Du dickes Kind!

Lily Brett steckt in ihrer Vergangenheit fest

Von Kerstin KramerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kerstin Kramer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lily Brett ist nicht unbekannt. Bereits fünf Romane, die auf der Biografie der jüdischen Journalistin beruhen, sind bereits erschienen. Ihre Eltern waren in Auschwitz. Die Vergangenheit Bretts ist auch die Vergangenheit der Hauptfigur des vorliegenden Romans. Doch leider schafft es Brett nicht, den Leser mitzunehmen und zu bewegen. Woran liegt das?

Auf jeden Fall auch daran, dass es keine Überraschungen gibt. Schon der Titel „Lola Bensky“, der dem Autorennamen Lily Brett stark ähnelt, lässt auf einen Roman mit autobiografischem Bezug schließen. So klingen dann auch die ersten Seiten an: „Lola hatte keine Zeit traurig zu sein. […] Die Toten würden sich an ihre Fersen heften. Doch davon wusste Sie noch nichts. Sie war neunzehn.“

Zunächst begeistert Lola jedoch als rasende Reporterin. Sie interviewt die ganz großen Stars im London der 1960er-Jahre: Keith Moon, Mick Jagger und Jim Morrison nehmen auf ihrer Couch Platz. Tatsächlich ist es so: Lola ist nicht nur journalistisch tätig, sondern versucht sich auch als Therapeutin ihrer prominenten Gäste. Dabei werden Stück für Stück auch die Geheimnisse und Probleme Lolas aufgedeckt: „Lola fragte sich ob Cat Stevens einsam war. Sie selbst fühlte sich nicht einsam. Sie würde ihre Einsamkeit noch jahrelang nicht spüren können, […]“.

Sie spürt ihre Einsamkeit erst, als sie jemanden trifft, der sie liebt und ihr eine andere Möglichkeit aufzeigt zu existieren. Grund dafür sind ihre Eltern, die mit ihren Gefühlen und mit dem Essen geizten. Beides gab es im KZ nicht und beides soll auch Lola nicht im Übermaß erhalten. Liebe und Schokolade werden rationiert. Nach dem Motto: Lasst das Kind nicht glücklich und fett werden, denn: „Welcher Junge will schon ein dickes Mädchen heiraten?“ Lola soll wissen, dass sie sich nicht ausruhen darf, dass die Schuld der Nachkriegsgeneration permanent auf ihr lastet: „Daddy und ich werden nicht sehr lange leben, nicht nach dem, was wir durchgemacht haben“, sagt Renia, Lolas Mutter. Und so schlägt sich Lola Bensky durch ihr Leben, begleitet von Marsriegel- und Apfel-Banane-Ei-Diäten.

Aber Lola bleibt am Ball, macht immer neue Diätpläne, Interviewpläne, Lebenspläne. Bloß nicht die Kontrolle verlieren und der eigenen Vergangenheit ins Auge blicken. Ein weiteres Problem der Identifikation mit dem Roman liegt in der Darstellung der unterschiedlichen Zeitebenen. Problematisch ist, dass sich die aktuellen Probleme und die Blicke in die Vergangenheit stark überkreuzen und teilweise nicht auseinanderzuhalten sind. Welches Lola-Ich über welches Problem, in welchem Jahrzehnt spricht, ist nicht eindeutig getrennt. Oder spricht Lily Brett? Das Problem soll vielleicht durch die anwesende Prominenz gelöst werden. Lola werden ungemütliche Fragen gestellt, die sie zwingen, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Sie spricht dann wie beiläufig über die Vergangenheit ihrer Eltern im KZ. Besonders skurril ist das Gespräch mit Mick Jagger über den Kohl, den ihre Eltern während der Gefangenschaft zu essen bekamen: „[…] das ganze Ghetto hat nach Kohl gestunken und alle liefen mit aufgeblähten Bäuchen herum“. Im nächsten Moment interessiert sich Lola aber dafür, ob Cher die diamantbesetzten, falschen Wimpern wieder herausrückt, die sie ihr geliehen hatte. Die Gespräche verstören den Leser. Egal wie provozierend sie sind, Lola bleibt beiläufig, wird nie wütend, ärgert sich nicht.

Sie ist gefangen in Endlosschleifen. In Routinen, die sie sich selbst auferlegt hat. Diät reiht sich an Diät und Interview an Interview: „Sie war zu sehr damit beschäftigt, fröhlich zu sein oder ihre Interviews zu planen oder über Essen nachzudenken“. So beginnt schon der Roman und so endet er. Es ist schlichtweg ein frustrierendes, nicht enden wollendes, „als-ob“-Erlebnis für den Leser. Wo bleibt das „so-ist-es“, der Wendepunkt, die Auflösung? Lolas Leben ist eine Einbahnstraße. Eine klare Richtung ist vorgegeben. Wenden unmöglich. Aber so ist es ja auch mit dem Holocaust. Diese Schuld kann eben niemals beglichen werden.

Titelbild

Lily Brett: Lola Bensky. Roman.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Heinrich.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
303 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518464700

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