Kurz und großartig

Jean Echenoz’ Roman „14“ beleuchtet den Weltkrieg aus einer ungewöhnlichen Perspektive

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jean Echenoz ist ein Autor, den man sich hierzulande eher nicht vorstellen kann: Mit seinen ersten Büchern, wunderbar verwackelten, aber veritabel spannenden Romanen, die man als postmoderne Geschenke an die Krimigemeinde bezeichnen kann („See“, „Das Puzzle des Byron Caine“, „Ein Malaysischer Aufruhr“ und „Cherokee“) wurde er einer kleinen Gruppe von Lesern bekannt. Dann folgten Romane wie „Ein Jahr“, „Am Piano“, „Die großen Blondinen“ und „Ich gehe jetzt“ – allesamt gewitzte, kluge und auf unorthodoxe Weise sehr unterhaltsame Romane. Und meist sehr knapp, sehr reduziert. Und dann – ab 2007 – widmete sich Jean Echenoz auf einmal einzelnen Personen der Geschichte. Nein, es handelt sich hier nicht um Biographien, eher um fiktionale Texte auf der Grundlage knapper Lebensdaten, ergänzt um Details, die wohl in dieser Weise nur im echenozschen Literaturuniversum Eingang in biographische Romane finden können.

Maurice Ravel, Emil Zatopek und Nikola Tesla sind die Menschen, die der Autor in seinem Projekt „Drei Leben“ zu Erzählgegenständen gemacht hat; „Ravel“, „Laufen“ und „Blitze“ heißen diese schmalen Bücher, die Reduktion im Titel weist eindeutig auf die Form der Bücher hin. Und auch in seinem aktuellen Buch „14“ macht Echenoz das Gegenteil dessen, was Literatur üblicherweise macht: Er holt die Themen, Menschen, Geschehnisse nicht heran, er bringt sie auf Distanz, um sie dann zu betrachten und zu beschreiben. Die Zahl 14 ist sicher die kürzeste Formel, auf die man den Ersten Weltkrieg bringen kann und gerade im hundertsten Jahr des Ausbruchs ist uns diese Zahl allgegenwärtig und somit schnell verständlich. Er nennt keinen Staatsmann oder Politiker dieser Zeit, hält sich nicht mit sattsam bekannten Fakten auf. Stattdessen zeigt er eine kleine Gruppe junger Menschen – unter ihnen Anthime. Der radelt am 1. August 1914 durch die Vendée und beobachtet die Landschaft. Der Autor beschreibt das Fahrrad, den Wind, kleine Details aus Anthimes Leben, dann das massive Glockengeläut, dem ein einziges Wort folgt: „Mobilmachung“. Und was gerade noch idyllisch, unwirklich und pittoresk erscheint, auf alle Fälle friedlich, wird vom Autor jäh gewendet. Am Tag darauf findet sich Anthime mit einigen seiner Freunde in der Kaserne wieder. Es ist Krieg.

Darüber muss hundert Jahre danach nichts mehr gesagt werden, weswegen Jean Echenoz sich auf Ausschmückungen konzentrieren kann, beispielsweise den Hersteller einer Kamera nennt oder das Material eines Nachttisches und die darauf liegenden Bücher. So erzeugt der Autor Atmosphäre, stellt dem Leser die von ihm ausgewählten Personen vor, ihre Lebensumstände, Berufe, ihr Auftreten. Und so geht es weiter; wie am Schnürchen zieht er seine kleine Truppe in den Krieg hinein, beobachtet die Veränderungen – leere Kneipen, leere Strassen – und beschreibt den Alltag, der geprägt ist vom Marschieren, von schlechtem Essen und von Schlafmangel.

Als Anthime schwer verletzt wird und als Kriegsversehrter zurück in die Heimat kommt, hat Echenoz zwei Handlungsorte und zwei Erzählebenen. Die Schrecken auf den Feldern schildert er lakonisch, sachlich und knapp, durchaus drastisch in der Wortwahl. Das Leben in der Heimat – die einzige Frau des Romans, Blanche, hat ein Kind bekommen, Anthime kümmert sich, soweit das mit einem Arm noch möglich ist, um sie – verlangt andere Fokussierungen, ein anderes Vokabular. Und während in den Schlachten massenhaft gestorben wird, plagt Anthime der Phantomschmerz, dem sich Echenoz vielleicht als erster Autor in dieser Ausführlichkeit widmet. Auch hier zeigt er deutlich, dass ihm an einer neuerlichen Kriegsschilderung wenig liegt.

Großartig ist das Kapitel über Tiere und Krieg, in welchem der Autor Nutztiere und ihre Funktionen aufreiht, ebenso scheinbar nicht zum Verzehr geeignete Tiere  und natürlich die Tiere, die die Soldaten quälten wie Flöhe, Wanzen und Mücken. Auch hier kann vermutet werden, dass dieser Aspekt des Krieges noch nie in einem Roman beleuchtet wurde, ganz sicher jedoch nicht so originell und knapp. Auf die ihm im Jahr 2011 im Stuttgarter Literaturhaus gestellte Frage, warum seine Bücher so kurz seien, hat Jean Echenoz unter anderem geantwortet, dass er möglicherweise nicht die Geduld habe, den Traum vom langen Roman zu verwirklichen, aber auch, dass es ja auch im Sport die Sprintertypen und die Langläuferanatomien gäbe – auf höchst eindrucksvolle Weise hat er mit „14“ wieder einen tollen Sprint hingelegt.

Titelbild

Jean Echenoz: 14. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Carl Hanser Verlag, München 2014.
128 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783446245006

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