Wer hat den Schlüssel zu Goethes Gruft?

Literatur in literaturkritik.de. Eine literarische Groteske: "Warte nur, balde ruhest du auch"

Von Heike ReherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Reher

"Wir werden sie einfach sprengen. Das geht schnell, einfach und effektiv. Und es dürfte nicht allzu schwer sein, ich habe hier Leutnant Metzger von der Spezialeinheit gleich mitgebracht, er wird Ihnen erklären, wie die Aktion `Schweigen im Walde` vonstatten gehen soll".

Oberscharführer Hummel fuhr sich in einer zackigen Bewegung mit dem Zeigefinger über sein Bärtchen und setzte sich ebenso zackig wieder auf seinen Stuhl am Kopfende des Tisches. Nach jahrelanger Übung beherrschte er es nahezu vollendet, jede noch so simple Muskelregung in dieser Zackigkeit auszuführen, mit der er hoffte, ihm in seiner Ausstrahlung ein wenig nahe zu kommen. Er trug das schmale Bärtchen so wie er, die dunklen Haare standen ihm zwar ein wenig struppiger ums Gesicht, als sie aus seiner genialischen Stirne wuchsen -, aber das lag daran, daß der Regimentsbader vor einiger Zeit mit allen anderen verfügbaren Kräften an die Front abgezogen worden war und die Haarpflege des Oberscharführers seitdem zum Aufgabenbereich des Adjutanten gehörte. Dieser war im zivilen Beruf Sekretär gewesen und deshalb naturgemäß mit den Feinheiten der Baderkunst nicht vertraut.

Leutnant Metzger, dem der Oberscharführer das Wort erteilt hatte, erhob seinen massigen Körper ächzend vom Stuhl, und dabei wurde es ein wenig dunkler im Raum, denn sein fülliger Leib verdeckte das Fenster hinter ihm fast völlig. Der Leutnant schwitzte. Er zog ein kariertes Tuch aus der Hosentasche und fuhr sich damit über das Gesicht, bevor er anfing zu sprechen. "Ja, also, der Plan ist ganz einfach, wir haben keine Fernzünder mehr, Kabel sowieso nicht, also machen wir das ganze in Handarbeit. Zwei Stangen Dynamit pro Kiste, Deckel auf, rein damit, Deckel zu, dann nix wie weg, nach zehn Sekunden macht´s zweimal Bumm, das gibt ein bißchen Staub, und dann ist Schweigen im Walde, wenn ich das mal so sagen darf..." Metzger schielte ein wenig verlegen nach dem Oberscharführer hin, verunsichert, ob dieser mit der Knappheit seiner Ausführungen zufrieden sei. Bevor dieser jedoch seinen Gefallen an der simplen aber effektiven Strategie des Sprengmeisters zum Ausdruck bringen konnte, sprang eine dürre Gestalt am anderen Ende des Tisches auf. Des ehemaligen Oberlehrers Käfferleins gebrechlicher Körper richtete sich zu voller Größe auf - die allerdings nicht sehr beeindruckend war -, und aus dem schreckensbleichen Gesicht kreischte es mit sich überschlagender Stimme: "Aber meine Herren, bedenken Sie, was Sie da sagen! Goethe! Schiller! Zweimal Bumm! Ist Ihnen denn gar nichts heilig! Es muß doch noch eine andere Möglichkeit geben, dieses deutsche Kulturgut... - mir wird ganz anders bei dem Gedanken..." Käfferleins Knie versagten ihm den Dienst, und er sackte kraftlos auf seinen Stuhl zurück. Gustav, der neben dem Oberlehrer saß - das Faktotum des ehemaligen fürstlichen Schlosses, ein vertrocknetes Männchen, der selbst nicht mehr wußte, wie alt er schon war, und der keinen Nachnamen hatte - Gustav fächelte Käfferlein mit seiner knochigen Hand Luft zu. "Herr Käfferlein", meldete sich da wieder Oberscharführer Hummel zu Wort, "Herr Käfferlein, verleiten Sie mich nicht dazu, nachzudenken, warum man Sie eigentlich noch nicht in eine Uniform gesteckt und an die Front geschickt hat. Sie sitzen hier nur als Berater, als Goethe-Experte, aber ich bin hier derjenige, der die Entscheidungen trifft" - es tat dem Oberscharführer wohl, solch bestätigende Worte zu hören, und um sich noch ein wenig mehr der historischen Wichtigkeit seiner Person zu versichern, holte er noch ein wenig weiter aus - "ich bin hier derjenige, der den Erfolg der Aktion `Schweigen im Walde` dem Führer gegenüber zu verantworten hat. Ich habe meine Anweisungen aus Berlin, und die lauten, die beiden Kisten, äh, die beiden Särge dürfen keinesfalls dem Feind in die Hände fallen! Wenn die beiden noch leben würden, wären sie sicher lieber tot, als dem kulturlosen Russen ausgeliefert zu werden - wenn Sie verstehen, was ich meine..." Oberscharführer Hummel kam für einen Moment ins Stocken, strich sich dann schnell über sein Bärtchen und fuhr mit wieder gefestigter Stimme fort: " `Schweigen im Walde` wird genauso durchgeführt, wie Leutnant Metzger es erläutert hat. Leutnant, Sie finden sich morgen Abend um sieben Uhr mit dem notwendigen Material an der Fürstengruft ein. Wer hat den Schlüssel zur Gruft?" Gustav fächelte weiter mit der linken Hand dem Oberlehrer Luft zu und hob als Zeichen den dürren Zeigefinger der rechten. "Gut, Gustav, dann werden Sie ebenfalls um sieben Uhr an der Gruft antreten. Und Sie, Herr Käfferlein", fuhr Hummel in etwas sanfterem Ton fort, "Sie können meinetwegen ja dabeisein und vorher so eine Art Abschiedszeremonie halten, noch ein letztes Gedichtchen vortragen, gibt es da nicht so etwas mit `Ruhe sanft`..." Der Blick des Oberscharführers schweifte für einen Moment sinnend an die Decke, doch dann riß er sich wieder zusammen und verkündete zackig: "Meine Herren, die Sitzung ist geschlossen. Heil Hitler!"

