Vom Widerstand und der Brüderlichkeit

Aharon Appelfeld erzählt in seinem Roman „Auf der Lichtung“ von jüdischen Partisanen in den Karpaten

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Juden akzeptieren ihr Schicksal widerspruchslos“: Auch Dr. Krynicki meint das. Und deswegen muss Kamil es ihm erklären: „Wir sind jüdische Partisanen. Wir haben beschlossen, Herr unseres Schicksals zu sein, und haben eine Gruppe an Leuten aufgenommen, Männer, Frauen und Kinder, die wir aus den Todeszügen geholt haben.“ Um die Geretteten behandeln zu können, wurde Dr. Krynicki aus einem Dorf entführt – er kann es kaum glauben, dass ausgerechnet Juden ihn gefangenhalten: „Wir erwarten, dass sie sich wie ein Arzt verhalten, dass sie ihre Gefühle unterdrücken und tun, was Ihre Pflicht ist. Wir sind jüdische Kämpfer, und ich rate Ihnen, sich vernünftig zu verhalten.“

Jüdische Kämpfer: Das schient neu. Selbst ein deutscher Offizier sagt: „Es fällt mir schwer, das auszusprechen“ und bekommt dafür einen Schlag ins Gesicht. Aber es gab sie, auch im Zweiten Weltkrieg. Edmund ist einer von ihnen. Er ist 17 Jahre alt und stand kurz vor dem Abitur, als er ins Ghetto gesteckt wurde. Beim Abtransport gelang es ihm, zu fliehen, er traf eine Gruppe von Männern und Frauen, die sich wehrten. Unter Kamils Führung verstecken sie sich in den Wäldern und Sümpfen der Karpaten, besorgen sich Waffen, überfallen Bauernhöfe und einsam gelegene Häuser, um sich Lebensmittel und Winterkleidung zu beschaffen, Küchengeräte und Zelte, aber auch Bücher. Und manchmal überfallen sie sogar Apotheken, für Medikamente und Verbandsmaterial. Sie greifen sogar Patrouillen und kleinere Einheiten von Deutschen oder Ukrainern an, um Waffen und Munition zu erbeuten.

Es ist eine bunt zusammengewürfelte Truppe, aus allen Schichten, mit unterschiedlichen Meinungen und Fähigkeiten, von denen Aharon Appelfeld in seinem neuen Roman erzählt. Da ist Kamil, der Architektur studiert hat, ein Kämpfer mit Sinn für Strategie und Taktik, der die Aktionen plant, ein mitreißender Redner und „religiöser Anarchist“. Da ist Felix, sein Stellvertreter, ein Pragmatiker, der lieber schweigt und handelt und noch im größten Chaos seine Ruhe bewahrt. Oder die 93-jährige Großmutter Zirl, ein „Engel Gottes“, die Visionen hat, von den meisten Kämpfern die Eltern und noch die Großeltern gekannt hat und viele Geschichten über sie weiß, die auch den Verzweifelten zuhört und sie trösten kann.

Ein blinder Korbflechter ist dabei, der unermüdlich Mützen und Handschuhe strickt, die Köchin Zila, die noch aus den einfachsten Zutaten schmackhaftes Essen zaubert, Klassenkameraden von Edmund, ein Medizinstudent, der die Kranken betreut, ein kleiner Junge, der immer nur stumm dabeisitzt und alles genau beobachtet, der ehemalige Buchhändler Danzig… Sogar ein nicht-jüdischer Ukrainer, Viktor Marschewitz, stößt zu ihnen, weil er nicht verkraften kann, dass seine Landsleute Juden erbarmungslos umgebracht haben.

Sie alle haben auch ein dunkles Geheimnis, unter dem sie leiden. Wie Kamil, der sich mit Depressionen in sein Zelt und ins Schweigen zurückzieht. Oder Zila, die manchmal einfach dasitzt und weint, aber nicht weiß, warum. Und manche sind so tief verletzt, dass sie nur noch schreien können. Nur von Edmund, dem Ich-Erzähler, erfährt man mehr: Dass er, wie viele andere, darunter leidet, dass er noch lebt. Dass er seine Eltern verlassen hat, um zu überleben, auch wenn sie ihn natürlich angefleht haben, zu fliehen. Dazu kommt, dass seine Mutter schwer krank gewesen ist und er keine Zeit für sie hatte – denn Edmund war verliebt, in Anastasia. Sie hatten sich ewige Treue geschworen, und er konnte nicht verstehen, dass sie ihn im Ghetto nie besuchte und er sie einmal sogar an einem Dienstag sah, wie sie zum Tennisunterricht ging: Ihr Leben ging normal weiter, und dienstags ging sie immer zum Tennis.

Sie bringen Züge zum Entgleisen, die zu den Vernichtungslagern fahren, denn das Ziel dieser Truppe ist nicht nur das eigene Überleben. Es geht ihnen auch um die Menschlichkeit, die selbst zwischen den Juden in den Vernichtungslagern verloren gegangen war: „In den Lagern, in denen sie (die Geretteten, d. Verf.) gewesen waren, hatte sich keiner um den anderen gekümmert. Jeder, der krank wurde, wusste, dass niemand sein nahes Ende aufhalten würde.“ Und so ist das Leben in den Wäldern auch eine Vorbereitung auf die Zukunft und der Roman ein Symbol, vielleicht sogar eine Mahnung für ein jüdisches Miteinander.

In klaren, einfachen, selten poetischen, ab und zu pathetischen Worten erzählt Appelfeld von den Aktionen dieser Partisanen. Erzählt aus ihrem Leben, oft knapp und fragmentarisch und in Andeutungen. Erzählt von den notwendigen, aber manchmal auch unwürdigen Überfällen, von den Diskussionen zwischen Religiösen und Kommunisten, von Schmerzen und Träumen, von Todesfällen und vom Antisemitismus auch nach der Befreiung. Auch von ihren Illusionen, so glaubt etwa Michael, dass er seine Eltern wiedersieht. Vor allem erzählt Appelfeld aber von der Brüderlichkeit. Wie es der alte Lehrer Dr. Weintraub ausdrückt: „Im Ghetto und in den Lagern haben wir den Glauben an den Menschen verloren. Hunger, Erniedrigung und die schwere Arbeit hatten jedes Gefühl aus unseren Herzen gerissen. Die Menschen wurden gleichgültig gegen die Schmerzen ihrer Nächsten, und am Ende auch gegen die eigenen. Eure Kommune, die hingebungsvolle Fürsorge jedes Einzelnen, haben das Ebenbild des Menschen wieder in die Welt gebracht.“

Titelbild

Aharon Appelfeld: Auf der Lichtung. Roman.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Miriam Pressler.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2014.
256 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871347719

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