If you can’t make it there…

Katja Hubers dritter Roman „Coney Island“ scheitert am urbanen Märchen

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man nehme eine Handvoll skurriler Charaktere, die im Leben mehr suchen als sie bisher gefunden haben: einen talentierten (bisher erfolglosen) Künstler etwa, eine toughe Single-Frau, die sich stolz durch persönliche Siege und Niederlagen kämpft, und einen weisen alten Mann, der noch dazu ein hoffnungsloser Gutmensch ist, was er jedoch mit zynischem Ehrgeiz zu verbergen sucht. Dazu noch eine große Portion Melting-Pot-Romantik und einen Schauplatz, der zum einen nahezu jedem Leser ein Begriff ist, zum anderen scheinbar von selbst ‚magische‘ Augenblicke und Geschichten provoziert, gerade weil sein abgegriffener Charme sich als widerständiger erweist als jedes Klischee. Was kommt dabei heraus? Ein Großstadtroman natürlich, doch im Fall von Katja Hubers Roman „Coney Island“ soll es nicht irgendeine urbane Erzählung sein, sondern eine New-York-Erfindung, die noch mit wesentlich mehr Stereotypen jongliert als eben aufgeführt.

Professor Steinberg, ein renommierter Psychoanalytiker, der vor nicht allzu langer Zeit seine geliebte Frau verloren hat, ist ein alter Mann. Dennoch ist er beruflich weiterhin sehr aktiv, nimmt Transatlantikflüge auf sich und besucht Kongresse. Nach einem anstrengenden Heimflug erwartet er ungeduldig die Ankunft seiner langjährigen Sekretärin Eileen, doch Steinbergs Hoffnungen werden enttäuscht, als ihn das Pappschild eines unbekannten Mannes darauf aufmerksam macht, dass er anstelle Eileens zur Abholung des Professors bereit stehe. Steinberg erscheint die Situation von Anfang an suspekt, dennoch findet er sich kurze Zeit später in einem fremden Auto wieder, dessen Innenraum den Anschein erweckt, von unzähligen Post-It-Notizen zusammengehalten zu werden. Die Alarmglocken des Analytikers läuten schrill, denn der Profi erkennt den pathologischen Fall sofort. So beginnt der Roman, der den Leser im Anschluss mit nach Coney Island nimmt, um von dort ausgehend ein Märchen zu erzählen, in dem sich die nervösen Metropolenbewohner einmal mehr als voll von Spleens, Hoffnungen und Träumen, exzentrischen Ambitionen, vor allem aber als mit einem ‚goldenen Herzen‘ gesegnet erweisen.

Der Vergnügungspark von Coney Island spielt als Schauplatz dabei eine strategisch bedeutsame Rolle, denn dort laufen alle Fäden zusammen und genau hier liegt auch das Hauptproblem des Romans: Huber erzählt eine allzu vorhersehbare Geschichte, die aus unwahrscheinlichen Zufällen ein Zauberstück machen will. Würde das Ganze in Waldböckelheim spielen, fehlte dem Roman möglicherweise der Glanz der gewählten Kulisse, es hätte jedoch den Vorteil, dass auch die Fallhöhe im Vergleich zu anderen, ähnlich konzipierten Romanen wesentlich geringer wäre. Das ‚wunderbare‘ New York hat so unzählbar viele Geschichten hervorgebracht, Romanciers und Filmemacher jeder Herkunft inspiriert, ist jedem Leser und Zuschauer weit mehr als nur ein Begriff, sondern auch ein Fundus von Bildern und nicht zuletzt selbst eine Geschichte, die anders oder gar neu zu erzählen kaum möglich erscheint.

„Coney Island“ wagt sich auf unendlich viel beschriebenes Terrain, das entweder besonders originell, auf scheinbar unmögliche Art anders oder radikal ironisch inszeniert sein müsste, um Begeisterung zu wecken. Davon kann jedoch hier nicht die Rede sein.

Titelbild

Katja Huber: Coney Island. Roman.
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2012.
219 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783905951134

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