Nachdem Käfferlein sich von der Sitzung halbwegs erholt hatte - er und Gustav saßen noch ein paar Minuten im Besprechungssaal des Rathauses, nachdem die anderen gegangen waren - nutzte er die letzte Stunde vor der nächtlichen Ausgangssperre für einen Rundgang durch den Ilmpark. Vom Fluß her zog Nebel über die Wiesen herauf, ein Anblick, der der tristen Gemütslage des Oberlehrers schmerzlich genau entsprach. In Gedanken sah er Goethe und Schiller nebeneinander liegen, als ob sie nur schliefen, bis sie von einem gewaltigen zweifachen Bumm geweckt wurden. Käfferlein stand lange unter den weitausladenden Ästen einer Trauerweide und blinzelte aus kleinen Augen zum Gartenhaus hinüber. Das Haus war arg vernachlässigt worden, natürlich nahm in diesen harten Zeiten niemand mehr Rücksicht auf die Erhaltung dieses heiligen Ortes. Im letzten Winter hatte jemand die Türe aufgebrochen und alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Und in den darauffolgenden Wochen, in denen das Haus offen zugänglich war, waren nach und nach sogar noch die Dielenbretter herausgerissen worden - leicht zu habendes Brennholz. Gustav hatte mittlerweile wieder ein großes Vorhängeschloß an der Türe angebracht und benutzte das Haus als Abstellraum für allerlei Geräte.

