Monstrenbeschwörung und Antifeminismus

Zu Sibylle Lewitscharoffs Dresdener Rede

Von Urte HelduserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Urte Helduser

Mit der Bemerkung, bei Kindern aus der Retorte handele es sich um „Halbwesen“, die „auf abartigen Wegen“ entstanden seien, hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff einen Aufschrei ausgelöst. Die Diffamierung von Menschen, die mit Hilfe der Reproduktionsmedizin auf die Welt gekommen sind, als „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch halb Weißnichtwas“, stellt für viele Kommentatoren den Gipfel von Lewitscharoffs Ausfällen in ihrer vor kurzem in Dresden gehaltenen Rede dar. Inzwischen hat die Autorin sich für die Verunglimpfung der betroffenen Menschen entschuldigt, an ihrer Position aber gleichwohl festgehalten.

Das Diktum vom „Halbwesen“ bildet ein Schlüsselelement der Metaphorik des Monströsen, von der die Dresdener Rede Lewitscharoffs insgesamt durchzogen ist. Ihre Kritik an der modernen Reproduktionsmedizin rekurriert auf ein tradiertes Bildrepertoire kultureller Diskurse über Fortpflanzung und nutzt dieses zur Diskreditierung gesellschaftlicher Gruppen. Es lohnt sich daher, diese Bildsprache genauer anzuschauen.

Als hybride Figur des Unreinen, als Mischwesen, ist das Monstrum in der abendländischen Kulturgeschichte tief verwurzelt. Schon in der Frühen Neuzeit waren es Berichte über Wundergeburten meist tier-menschlicher Mischwesen, die auf Flugblättern oder in der Prodigienliteratur drohendes Unheil verkündeten oder menschliches Fehlverhalten anzeigten.

Die bis in die Moderne auch in der politischen Rhetorik beliebte Monstrenmetapher (man denke an Jörg Haiders Diktum über die Nation Österreich als „ideologische Missgeburt“) beruht auf zwei sich überlagernden Wortbedeutungen, der des ‚Irregulären‘, des Verstoßes gegen eine natürliche beziehungsweise gottgegebene Ordnung und der der Zeichenhaftigkeit. Beide Bedeutungen werden von Lewitscharoff eingesetzt.

Michel Foucault hat in seinen Vorlesungen über „Die Anormalen“ die paradoxe Konstruktion des Monsters als zugleich natürlich und widernatürlich dargestellt. Es ist immer ein doppelter Gesetzesbruch, ein Verstoß gegen eine natürliche Ordnung und eine rechtliche oder moralische Ordnung, aus dem sich die Monstrosität begründet. Aufgrund seiner extremen, über eine bloße Abweichung hinausgehenden Andersartigkeit wird sie zum Zeichen menschlicher Fehltritte – für Lewitscharoff zum Zeichen der Selbstermächtigung gegenüber einer göttlichen Schöpfungsmacht.

Lewitscharoff verweist deshalb angesichts der Retortenkinder auf „Frankensteins Machinationen“ und schmückt dies mit einem schauerromantischen Szenario der „brodelnden Glaskolben in einer mit giftigen Dämpfen erfüllten mittelalterlichen Bogenhalle“ aus. Das von Dr. Frankenstein versehentlich geschaffene Monster ist bekanntlich das Ergebnis eines scheiternden Versuchs der Perfektionierung einer unzulänglichen, fehlerhaften Natur und in diesem Misslingen zugleich deren Spiegelbild.

Mit Mary Shelleys Romanfigur verweist Lewitscharoff auf die historische Epoche, die durch die gegenläufigen Bewegungen der wissenschaftlichen Rationalisierung und Entzauberung des Monströsen und des Beginns der ästhetischen Faszinationsgeschichte des modernen Monsters im Gothic Horror bestimmt ist. Nicht nur Lewitscharoffs Metaphern, auch ihre scheinbar sachlichen Begriffe gehen auf sie zurück. Mit dramatischen Beispielen schildert sie den „Fluch“ moderner Pränataldiagnostik, die den Eltern die Entscheidung für oder gegen ein „missgebildetes Kind“ auferlege. Als medizinischer Terminus ist die „Missbildung“ inzwischen obsolet, ihren Ursprung hat die Bezeichnung aber in der Entstehungszeit von Mary Shelleys Frankenstein-Roman im beginnenden 19. Jahrhundert und ist dort direkt mit dem Monströsen assoziiert. „Missbildung“ wird um 1800 als Übersetzung des lateinischen Fachbegriffs „Monstrosität“ eingeführt und zum Gegenstand einer eigenen Forschungsdisziplin, der Teratologie.

