Der Verschonte

Michael Krüger betreibt in seinem Gedichtband „Die Umstellung der Zeit“

Von Jenny SchonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jenny Schon

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Selbst den Maulwurf haben sie vertrieben, die stadtgründenden Wespen,
wenn die Sonne im neunten Haus steht, nur den Betrachter nicht, er ist immun gegen ihre vermeintliche Dominanz, er hört das Holz schwätzen, und gegen den östlichen Wind atmete sich der Himmel frei. Da kann der Verschonte auch frei denken und seine Träume ausbreiten. Doch das war einmal, als wir

im Schatten schon, auf der Schattseite,
darüber sprachen, was wir sind und was wir
sein möchten. Jetzt ist die Welt längst
weitergezogen, und ich sitze immer noch da,
den Rücken am Holz, ein aufgerolltes Blatt
in der Hand, das seine Schönheit zu verbergen sucht.

In diesem Gedicht mit dem Titel „Herbst“ hat Michael Krüger die Zeit bereits umgestellt, betrachtet im Jetzt die Vergangenheit, die vergehende Natur im Herbst und sich selbst, für den die Welt längst weitergezogen ist.

In dem kurzen Gedicht „Kein Haiku“ wartet er auf die entscheidende Stunde, die uns jährlich gegeben, aber auch genommen wird:

Eine tote Amsel
vor meinem Fenster.
Ich warte eine Stunde
auf die Umstellung
der Zeit.

Dieser Umstellung verdankt der Gedichtband seinen Titel.

Für Michael Krüger ist mit diesem Band auch die intensive Arbeitsphase als Verleger des Hanser Verlages zu Ende. Er ist siebzig geworden und begibt sich nun in eine andere Lebensphase. Er kann sich Zeit nehmen und zurückschauen. Da sind zum Beispiel seine vielen Bezüge zu Berlin. Er „würde gern Born wiedersehen, / der hier geschlafen hat“. Nicolas Born wurde 1964/1965 ins Literarische Colloquium geladen, wo er unter anderem an dem Gemeinschaftsroman „Das Gästehaus“ mitschrieb und für Zeitungen Literatur rezensierte. Im Lehrgang „Prosaschreiben“ von Walter Höllerer und Hans Werner Richter wollten sich junge, bisher unbekannte Autoren wie etwa Hans Christoph Buch, Peter Bichsel einer neuen Sprache zuwenden.

Michael Krüger war zu dieser Zeit in Westberlin beim Herbig Verlag tätig. In seinem Gedicht „Literarisches Colloquium“ geht er noch vor die Gründung des Colloquiums zurück. Kleist erschoss sich in der Nähe, mit dem Boot fuhr Krüger als Knabe an das Grab am Kleinen Wannsee. Der Fuchs war sein Begleiter, „grau / ist er jetzt und blind, er sieht / mit den Ohren“.

In der Nähe ging Krüger zur Schule. Kurz nach Stalins Tod konnte er das Lehrstück der Angst studieren, wenn die Schüsse losgingen, wenn einer beim Pilzesuchen sich verirrt hatte und in die Selbstschussanlagen der DDR-Grenze geriet. Ein Tier ist häufig sein Partner, besonders die Amseln haben es ihm angetan:

Den Amseln schaue ich zu,
die seit ihrer Geburt nichts anderes kennen
als diese dünnen, gläsernen Strippen,
die auf die Erde knallen und verschwinden.
Zähle ich alle Schatten zusammen,
ergibt sich schon früh eine Dunkelheit,
die sogar einen verträumten Utopisten ermuntert,
sich wieder auf die Unendlichkeit einzulassen.
Man muß das Licht anmachen,
um sich eine Zukunft vorstellen zu können.

„Zum Stand der Dinge, 2012“ heißt dieses Gedicht, eines der eher melancholischen. Zum Ende der Sommerzeit, noch ist allerdings Sommer, der Regen trommelt auf den Schuppen, ist sie da, die frühe Dunkelheit, die sich aus Schatten zusammensetzt, Schemen, die man sich besser wegmalt mit Landschaften, südlichen, mit Ruinen, die kunsthistorischen Wert haben, die die Seele nicht belasten, denn sie werden von Schafen bewohnt und Ziegen, denen es egal ist, ob sie den Ort selbst gewählt oder er ihnen zugewiesen wurde.

Einen Ort haben und wenn es nur eine Hütte ist, in der ein Schreibtisch Platz findet, denn für den Dichter bedeutet der Schreibtisch Heimat. Und so beginnt sein Gedichtband „Umstellung der Zeit“ mit dem Gedicht „Mein Schreibtisch in Allmannshausen“. Dass in der Nähe Mussolinis Außenminister und Hitlers Lieblingsdichter Hanns Johst lebten, erfahren wir beiläufig und wundern uns nicht, denn Allmannshausen liegt am zu allen Epochen beliebten Starnberger See. Viel wichtiger jedoch sind die Kühe, auf die er schaut, Eichhörnchen und Pferde, die Geräusche von der fernen Autobahn, und vor allem, dass man nicht genötigt wird, sich einzumischen.

Man wird nicht dazu angehalten,
dem Menschen Gutes zu unterstellen.

Wenn die Sonne sinkt, sehe ich mich
im Fenster, aber natürlich können auch Spiegel irren.

Sicherlich können Spiegel irren, was in der Literatur nicht allzu selten ist. Dorian Gray lässt sein Porträt altern, er selbst jedoch bleibt jung und tugendhaft; Peter Schlemihl verliert seinen Schatten, wer keinen Schatten hat, hat auch kein Spiegelbild, ist per se tot, wenngleich lebend. Diesen Irrtum meint Michael Krüger gewiss noch nicht, denn noch lebt der alte graue Fuchs, blind zwar, aber er hat noch ein Gedächtnis: „Der Fuchs kennt mich noch“.

Vanitas – Umstellung der Zeit – was der Mensch alles in einer geschenkten Stunde erinnert, wir lesen es in dem wunderbaren Gedichtband von Michael Krüger.

Titelbild

Michael Krüger: Umstellung der Zeit. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
117 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423943

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