Der Wind fuhr in die Baumkrone über Käfferleins kleiner Gestalt und ließ die herabhängenden Äste der Weide schwanken. So war wahrscheinlich auch er, der Dichterfürst, schon im Schatten dieses uralten Baumes gestanden und hatte hinübergeblickt auf die einladende Einsamkeit seines Häuschens. Hierher konnte er sich zurückziehen und seiner Dichtkunst frönen, dieser himmlischen Worteschmiederei... Käfferlein seufzte tief. Zweimal Bumm! So sollte es also jetzt zu Ende gehen mit dem Dichterfürsten und seinem Begleiter. Tränen traten dem Oberlehrer in die Augen. Und durch den Tränenschleier hindurch schien es ihm plötzlich, als würde er drüben im Gartenhaus Licht aus einem der Fenster fallen sehen. Käfferlein stutzte. Gustav war der einzige, der den Schlüssel hatte, und den hatte er vorher ja in Richtung des Schlosses weggehen sehen. Wieder Einbrecher? Käfferlein taumelte, noch benommen von seinen trüben Gedanken, ein paar Schritte vorwärts. Da! Da sah er durch die Nebelschwaden eine Gestalt in dem erleuchteten Fenster, eine Gestalt mit einem Bogen Papier in der einen und einem Federkiel in der anderen Hand, die im Zimmer hin und her ging. Käfferlein stöhnte leise auf und taumelte noch einen Schritt vorwärts. Da hielt die Gestalt hinter dem Fenster in ihrem Wandeln inne und blickte geradewegs zu ihm herüber. Käfferlein stand mit angehaltenem Atem und starrte zurück. Und da war es ihm, als er hörte er etwas, als mische sich eine Stimme in das Rauschen der Baumkronen, oder als trüge der Nebel von dem erleuchteten Fenster her die Stimme dieser Erscheinung an sein Ohr. "Warte", hauchte es zu ihm herüber, "warte nur, balde ruhest du auch", und als das letzte Wort wie das Klagen eines fernen Käuzchens verklang, erlosch auch langsam das Licht hinter dem Fenster. "Aah!" Käfferlein stieß einen Schreckensschrei aus und in namenlosem Entsetzen lief er stolpernd, mit fliegendem Haar und schlenkernden Armen quer durch den Park zurück zum Schloß, wo vom Turm der Kapelle gerade die Stunde der Sperrzeit schlug.

Das Schloß hatte lange als Tagungsort für Generäle gedient, die mit Reitstiefelgetrampel durch die Flure dröhnten und im großen Saal auf dem Kartentisch kleine Fähnchen hin und her schoben. Dann, als die Ostfront immer näher rückte, waren die Generäle verschwunden, Richtung Westen, und in den langen Gängen des vorderen Flügels wurden Feldbetten aufgestellt und ein provisorisches Lazarett eingerichtet. Gustav saß währenddessen in seiner Pförtnerloge und beobachtete das wechselhafte Treiben im Schloß. Er hatte schon so viele kommen sehen, irgendwann waren sie alle wieder gegangen, und er war mit dem klirrenden Schlüsselbund durch die Räume geschlurft und hatte nachgesehen, ob alles noch in Ordnung war. Als die letzten Verwundeten abtransportiert worden waren, an einen sicheren Ort, der nicht direkt in der Vormarschlinie des Feindes lag, blieben einige zerbrochene Feldbetten und anderes Gerümpel zurück, und ein Haufen blutiger Bettlaken und Verbandsmull. Gustav schaffte die Feldbetten in den Keller und verbrannte die blutige Wäsche im Park. Dann geschah einige Wochen lang nichts, in der Stadt gingen Gerüchte um, wie lange es noch dauern würde, bis die Russen in die Stadt einmarschieren würden. Nachts sah man im Osten das Wetterleuchten des Krieges, tagsüber zogen Gruppen von Flüchtlingen durch die Stadt. Eines Abends, als Gustav in der Pförtnerloge saß - der kleine Raum ließ sich leichter beheizen als seine Stube im Gesindetrakt des Schlosses, und so war er bei Wintereinbruch schon hierher umgezogen - eines Abends hauchte jemand von außen ein Loch in die Eisblumen vorm Fenster, und gleich darauf hämmerten Fäuste gegen die Tür der Loge. Als Gustav öffnete, stand Oberscharführer Hummel mit einem fünfköpfigen Gefolge vor der Tür und verlangte nach einer Unterkunft im Schloß. Am nächsten Tag wollten die Uniformierten die Fürstengruft sehen, schlichen neugierig um die beiden steinernen Sarkophage und rüttelten probeweise an den schweren Deckelplatten. Und ein paar Tage später fand die Sitzung im Rathaus statt, auf der Oberscharführer Hummel den Zweck seiner geheimen Mission zu erkennen gab. Sie wollten also die Särge sprengen. Gustav konnte nur ratlos den Kopf darüber schütteln. Nach der Sitzung schlurfte er ins Schloß zurück, und stand grübelnd vor dem Eingang zur Gruft. Wenn die Druckwelle zu stark war, würde sie vielleicht das Gebäude beschädigen. Vielleicht konnte man mit ein paar Sandsäcken... "Gustav! Gustav!" Gustav fuhr herum und sah Oberlehrer Käfferlein mit fuchtelnden Armen auf ihn zu stürzen. "Gustav! Sie müssen mir helfen! Ich... ich habe... ich habe Goethe gesehen! Unten am Gartenhaus!" Gustav hob sinnend die Hand an die Stirne. Goethe? War der nicht da unten in der Gruft? Und war der nicht - tot? "Gustav, hören Sie zu." Nur langsam kam Käfferlein nach seinem Lauf wieder zu Atem. "Die Sprengung...wir dürfen das nicht zulassen, verstehen Sie, wir können nicht zulassen, daß sie die beiden einfach sprengen. Ihre heilige Ruhe stören. Mein Gott, ihren Tod stören!" Gustav verstand noch nicht ganz, was der Oberlehrer ihm sagen wollte, aber er nahm ihn am Arm und führte Käfferlein, während der immer weiterredete, zu seiner Pförtnerloge.

