern und ihrer Lektüre von Ibsens Dramen „der Entschuss gereift, ledig zu bleiben“. Wäre es nicht vielleicht doch etwas naheliegender, dass ihre lesbische Identität diesen Entschluss in ihr reifen ließ?

Claudia Teibler versucht zwar im Vorwort ihres Bandes, die Relevanz des Lesens für die ‚Gefährlichkeit‘ der von ihr vorgestellten Münchnerinnen zu betonen, doch mutet das fast schon ein wenig zwanghaft an. Vermutlich versucht sie jedoch einfach, den vom Verlag vorgegebenen Titel des Bandes zu rechtfertigen.

Isabella Lechner spricht in ihrem Vorwort zwar auch einmal kurz von lesenden Frauen, bekennt dann aber doch, dass diese rezeptive Tätigkeit nicht für die Auswahl der vorgestellten Wienerinnen entscheidend war, sondern vielmehr, „dass sich die Frauen intellektuell betätigt haben und die kulturelle Geschichte der Stadt prägten beziehungsweise Leitfiguren oder ‚Wiener Originale‘ waren“, so dass „Errungenschaften der Wiener Frauenbewegung beleuchtet und die Flügeltüren in die Räume der Salonièren geöffnet, die vielseitigen Wege von Schriftstellerinnen skizziert sowie Geschäftsfrauen und Pionierinnen vorgestellt werden“ können.

Weder Bleitner noch Teibler haben das Spektrum der vorgestellten Frauen derart breit angelegt ist wie Lechner. Die Palette der porträtierten Wienerinnen reicht von so bekannten Frauen wie der Schriftstellerin und Pazifistin Bertha von Suttner, der Psychoanalytikerin Anna Freud oder der Feministin Rosa Mayreder  über weniger bekannte wie der ersten Frauenministerin Österreichs Johanna Dohnal, der Modeschöpferin Emilie Flöge, der Eiskunstläuferin Eva Pawlik, der Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer und der vielseitig aktive Salonière Berta Zuckerkandl bis hin zu außerhalb Wiens weitgehend unbekannten Frauen wie der Hotelbesitzerin Anna Sacher, der (Akt-)Fotografin Trude Fleischmann, der Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky oder der „Legende der Wiener Kaffeehauskultur“ Josefine Hawelka. Über sie alle und einige mehr hat Lechner Interessantes bis Wissenswertes zu berichten – und darüber hinaus auch so Manches über die Wiener Geschichte. Wer hat beispielsweise schon etwas von der „Praterschlacht“ anno 1884 gehört, bei der 18 Menschen den Tod fanden und 300 weitere verletzt wurden. Lechner macht in ihr den Beginn der österreichischen Frauenbewegung aus. Denn der Schlacht war ein Protest Wiener Erdarbeiterinnen gegen allzu niedrige Löhne vorausgegangen. Wenige Tage nach dem Massaker gründete Karoline von Perin den Wiener Demokratischen Frauenverein. Bedauerlicherweise erwähnt die Autorin Perin zwar, gönnt ihr jedoch kein eigenes Porträt. Wie man aber erfährt, handelte es sich um den ersten politischen Frauenverein Österreichs, der allerdings schon nach zwei Monaten „aufgelöst“ wurde. Lechner verrät leider nicht, ob von den Gründerinnen oder den sie verfolgenden Behörden. Für letzteres spricht nicht nur, dass Perin „verhaftet und zur Emigration nach München gezwungen“ wurde, sondern auch, dass Frauen in Österreich fortan „politische Aktivitäten in Vereinen und Parteien“ verboten waren.

Auch Bleitner wirft einen näheren Blick auf die Feministinnen seiner Stadt und betont zu Recht, dass die Frauenbewegung in Hamburg „eine wesentliche Triebkraft des rapiden gesellschaftlichen Wandels“ war. Im Detail halten seine diesbezüglichen Kenntnisse jedoch nicht immer ganz stand. So etwa, wenn er erklärt: „Das Frauenwahlrecht vertraten beide Richtungen mit Vehemenz, es war das zentrale Moment, das die Flügel einte.“ Tatsächlich wurde das Frauenwahlrecht vor allem vom radikalen Flügel immer wieder nachdrücklich eingefordert. Der gemäßigte hielt sich in dieser Frage eher zurück. Die Forderung erschien ihm – nun ja – zu radikal. Und wenn Bleitner meint, Gertrud Bäumer sei „nicht Pazifistin genug“ gewesen, als dass es sie hätte „irritieren“ können, wenn Frauen in der Rüstungsindustrie arbeiteten, ist dies eine grandiose Untertreibung. Denn Bäumer war überhaupt keine Pazifistin, sondern sah in dem Krieg vielmehr eine Möglichkeit, „das Nationalbewußtsein der Frauen unter Beweis zustellen“, wie die Bäumer-Biografin Angelika Schaser ausführlich darlegt.

