Künstlerisches und gesellschaftliches Zeitdokument

Volker Brauns Beobachtungen nach der Wende: „Arbeitsbuch 1990-2008“

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Autor Volker Braun  ist in der DDR aufgewachsen. Dem sozialistischen „Arbeiter- und Bauernstaat“ hat der kritische Optimist nie den Rücken gekehrt, hat ihm aber auch nie literarische Denkmäler errichtet. Seine Bücher wurden häufig hüben und drüben der innerdeutschen Grenze gedruckt, oft im Westen sogar früher. Auch die ostdeutschen Aufführungen seiner Theaterstücke waren manchmal Nachzügler von westdeutschen Uraufführungen.

Zunächst arbeitete Braun als Dramaturg am Deutschen Theater und bestimmte dann dreizehn Jahre lang das dramaturgische Profil des Berliner Ensembles. Wie Christa Wolf und Heiner Müller wurde er auch im Westen mit zahlreichen Preisen bedacht. Schon lange vor der Maueröffnung 1989 galt er als ein „gesamtdeutscher“ Autor. Im Westen wurde sein vielschichtiges Werk – bis heute – vom Suhrkamp Verlag betreut.

Volker Braun hat, beginnend im Januar 1977, bis in die Gegenwart ein umfangreiches Werktagebuch geführt, dessen erster Band „Werktage 1977-1989“ vor fünf Jahren anlässlich seines 70. Geburtstages ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschien. Es waren vor allem persönliche Notizen über das letzte Jahrzehnt der DDR. Nun, zu seinem 75. Geburtstag, folgt der zweite Band „Werktage 1990-2008“, in dem der Autor den gesellschaftlichen Umbruch nach der Wende mit seinen Eintragungen begleitet.

Und so stellt er gleich in seiner ersten Notiz (2.1.1990) fest „die zeit ist da, auf die wir hingearbeitet haben, nun verlangt sie konsequenz“. 1990 war Braun 50 Jahre alt und dachte eigentlich daran, „einen weg nach innen zu suchen […] aber die geschichte ist dazwischen gekommen“. Braun, der in seinen früheren Arbeiten stets die Gleichheit der menschlichen Existenz betonte, musste sich nun mit einem Gesellschaftssystem auseinandersetzen, das nicht unbedingt Gleichheit und Gerechtigkeit auf seine Fahnen geschrieben hat.

Braun arbeitet selbst an der Erneuerung der Akademie der Künste mit, aber bei der Abwicklung der meisten DDR-Verlage muss er tatenlos zusehen. Ob „WEITES Feld von grass“, „bahros selbstreflexionen“, „brigitte reimanns tagebücher“, Theaterschließungen oder die „trauerfeier für hacks im französischen dom“ – Braun registriert die Kulturnachrichten mit kritischen Bemerkungen. 1993 nimmt Braun Einsicht in die Stasi-Akten, wobei er feststellen muss, dass selbst der Geschlechtsverkehr registriert wurde. In der letzten Eintragung vom Heiligabend 2008 resümiert der Autor schließlich: „vielleicht klagt man zu unrecht über die neue zeit, dass sie alles umzustoßen suche, ohne was besseres aufzustellen“.

Volker Braun beobachtete aber auch sehr genau die internationalen Ereignisse in den beiden Jahrzehnten vor und nach der Jahrtausendwende, so die Bill Clinton- Affäre (1998), die Anschläge vom 11. September 2001 („es ist das muskelspiel der gepeinigten kontinente“) oder die blutige Geiselnahme im russischen Beslan (September 2004). In seinem Lebens- und Arbeitsbuch zeigt Volker Braun auf eindrucksvolle Weise, wie gesellschaftliche Probleme sprachlich prägnant dargestellt werden können.„Werktage 1990-2008“ stellt ein künstlerisches wie gesellschaftliches Zeitdokument dar, das sich durch genaue Alltagsbeobachtungen, scharfe Urteilskraft und Sprachwitz auszeichnet. Das Arbeitsbuch ist das kritische Protokoll einer engagierten Schriftstellerexistenz und damit ein fesselndes Tagebuch.

Titelbild

Volker Braun: Werktage 2. Arbeitsbuch 1990-2008.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
998 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424186

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