"Er hat mich gerufen, verstehen Sie? Er will, daß ich ihm helfe. Er will seine Ruhe, das ist alles. Nicht einmal seinen Tod wollen sie ihm gönnen." Käfferlein wärmte seine rotverfrorenen Finger an einer Tasse heißem Eichelkaffee, die Gustav ihm angeboten hatte. "Gustav, Sie müssen mir helfen". Gustav verstand nicht viel von der Dichtkunst, und die Namen Goethe und Schiller sagten ihm nur soviel, daß sie irgendwas mit dem Schloß zu tun hatten. Aber der Oberlehrer war immer freundlich gewesen, hatte ihm auch einmal mit einem Laib Brot ausgeholfen, wenn die Ernte seines Gemüsegärtchens zu mager ausfiel. Und diese uniformierten Hitzköpfe waren ihm auf Anhieb irgendwie unheimlich gewesen. Also wollte er lieber dem fahrigen Oberlehrer helfen, und... Ja, und was? "Man müßte die beiden Särge wegschaffen und irgendwo verstecken, wo sie sicher sind. Vor dem Sprengkommando und vor dem Feind, wenn er plötzlich vor der Stadt steht." Käfferlein schlürfte an seiner Tasse. "Ein sicheres Versteck, wo sie auch länger bleiben können." Gustav kratzte sich sein faltiges Kinn und überlegte. Er dachte an Berge von alten Feldbetten und anderes Gerümpel, das sich im Keller stapelte. Darunter würden auch zwei Särge nicht auffallen. Aber sie würden Hilfe brauchen, um die beiden von der Gruft in den Keller zu bringen. Er legte Käfferlein in kurzen krächzenden Worten seinen Plan auseinander. Es würde vielleicht noch organisatorische Schwierigkeiten geben, aber gemeinsam könnten sie es schaffen. "Gut", krächzte Gustav. "Also in den Keller. Ich besorge Seile und einen Wagen, und sie müssen mindestens noch zwei Männer besorgen, die uns tragen helfen. Wir sollten morgen vor Sonnenaufgang fertig sein. Seien Sie also früh genug wieder hier." Käfferlein eilte los, und obwohl der Weg durch den Park, am Gartenhaus vorbei, ihn schneller nach Hause geführt hätte, wählte er den längeren Umweg auf der Straße.