Mit Anita Augspurg befindet sich auch unter den von Teibler vorgestellten Münchnerinnen eine Feministin. Zwar weiß die Autorin um die Auseinandersetzungen zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung. Wenn sie darüber jedoch nur mitteilt, dass „die Positionen von Augspurg und Heymann sogar so radikal waren, dass sie sich mit mancher gemäßigteren Mitstreiterin überwarfen“, ist dies allzu dürftig.

Andererseits muss sich Rilke von ihr aus guten Gründen für seine Meinung zurechtweisen lassen, Elsa Bernstein habe „dem ‚Frauenemancipationsbestreben’, welches reichlich in Blüte steht, ganz fern“ gestanden. Unzutreffend ist hingegen, dass Franziska zu Reventlow Rezensionen geschrieben hat. Weiter berichtet Teibler, Münchner Freunde Reventlows seien „wegen ihres nach ihrem Tod veröffentlichten Tagebuches, das auch die depressiven, dunklen Seiten einer Frau offenbart, die die meisten nur als fröhliche, ausgelassene Figur wahrgenommen hatten“, „schockiert“ gewesen. Dabei verliert sie nicht ein einziges Wort darüber, dass die von Else Reventlow 1925 herausgegebene Tagebuch-Edition – nur von ihr kann die Rede sein – zahlreiche Streichungen und (Ver-)Fälschungen der Aufzeichnungen ihrer Schwiegermutter enthielt. Erst 2006 erschien es in einer verlässlich transkribierten Fassung. „Das Herz der Schwabinger Bohème“ hört Teibler aber nicht wie so viele andere in Reventlow schlagen, „auch nicht bei einer Malerin oder Dichterin, bei keiner Intellektuellen oder Hetäre, sondern bei der Tochter eines Traunsteiner Pferdehändlers“ namens Kathi Kobus. Sie war die Wirtin der berühmten Münchner Boheme-Kneipe Simplicissismus.

Thomas Bleitner wiederum weiß von der Hamburger Autorin Amalia Schoppe zu berichten, dass „Historiker“ sie „gerne als ‚Literaturfabrik‘ bezeichnen, was zwar despektierlich klingt, de facto aber durchaus zutrifft.“ Nun mag sein, dass die „Historiker“ zu einer treffenden Metapher gegriffen haben; de facto aber trifft es ganz sicherlich nicht zu. Dafür aber klingt die Metapher nicht nur despektierlich, sondern ist es auch. Missglückt ist eine eigene Metapher Bleitners, der meint, dass Schoppe „das Revolutionäre gewissermaßen im Blut lag“. Missglückt ist sie umso mehr, als er unmittelbar anschließend auf ihren Großvater verweist, der „wegen ‚Jakobinismus‘ angeklagt“ gewesen sei, was die Metapher als de-facto-Behauptung lesbar macht. Zumindest unglücklich formuliert ist auch seine Feststellung, „das Bild der Femme fatale“, das Ida Dehmel „in vielen erzeugte, war eher Projektion als Realität“. Denn die Figur der Femme fatal ist immer eine Projektion, genauer gesagt, eine Männerfantasie. Sie wird auch nicht von den Frauen „erzeugt“, die als solche gelten, sondern von den Männern, denen sie als solche gelten. Mit seiner Formulierung suggeriert Bleitner hingegen, die Frauen projizierten das Bild der Femme fatale in die Köpfe der Männer.

Nun mag mancherlei in dem einen oder anderen der drei Bände zu monieren sein. Regen die Bücher die Lesenden aber dazu an, sich näher mit den Porträtierten zu befassen, seien ihnen die doch meist kleineren Mängel gerne nachgesehen.

Titelbild

Claudia Teibler: Münchnerinnen, die lesen, sind gefährlich.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2010.
160 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783938045503

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Thomas Bleitner: Hamburgerinnen, die lesen, sind gefährlich.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2011.
160 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783938045589

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Isabella Lechner: Wienerinnen, die lesen, sind gefährlich.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2012.
160 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783938045725

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