Des Kaisers letzter Repräsentant

Lothar Machtan beschreibt in seiner Biografie „Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers“ die Lebensgeschichte des Prinzen als Kultur- und Politikgeschichte des Kaiserreiches in seiner Endphase

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Möglicherweise wird sein Name in diesem Jahr des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg einer größeren Öffentlichkeit bekannter werden: Prinz Max von Baden. Denn kurz vor Ende dieses Krieges, der zugleich das Ende der Monarchie in Deutschland bedeutete, rückte Max von Baden ins Rampenlicht. Er war „der letzte Kanzler des Kaisers“ – knapp vier Wochen lang: vom 3. Oktober bis zum 9. November 1918. Diese Kanzlerschaft wirft in ihrem Zustandekommen und natürlich ihrem Ende ein markantes Licht auf den Zustand der politischen Elite des deutschen Reiches, mithin dem Zustand der Monarchie unter Kaiser Wilhelm II. In dilettantischer Manier hatte man seit Jahren versucht, des Kaisers Großmachtstreben in irgendeine Form politischer Strategie zu überführen, war daran kläglich gescheitert und eben deshalb auch 1914 entscheidend für den Ausbruch des großen europäischen Krieges verantwortlich. Nun, vier Jahre später kam der selbstzerstörerische Dilettantismus, der in Berlin zugange war, zur Vollendung: ein kläglicher Untergang.

Max von Baden war in all seinen individuellen Facetten doch immer ein Repräsentant der Kaisergesellschaft vor dem Krieg. Und als solcher interessiert sich der Autor der vorliegenden Biografie „Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaiser“ für ihn. Das umfassend kenntnis- und detailreich auf fast 700 Seiten zusammengetragene Material gibt einerseits Einblick in das Leben des badischen Prinzen, schafft es andererseits aber auch, eine über dieses Leben hinausweisende Kultur- und Politikgeschichte des Kaiserreiches in seiner Endphase zu erzählen.

Am 10. Juli 1867 wurde Prinz Max von Baden geboren. Doch „nicht nur als unschuldiges, freies Menschenkind“ wurde Max geboren, sondern – so benennt der Autor schon gleich zu Beginn ein Max sein Leben lang quälendes Dilemma – „als vollwertiges Mitglied eines Herrscherhauses“. Denn das bedeutete im deutschen Fürstenstaat allerhand Pflichten. Sie ergaben sich zunächst aus den dynastischen Gegebenheiten. Man erwartete von Max ein der Dynastie dienendes Leben. Und Max schien den Erwartungen zu entsprechen. Schon bald gab er eine stattliche Figur ab: den Zeitgenossen galt der gutaussehende Prinz geradezu als Idealtypus des edlen Fürsten.

Nicht dass Max sich gegen diese Erwartungen hätte auflehnen wollen. Machtans Darstellung zeigt, dass Zeit seines Lebens der Prinz sich nie von den Erwartungen seiner Umwelt hat emanzipieren können, geschweige denn in einem Akt der Auflehnung sich zu befreien vermocht hätte. Statt dessen passte er sich an. Und litt an dieser Anpassung. Auch in der Kompensation seines Leidens in den Kuriositäten und Irrationalitäten des ausgehenden 19. Jahrhunderts war er ein Repräsentant seiner Zeit.

Max von Baden war homosexuell. Ein Makel im bigotten Kaiserreich, wo Polizeipräsidenten gewissenhaft Listen vermeintlich homosexueller Prominenter führten, die sich bei passender Gelegenheit von interessierter Seite immer wieder für schäbiges Intrigenspiel nutzen ließen. Aber auch wiederum nicht, denn weite Teile der Gesellschaft und Kultur, in der der Prinz sich bewegte, prägte eine Ästhetik des Homoerotischen mit deutlichen Anspielungen an das Sexuelle einerseits, während sie andererseits in übersteigerter Idealisierung all das ,Schmutzige‘ des Sexuellen von sich wies. Man denke nur an Richard Wagners Kunst, welchem der Prinz – kaum erstaunlich – viel Begeisterung entgegen brachte. Max war wohlgelitten in Bayreuth und sah sich als Freund des Hauses. Cosima, die Meisterwitwe und Hüterin des Wagner‘schen Erbes hegte ihrerseits den Prinzen. Es gehört zu den Kuriositäten dieses Lebens, dass Max in Krisen immer wieder ausgerechnet bei Cosima Wagner Lebensrat suchte – und bekam.

Solcher Rat mochte nun wieder das Männliche seines Standes betont haben und mahnte ihn drängend an die ungeliebten Fürstenpflichten. Und zu diesen gehört die Vorsorge zur Erbfolge. Indes: dem Prinzen fiel es, nachdem er sich, wie Machtan ausgiebig erzählt, endlich doch verheiratete, schwer, den ehelichen Pflichten nachzukommen. Hilfe kam von einer weiteren schillernden Figur der ausgehenden Epoche: Axel Munthe. Der schwedische Arzt residierte, viel bewundert von den Zeitgenossen, in der Villa San Michele auf Capri, wohin nun Max von Baden wiederholt als ‚Patient‘ kam. Und tatsächlich: „Erlöst von Munthes Hand. Eine Tochter wird geboren“ überschreibt Machtan das Kapitel über Munthes Therapieerfolg. Tatsächlich verband die beiden Männer wohl mehr als nur das Arzt-Patient-Verhältnis.

