Melville will Meer

Herman Melville leuchtet in „John Marr und andere Matrosen“ die (lyrischen) Facetten des Seefahrerlebens aus

Von Peter MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielen ist der amerikanische Autor Herman Melville (1819-1891) – wenn überhaupt – nur als Verfasser des Romans „Moby Dick“ in Erinnerung geblieben, und es hätte wohl nicht viel dazu gefehlt, dass dies tatsächlich sein Schicksal gewesen wäre. In seinem Heimatland war das Interesse an Melville nämlich bereits fast verflogen, als er durch einen Kreis von Liebhabern in England neu entdeckt wurde. Der britische Anwalt und Lateinlehrer Charles James Billson begann deshalb 1884 eine Korrespondenz mit Melville, in der er ihm die Wertschätzung schilderte. Öffentliches Interesse erhielt Melville zudem durch die ihm und seinem Werk gewidmeten Artikel von Henry Stephens Salt und des Erfolgsautors William Clark Russell.

Die geschilderte Entwicklung ist ein weiteres Beispiel dafür, wie nahe Unsterblichkeit und Vergessen beieinander liegen. Es sind aber nicht nur die diesbezüglichen Anmerkungen des Übersetzers Alexander Pechmann, die „John Marr und andere Matrosen“ lesenswert machen. Ermutigt durch das neue Interesse stellte Melville in dieser Sammlung einige frühere Werke – teilweise in überarbeiteten Fassungen – und neue Dichtungen zusammen, die nicht zufällig in einem Band abgedruckt wurden, sondern ein klar umrissenes Thema haben: das Meer und die Seefahrt.

Und auch wenn die Qualität der Beiträge schwankt, so sind sie dennoch Zeugen einer großen Liebe, aber auch Zeichen des Respekts und der Ehrfurcht vor der See und dem Leben als Seefahrer. Als junger Mann selbst auf einem Walfänger unterwegs, macht Melville in der gezeigten Vielfalt deutlich, dass er weiß, wovon er spricht, denn man erlebt hier nicht (nur) das klassische romantische Bild des von Fernweh getriebenen fröhlichen und singenden Seefahrers. Melville findet außerdem Platz für ein gewisses Maß an Melancholie, zeigt Skepsis gegenüber der modernen Seefahrt, lässt Gesellschaftskritik aufblitzen und schildert tragische Schicksale ebenso wie pathetische Episoden der maritimen Kriegsführung. Inhaltlich wird somit durchaus Varianz geboten.

Bleibt die müßige Frage, ob es sinnvoll ist, Gedichte in eine andere Sprache zu übertragen. Doch auch wenn das Ergebnis nicht immer so gut funktioniert wie bei den Versen „Each shot-hole plugged, each storm-sail home, / With batteries housed she rams the watery dome“ und „Kanonen gut verstaut, die Luken dicht, / Die Sturmsegel gesetzt, rammt er den Berg aus Gischt“, hat man hier durchaus das Gefühl, keine lieblose Übersetzung zu erleben. Pechmann hat sich viel Mühe gegeben, auch die Melodie und Stimmung der Verse einzufangen. Unterstützt wird der positive Gesamteindruck dabei durch die zerbrechlich wirkenden, sanft aquarellierten Tuscheskizzen von Pascal Cloëtta, die den schön gestalteten Band um eine weitere Facette bereichern.

Nur schade, dass den Originaltexten – die löblicherweise im zweiten Teil des Buchs abgedruckt sind – diese Liebe nicht mehr zuteil kommt. Das Lesebändchen lädt dabei zwar durchaus zum Wechseln zwischen den Versionen ein, trotzdem wäre ein Paralleldruck vielleicht sinnvoller gewesen.

Positiver hingegen die Anmerkungen. Hier werden auch dem weniger seefesten Leser einige Metaphern entschlüsselt, die buchstäblich den Horizont erweitern und zu einem zweiten Lesetörn ermutigen. Da das Ganze zudem mit einem sinnvollen und erhellenden Nachwort abgerundet wird, kann diese Edition (nicht nur) allen Melville-Interessenten und -Interessentinnen wärmstens empfohlen werden.

Titelbild

Herman Melville: John Marr und andere Matrosen. Mit einigen Seestücken.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Alexander Pechmann.
Mare Verlag, Hamburg 2013.
184 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783866481497

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