Erniedrigte und Beleidigte

Nach dem aufsehenerregenden Erfolg ihres Debütromans legt Daniela Krien ihr zweites Buch, den Erzählband „Muldental“ vor

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Daniela Krien steht im weißen Kleid im Wasser, eine Perlenkette um den Hals, und schaut dich mit festem, zarten Blick an. Der Saum des jungfräulichen Stoffes, der ihre Knie gerade bedeckt, schwebt nur wenige Zentimeter über dem Wasserspiegel. Hinter ihr ein altes Haus – oder ein Bootsschuppen? –, das gleichermaßen wie die Autorin vom Wasser umspült wird. Dunkel, bedrohlich und übermächtig wirkt das Naturelement gegenüber dem schwächlichen Menschenbauwerk, doch der engelsgleichen Autorenfigur scheint es nichts anhaben zu können.

Was will dies Pressefoto, das der Verlag für Journalisten dem Leseexemplar von „Muldental“ beilegt, sagen? Ist das Foto-Shooting in ein Unwetter geraten? Hat das irgendwas mit der Oderflut zu tun? Will die Autorin an das Ende der berühmten Kollegin Virginia Woolf erinnern? Oder schwebt hier ein Autorinnenengel über den Wassern einer göttlichen Sintflut – auf der Suche nach einem modernen Noah und seiner Gefolgschaft in der ostdeutschen Provinz?

Daniela Krien, 1975 geboren, aufgewachsen im Vogtland, arbeitete vor ihrem literarischen Debüt als Cutterin und Autorin vorwiegend dokumentarischer Filmformate. Mit ihrem Erstling, dem Roman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ gelang ihr 2011 ein Sensationserfolg. Über die Schwierigkeit, unter solcherart Erwartungsdruck ein zweites Buch vorzulegen, ist hinreichend geschrieben worden.

Die Kurzgeschichten aus „Muldental“ befassen sich mehrheitlich mit Personen, für die gemeinhin der Ausdruck Wendeverlierer herhalten muss. Existenzen, die nach 1989 ins Straucheln gerieten, sich nicht mehr zurecht fanden, denen mitunter übel mitgespielt wurde. Oder die erst zum Höhenflug ansetzten, nur um später umso jäher abzustürzen.

Krien findet eine knappe, sachliche Sprache für deprimierende Schicksale: Arbeitslosigkeit, Putzjobs, Gängelung, Trinksucht, gar Prostitution und handfeste Diskriminierung im eigenen Land durch stets ignorante und überhebliche Westbürger. Die Protagonisten haben dem allen wenig entgegenzusetzen. Ihre Blicke senken sich auffallend oft gen Boden und verharren dort auf abblätternden Lackschichten, altem Putz oder verschmutzten Kacheln. Auch tote Tiere in unterschiedlichen Stadien der Verwesung finden sich dort unten.

Erstaunlich oft enden diese Geschichten mit eruptiver Gewalt gegen Sachen oder Menschen. Die Erniedrigten und Beleidigten aus „Muldental“ tragen schwer an ihren Rachegelüsten, inwendig als Depression, nach außen gerichtet als Ressentiment, hilflose Wut und Gewaltpotential.

Allerdings gelangt die Autorin bei dieser Thematik vergleichsweise selten über den gängigen, von Medienberichten gespeisten Assoziationsraum hinaus: Jobcenter, Demütigung, Abstieg, Alkohol, Gerichtsvollzieher, freier Fall. Oder so ähnlich.

Dabei ist es zweifellos ein brisanter Ausgangspunkt, dass seit 1989 eine so dominante wie bisweilen undifferenzierte westdeutsche Deutung ostdeutscher Vergangenheiten und Verhältnisse den biografischen Vielschichtigkeiten etlicher Menschen Gewalt angetan hat. Dort, wo Krien jedoch solche westdeutschen Überheblichkeiten zu Wort kommen lässt, sind diese derart krude oder platt, dass auf sie zu reagieren sich eigentlich erübrigt.

Ist es wirklich so schlimm? Und sind die „Wessis“ wirklich so abgrundtief ignorant und feindselig? Und wenn ja (denn bestimmt sind es einige), kann das ein Gradmesser für gelungene Fiktion sein? Der Rezensent hebt ratlos die Schultern.

Dabei wäre es spannend, in solche betrogenen, von den Verhältnissen deformierten Biografien wirklich einzutauchen. Doch dafür hält die Autorin ihre Figuren viel zu sehr auf Distanz. Während die Ich-Erzählerin aus Kriens Debütroman für eine leidenschaftliche, dramatische Innensicht ungezähmter Gefühle stand, fehlt dem Erzählband diese aufwühlende Subjektivität. Die kühle, nüchterne Bestandsaufnahme, der sich die Autorin verschreibt, macht zu selten das Verhängnisvolle und Schicksalshafte in der ostdeutschen Provinz spürbar. Wahrscheinlich werden es diejenigen am besten verstehen, die es schon kennen. Das wäre schade.

Muldental ist übrigens, auch dies werden längst nicht alle Leser wissen, eine real existierende sächsische Region, deren „größere“ Städte Namen wie Wurzen, Colditz oder Bad Lausick tragen. Was im Grunde eine ganz brauchbare Metapher für die Nicht-Bekanntheit ostdeutscher Wirklichkeit abgibt.

In der Gesamtschau auf den Erzählband scheint es fast, als habe Krien, indem sie sich ihrer Literatur vom Standpunkt der Dokumentaristin nähert, ein Stück ihres erzählerischen Eigensinns eingebüßt. Die resultierenden Typologien des Scheiterns und der Ausweglosigkeit sind zwar stilistisch durchaus gekonnt, doch wirken einige Geschichten in ihrer Konstruktion etwas zu offensichtlich, andere wiederum muten anekdotenhaft an wie narrativ aufbereitete Zeitungsberichte.

„Muldental“ hat zweifelsohne auch Momente, die in den Bann ziehen, die beklommen machen und auf das fraglose Talent dieser Autorin hinweisen. Selbst wenn ihre Kurzgeschichten gegenüber der „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“-Geschichte eher wie Fingerübungen oder Präludien dastehen, ist Kriens Prosa stellenweise so stark, dass man doch auf ihr nächstes Buch gespannt bleibt.

Titelbild

Daniela Krien: Muldental.
Graf Verlag, München 2014.
224 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783862200221

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