Gefährliche Literatur

Dominique Manotti steigt in ihrem Roman „Ausbruch“ erneut in die Abgründe der Geschichte des Linksradikalismus

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gab Zeiten, in denen das letzte wahre Abenteuer, das der Menschheit noch bevorstand, die Revolution selbst zu sein schien. Ihr Protagonisten waren die Helden einer ganzen Generation, die Geschichten, die sie erzählten und die von ihnen erzählten, trugen den Ton des Erhabenen und des Glücks in sich, den Vorschein eines gelungenen Lebens, die Idee einer gelungenen Existenz, die alles abschüttelte, was an Gewöhnlichem und Gewohntem an den Subjekten zerrte.

Spätestens die revoltierenden Bewegungen der 1960er-Jahre trugen dies vor sich her – was nichts weniger als romantische Ideen waren, auch wenn ihre Protagonisten später als Kriminelle diskreditiert wurden, die Glückssuche oftmals in die Pornografie und die Drogensucht abrutschte und die Lebensrevolte nur eine weitere Konsumvolte drehte, bevor sie sich als Normalität wieder re-etablierte.

Vieles von dieser romantischen Idee rettete sich in die 1970er-Jahre, radikalisierte und militarisierte sich, bevor dann spätestens in den 1980er-Jahren der bewaffnete Kampf als sinnlos aufgegeben wurde. Nicht erst seitdem arbeiten sich die Industriegesellschaften an der Wunde ab, die ihre radikale Öffnung am Ende der 1960er-Jahre bis heute hinterlassen hat. In Frankreich ist das so, in Deutschland und eben auch in den USA.

Ihren Frieden haben diese Gesellschaften mit den 68ern nicht gemacht, bis heute wollen sie nicht wahrhaben, was sie diesen aufrührerischen Gesellen zu verdanken haben, und ihre militanten Extreme werden bis heute mit höchster Vorsicht und Aufmerksamkeit betrachtet. Dominique Manotti greift nun auf die frühen 1980er-Jahre zurück: „Ausbruch“ schildert die Geschichte eines kleinen Straßendiebs, den es erst ins Gefängnis und dann in die Zelle eines der Gründungsmitglieder der Brigade Rosse verschlagen hat. Subproletariat und Avantgarde des Proletariats auf engstem Raum? Da sind die Rollen, könnte man meinen, von vorneherein vorgeschrieben.

Aber nein, der junge Mann, Filippo Zuliani, ist es nicht, der den großen alten Mann der BR, Carlo, verrät, er bricht mit ihm aus (aus Zufall), die beiden trennen sich, und Carlo kommt später bei einem Banküberfall ums Leben. Eine Falle, wie sich herausstellt, aber Filippo hat sie ihm nicht gestellt. Denn die beiden haben sich längst getrennt. Auch wenn Filippo Carlo immer bewundert hat, an dessen Seite, in Freiheit, ist kein Platz. Den nehmen die beiden Komplizen ein, die den Ausbruch organisiert haben – der, wie sich zeigen wird, allzu glatt gelungen ist.

Wir sind immerhin in den späten Jahren der italienischen Revolte, in einer Zeit vor Berlusconi, in der Italien von ganz anderen Skandalen geschüttelt wurde, nicht zuletzt von der engen Verschränkung zwischen Politik und organisiertem Verbrechen. Es gibt gute Gründe, weshalb die Christdemokratie, die dieses gesegnete Land über Jahrzehnte beherrscht hatte, gegen Mitte der 1990er-Jahre sang und klanglos zerfiel. Und die Gemengelage zwischen Geheimdiensten, rechter und linker Extreme gehört eben auch dazu. Das alles ist heute weitgehend vergessen, und hat dennoch die politische Szene einmal erschüttert.

Filippo nun geht, von Carlo getrennt, nach Mailand. Auf dem Weg dorthin erfährt er vom Tod Carlos’ und beschließt, nach Frankreich zu einer alten vertrauten von Carlos, Lisa, weiter zu fliehen, deren Adresse er von seinem großen Vorbild erhalten hat. Hier in Paris nun greifen all jene Vorurteile und Vorbehalte, die eine bewusste politische Szene gegen den Kleinkriminellen Filippo hat. Lisa bringt ihn immerhin bei einer Freundin unter, beschafft ihm einen Job, ist aber voll Misstrauen gegen Filippo.

In die Freundin, Cristina, aber verliebt sich Filippo. Und dieses doppelte Moment, die Bewunderung des großen Carlo und die Verliebtheit in die rothaarige Schöne, bewegen ihn dazu, aus dem, was er erlebt hat, einen Roman zu machen, den er, der literarische Dilettant, in den vielen Schichten als Nachtwächter niederschreibt, mit dem Material und der Sprache ringend, aber immer der Tonlage folgend, die er an Carlos Erzählungen bewundert hat. Aus der Geschichte, die geschehen ist, wird auf diesem Wege zwar eine Räuberpistole, die Nähe zu den wahren Ereignissen rühren aber die politischen Verhältnisse massiv auf, zumal als der Roman Filippos ungemein erfolgreich wird. Strafverfolgungsbehörden in Italien interessieren sich nun für den jungen Ausbrecherliteraten, es taucht ein Zeuge auf, der Filippo in der Nähe des Banküberfalls gesehen haben will, aus dem literarischen Erfolg wird ein politischer Fall mit internationalen Spannungen – und es wird ein politischer Thriller daraus, dem Filippo am Ende zum Opfer fällt.

Manottis Geschichte ist offensichtlich nicht auf den großen politischen Wurf aus, es ist eine kleine Geschichte, die die Macht der Literatur zeigt und die Spätfolgen einer Zeit, in der alles möglich zu sein schien. Und es sind gerade diese Übergangszeiten, hier die frühen 1980er-Jahre, in denen die Nachwehen der 68er noch einmal zu spüren sind. Davon sind wir heute weit weg – zu unserem Glück und unserem Nachteil. Und dennoch ist Manotti dafür zu danken, dass sie uns diese Jahre noch einmal vor Augen stellt, bevor wir es uns in der Selbstzufriedenheit mit dem, was wir anderen zu verdanken haben, allzu gemütlich gemacht haben. Dass es vielleicht heute eine offene Gesellschaft gibt, ist nicht zuletzt diesen anderthalb Jahrzehnten zwischen 1969 und 1983 zu verdanken, und in diesen Jahren sicherlich zum geringeren Teil dem politischen Establishment, das sich lange gegen jede Veränderung gewehrt hat, die es selbst nicht kontrollieren konnte.

Titelbild

Dominique Manotti: Ausbruch.
Übersetzt aus dem Französischen von Andrea Stephani.
Argument Verlag, Hamburg 2014.
253 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783867542180

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