Wilhelm II. kommentierte die ,Probleme‘ seines Verwandten immer wieder mit hämisch-markigen Kommentaren. „Schlappschwanz“, der „schlappe Max“, der wohl „wieder (von Munthe) massiert werden muss“ oder ähnliches sind Ausdrücke, die sich zuhauf als kaiserlich handgeschriebene Randbemerkungen auf Dokumenten finden.

Wohl auch deshalb hielt Max von Baden zu Berlin eine gewisse Distanz. Das dort im Umfeld des Kaisers vorherrschende Klima aus Heimlichtuerei, gezielt gestreuten Gerüchten, markiger Verlogenheit und chauvinistischer Herrscherpose setzte dem Prinzen arg zu. Zudem, so beschreibt Machtan anschaulich, fehlte dem Prinzen für das so hochgeschätzte Militärische der preußisch-hohenzollerischen Monarchie jegliche Begabung. Er erfüllte sein fürstliches Pflichtprogramm, das war’s. Kaum anders verhielt es sich mit dem Politischen. Eine eigene, die Verhältnisse kritisch hinterfragende politische Überzeugung oder gar Strategie entwickelte er nie. Zwar spürte er am eigenen Leib die Repressionen eines überkommenen Systems, aber als fürstlicher Repräsentant desselben profitierte er zugleich immer noch ausreichend von den Privilegien seines Standes. Sie ermöglichten ihm immer wieder die kleinen Fluchten.

Aber gerade sein partielles Außenstehen machte ihn interessant für solche Akteure im Kaiserreich, die sehr wohl sahen, wie das alte System seinem Untergang entgegen taumelte. In Max von Baden sahen sie einen weitgehend unbeschadeten Akteur, mit dem der unaufhaltsame Untergang der Monarchie aufzuhalten wäre. Nur so konnte der politisch unbedarfte Prinz schließlich ins politische Zentrum rücken und Reichskanzler werden.

Einige der Akteure, die nun für kurze Zeit im Umfeld des Prinzens der Macht sehr nahe kamen, waren zugleich schon seit längerem des Prinzen „Seelenführer“. Einer von ihnen war Kurt Hahn, der „spin doctor“, wie Machtan ihn nennt. Der spätere erste Leiter der 1920 gemeinsam mit dem Prinzen gegründeten Schule Schloss Salem, entwickelte in der Endphase des Kaiserreiches im Windschatten des Prinzen gehörigen politischen Ehrgeiz. Es war es, der den Prinzen politisch ,schulte‘, ihm eine Art politisches Programm verpasste, mit dem man glaubte, die Kriegsgegner für einen halbwegs ehrenvollen Frieden gewinnen zu können und so die Monarchie zu retten. „Das politische Richtige und Notwendige in der prekären Lage des Reiches zu beschließen,“ schreibt Machtan, „war im Oktober 1918 gewiß nicht leicht […] doch es war keineswegs unmöglich.“ Unabhängig davon, ob zu diesem Zeitpunkt das politische Richtige und Notwendige überhaupt noch positive Folgen für das Reich hätte haben können, es ließ sich schon deshalb nicht umsetzen, weil das alte Herrschaftssystem noch vollständig vorhanden war. Die Oberste Heeresleitung unter Ludendorff blieb auch nach des Prinzen Amtsantritt unbeschädigt im Amt und nutzte die Zeit, jene Legenden zu stricken, mit denen man sich selbst aus der Verantwortung stehlen und sie anderen zuweisen konnte. Als der zögernde Max von Baden Ludendorff schließlich entlässt, ist dieses Werk getan. Mit der Legende vom „Dolchstoß“ in den Rücken des unbesiegten Heeres vergifteten die Militärs die politische Atmosphäre der kommenden Jahre. Noch dramatischer gestaltete sich die Frage der Abdankung des Kaisers. Ausgiebig rekonstruiert Machtan die ängstlich-zögerliche Haltung des Prinzen, mit der er die Konfrontation mit ,seinem‘ Kaiser vermeiden will. Schließlich entscheiden die Realitäten. Die revolutionären Ereignisse des 9. November fegen das alte Regime hinweg. Der Kaiser flieht nach Holland ins Exil, nicht ohne noch den „Verräter“ Max von Baden deutlich als Verantwortlichen für seine Abdankung benannt zu haben. Der, nach einem Nervenzusammenbruch geschwächt, verlässt ebenfalls Berlin – in einem Sonderzug nach Karlsruhe, „der am Abend des 9. November um 20 Uhr auf dem Potsdamer Bahnhof für ihn bereitstand.“ „Daß er es fertigbrachte,“ kommentiert Machtan diese auf ihre Weise einmal mehr typische historische Kuriosität, „für seine private Flucht noch einmal veritable Mittel des Staates in Anspruch zu nehmen, darf man ohne weiteres zu den Treppenwitzen der Geschichte zählen.“

So saß der letzte Kanzler des Kaisers bequem im Sonderzugabteil und sah durchs Fenster, wie’s allüberall revoluzzte. Resultat war die Republik. Sie ließ den Prinzen unbeschadet. Am 6. November 1929 starb Max von Baden in Konstanz an einem Nierenversagen.

Titelbild

Lothar Machtan: Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers. Eine Biographie.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
668 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424070

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch