Schweinehund und Dobermann

Aufschub ist Befehl: „Prokrastiniert Euch“ von Marcel Maas

Von Christian LuckscheiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Luckscheiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die so verkaufsfördernde (enrichissez-vous!) wie wirkungslose imperativistische „… Euch!“-Seuche bei Büchern geht, scheint’s, weiter. Hatte nach Ullsteins Stéphane Hessel und Lina Ben Mhenni Michel Serres seinen Namen dafür hergegeben, dass, in seinem Fall, die Trittbrettfahrer von Suhrkamp eine kleine Däumlingin mit der Seuche töten durften, folgt nun Marcel Maas bei der Frankfurter Verlagsanstalt. „Prokrastiniert Euch“ lautet der Titel seiner Gedichte. Prokrawas bitte?

Wikipediat man sofort nach (womit man, wie im Nachhinein klar wird, den Imperativ bereits missachtet hat), stellt sich heraus: Als Fortsetzung der Seuche kann man den Titel (den man allerdings und sowieso, zumindest cover- und titeleigemäß, auch „PROKRASTINIERTEUCH“ oder, genauer, „PRO KRA STI NIE RTE UCH“ lesen kann) nur dann lesen, wenn man nicht weiß, was prokrastinieren heißt. Was prokrastinieren bedeutet, hätte man heutzutage wohl wissen können, denn die Prokrastination hat in den letzten Jahren, in denen normale Verhaltensweisen aus Langeweile gern pathologisiert werden oder angesichts absoluter Alltagsüberforderung anscheinend alles Agieren eines Coaches/einer Coachin bedarf, gewisse Aufmerksamkeit erfahren. Mit „Aufschieberitis“ ließe sich „Prokrastination“ übersetzen, auch „Erledigungsblockade“ wird als gelungene Übersetzung gewürdigt werden können. Prokrastiniert Euch: eine Aufforderung zum Erledigungsblockieren also; damit wird schön paradox jeder Imperativsumsetzungsansatz blockiert, womit die Seuche in ihrer Verstärkung zugleich ihr Ende gefunden hätte.

Im Buch selbst wird das Wort zunächst aufgeschoben. Es tritt erst im dritten Teil, „Parade und Parcours“, auf. Im ersten Teil, „rüsten zur jagd“, geht „dematerial wandern“, enden wir in Methoden, unterbricht das Mädchen im Gartenstuhl das Tontaubenschießen und pausen uns Lichtschablonen durch, alles kleingeschrieben, Satzfragmente, Gedankenfetzen, Sprachsplitter, Samplings, Mix, Cuts and Scratches, Ansätze und Abbrüche, Risse, hakenschlagende Anknüpfungen, man weiß nie so ganz sicher: Ist man noch im alten Satz oder schon in einem neuen, wohin geht der Sprung, kommt noch ein Wort? Hier wird auf hohem Niveau mit Sprache jongliert. Das Kapitel „ein guter bekannter ist gerade keiner community beigetreten.“, der zweite Teil, schreibt weiter klein, setzt in zwölf Stücken, durch Seitenumbrüche und halbfett-gedruckte (Zwischen?-)Überschriften, die die Zählung aufzusprengen scheinen, verwirrend angeordnet, einen Herrscher ein, und schreibt starke bis zum Teil martialische Sätze dessen auf, was einmal „lyrisches Ich“ genannt wurde: „ich bin die bombe.“, „ich mache uns keine sorgen.“, „ich bin dein neuer skandalautor.“, „ich bin dobermann.“ Jagd und Abwehr, denn: „länder wollen befreit werden.“ Das hindert allerdings nicht das weiterhin so sprachverliebte wie kalauerhafte Spiel mit Wortspielen; „ich schmeiß den laden auch allein gegen die wand“, „nicht jetzt. aber mach du nur wetter“ oder „wie krieg ich das hirn aus der suppe“.

Die Sätze sind klarer, kürzer, verzeichnen weniger ‚syntaktische Auffälligkeiten‘, seltener Wortgestammel. Außerdem macht sich bereits die Anrede an den Leser oder Zuhörer, an einen anderen warm, in Imperativ-Form: „geh in den laden“, „sei ein taxi“, die dann den dritten Teil beherrscht, „Parade und Parcours“ benannt, der nur noch ein einziger Imperativ ist – und Aufschub fordert: „Prokrastinier dich“. Der zum Aufschub Auffordernde gibt jedoch widersprüchliche Befehle, denn diesem Imperativ folgt sofort ein weiterer: „Prokrastinier dich, bau die Scheune aus“.

Das scheint keinen Aufschub zu dulden. Aufschub und Ausbau schließen einander jedoch aus. Oder meint der Befehlsgeber, dass derjenige, der sich prokrastiniert, die größere Ernte einfährt? Vielleicht soll die Scheune auch nur ausgebaut werden, um sich noch stärker, umfassender prokrastinieren zu können? Die weiteren Imperative lauten: „Leg dich ins Heu und sieh zu den Spinnen hoch, / die über die Sonne wandern.“

Wahrscheinlich aber ist alles Deuteln überflüssig. Es geht um Sprache, neue Rhythmen, neue Wörter, und sei es durch das Umstellen einzelner Buchstaben. Die Gedichte der ersten beiden Teile scheinen beinahe, wie man nun merken kann, bloße Fingerübungen gewesen zu sein, Vorbereitungskurs, Aufwärmphase für das Eigentliche. Der Ton wird höher, die Differenziertheit nimmt nochmal zu, die Kleinschreibung ist aufgegeben, die Ansagen sind eindeutig, kein Gescratche mehr. Die zehn Stücke Parade und Parcours, ausgeschrieben durchgezählt, sind raffiniert gebaut und haben einen einmaligen Rhythmus. Und dann kommt die eine wichtige Zeile: „Du was du wirst“, die wiederholt wird, wie der ganze dritte Teil von Wiederholung und Variation lebt. Der Sprachrausch endet in einem magischen Quadrat aus lauter Vieren. Wenn sich dahinter ein Geheimcode verbergen sollte, dann womöglich derjenige, dass es außer der Vier hier keine Bedeutung gibt; sie verweist nur auf sich selbst. So gelesen würde das Quadrat den Eindruck untermauern, dass es hier nicht um Inhalt, um Aussage geht, sondern um die Sprache als Literatur. Die ist neu – und gehört sicher mit zum Besten, was es in der deutschsprachigen Lyrik des 21. Jahrhunderts zu bestaunen gibt. Vielleicht ist Marcel Maas Dobermann. Vielleicht ist er auch der Arthur Rambo der Gegenwartsliteratur.

Titelbild

Marcel Maas: Prokrastiniert Euch.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2013.
128 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783627002008

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