Indem Lewitscharoff im Zusammenhang mit der Diskussion um die Pränataldiagnostik konsequent den auch gesellschaftlich diskreditierten Begriff „Missbildung“ verwendet, statt etwa von Behinderung zu sprechen, inszeniert sie die phantasmatische Funktion, die dem Monströsen auch noch in seiner säkularisierten Form innewohnt. Dazu dienen auch die dramatischen Szenarien von der ‚Entledigung‘ bis hin zum ‚Schlachten eines Embryos im Mutterleib‘. In dieser drastischen Bildlichkeit, der Beschwörung des ‚Abscheulichen‘, ‚Abartigen‘ und des „Horrors“ werden die ‚geborenen‘ ‚Missbildungen‘ und die biotechnisch ‚gemachten‘ Halbwesen mit einander überblendet. Das Monstrum ist etwas, das es nicht gibt, das aber als Projektionsfläche von Ängsten und Verwerfungen dient.

Dabei rekurriert Lewitscharoff durchgängig auf vormoderne, vielfach der Dämonologie entstammende Bilder, etwa wenn sie angesichts der modernen Reproduktionsmedizin von der vom „Teufel ersonnene[n] Art, an ein Kind zu gelangen“ oder vom „Wechselbalg“ spricht.

In ihrer Reaktivierung tradierter Schöpfungsmythen vollzieht die Autorin jedoch auch eine raffinierte Verschiebung tradierter Bilder. Das zeigt sich vor allem in den von ihr getroffenen Geschlechterzuordnungen. Ist die mythologische Vorlage für den Herausforderer in der göttlichen Schöpfung des Lebens die maskuline Figur des Prometheus, als dessen Nachfolger Shelley ihren Frankenstein kennzeichnet, so erkennt Lewitscharoff die Hybris auf Seiten der Frauen: Ihren offensichtlichen Ausdruck findet deren „Selbstermächtigung“ laut Lewitscharoff in der in den 1970er-Jahren im Kampf gegen den § 218 geprägten Parole „Mein Bauch gehört mir“. Diese habe letztlich die Ausgrenzung der Männer zu bloßen Samenspendern eingeleitet und eine Bewegung in Gang gesetzt, die auf die Abschaffung der Väter ziele: „Am Schönsten wäre es für diese Frauen gewiss,“ so Lewitscharoff, „man könnte den Samen selbst auch noch künstlich erzeugen und mit einem im Voraus definierbaren Bündel an erwünschten Merkmalen ausstatten, was bisher noch nicht möglich ist.“

Das eigentliche Monster ist für Lewitscharoff mithin nicht ein wissenschaftlicher Machbarkeitswahn, sondern der Feminismus. Der antifeministische Furor ihrer Rede gipfelt im Faschismusvorwurf. So wie ihr die moderne Reproduktionsmedizin gar als schlimmer erscheint, als die „Kopulationsheime“ des nationalsozialistischen „Lebensborns“, so verortet sie die Frauenbewegung der 1970er-Jahre in einer Tradition der „deutschen Frauentümelei mit unsauberen Ahnenfiguren wie der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink“.

Geschickt operiert Lewitscharoff mit den Stilmitteln der Übertreibung und der Inversion, der Vertauschung von linken und rechten, modernen und antimodernen Positionen. So besteht auch ihr Antifeminismus nicht einfach in einem rückwärtsgewandten Eintreten für überkommene Ordnungen – gegen normative Festschreibungen weiblicher Mutterschaft etwa verwahrt sich die Autorin auch mit Blick auf die eigene Biografie. Der ironisch-affektive Gestus ihre Rede kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihr nicht zuletzt um einen Geschlechterkampf geht.

Gerade die Stilisierung der eigenen Geschichte im Modus der Familientragödie verdeutlicht dies. Die Enttäuschung über den geliebten, in seiner Rolle versagenden und sich durch Selbstmord entziehenden Vater – bezeichnenderweise einem Gynäkologen – sowie das schwierige Verhältnis zur zwangsweise emanzipierten Mutter, die auf dem Sterbebett den Vater in einem blasphemischen Akt zugleich mit dem christlichen Gott verdammt, eignen sich kaum für autobiografische Deutungen der Auslassungen Lewitscharoffs. Aber sie verweisen auf die christlich grundierte, paternale symbolische Ordnung als Sehnsuchtsbild, das gegen die Monstrosität zeitgenössischer Biotechnik beschworen wird.

In der Auseinandersetzung mit der Biopolitik fällt der Büchner-Preisträgerin nur die Mahnung an eine „höhere Gewalt“ ein. Als Position in der Debatte um Biomedizin dürfte das kaum interessant sein. Stattdessen zeigt sich in Lewitscharoffs Rede die scheinbar endlose Aktualisierbarkeit der Metaphorik des Monströsen in der Kulturkritik. Bei Lewitscharoff steht sie im Dienst eines neokonservativen Antifeminismus.