Gustav wartete schon mit einem großen, flachen Pferdewagen, Seilen und Pflöcken am Eingang zur Gruft, als er kurz vor dem ersten Dämmerlicht vom Hoftor her eine Gruppe Menschen auf sich zukommen sah. Das dürre Männchen, das vorausging, war Käfferlein. Dahinter ging eine Gestalt in langem Rock und mit Kopftuch, und beim Näherkommen erkannte er darin Leni, die Schwester des Oberlehrers, die Käfferlein noch zu seinen Lehrerszeiten den Haushalt geführt hatte. Leni führte einen jungen Mann am Arm, der eine Binde vor den Augen trug und in seiner anderen Hand einen Stock hin und her tänzeln ließ. Und hinter den beiden strebte ein weiterer junger Mann, mit nur einem Bein, schwungvoll mit seinen Krücken voran. Als der Trupp vor Gustav zum Stehen kam, hob Käfferlein entschuldigend die Schultern. "Es ist Krieg, was soll ich machen. Alle Männer sind fort, und die, die noch hier sind..." Er lächelte verlegen und drehte sich nach den beiden Invaliden um. Der Blinde war Lenis Sohn Josef, der gleich in den ersten Kriegstagen durch einer Splitterbombe das Augenlicht verloren hatte. Und der einbeinige Martin, ein ehemaliger Schüler von Käfferlein und seinem alten Lehrer immer noch freundlich verbunden, war vor einem halben Jahr von der Ostfront zurückgekommen. Gustav schaute ein wenig ratlos in die Runde, zog dann den Schlüsselbund aus der Hosentasche und brummte: "Na, dann los..."

Die Aktion `Balde ruhest du auch` - so nannte Käfferlein die Schlepperei im Nachhinein - ging sehr diszipliniert vor sich, nahm aber fast zwei Stunden in Anspruch. Mit Hilfe der Seile und Pflöcke gelang es ihnen, die Holzsärge aus den steinernen Sarkophagen zu wuchten. Sie führten das Seil unter dem Sarg hindurch, Käfferlein und der blinde Josef zogen an der einen Seite, Gustav und der einbeinige Martin an der anderen. Leni mußte Martin von hinten stützen, denn der mußte zum Ziehen seine Krücken zur Seite legen und drohte umzufallen. Käfferlein keuchte dem blinden Josef neben ihm, so gut es ging, Kommandos zu, und wenn den Oberlehrer sein Atem verließ, guckte Leni hinter Martin hervor und übernahm die einweisenden Worte für den Blinden. Sie schleppten erst Goethes Sarg aus der Gruft und hievten ihn auf den Wagen, dann holten sie Schiller und stellten ihn daneben ab. Die ersten Morgennebel waberten über den Hof, als der kleine Trupp sich mit dem Wagen hinüber zum Kellereingang quälte. Gustav und der blinde Josef hatten sich mit Seilen vor den Wagen gespannt - und mit einem weiteren Seil um die Hüften aneinander gebunden, damit Josef nicht vom Kurs abkam -, Käfferlein und Leni schoben von hinten, und Martin ging an der Seite, mit einem Arm auf den Wagen gestützt, im anderen eine Krücke. Gustav hatte im Keller schon Platz geschafft, wo sie die Särge abstellen konnten, und außerdem einen Stapel Bretter vorbereitet, die sie stattdessen in die Steinsarkophage legen wollten. Die Morgennebel begannen gerade sich rötlich zu färben, als die Gruppe ein zweites Mal den Hof überquerte, nun in die andere Richtung und den Wagen voller Brettergerümpel geladen. Als die verschwitzten Gestalten wenig später erschöpft aus der Gruft taumelten, torkelten und sich tasteten, hatten im Park die Vögel schon angefangen zu singen. "Los, Ihr müßt verschwinden", keuchte Gustav seinen nach Atem ringenden Gefährten zu. "Wenn uns jetzt noch jemand sieht, war die ganze Plackerei umsonst". Käfferlein holte tief Luft und stützte die Hand in den schmerzenden Rücken, Leni hob den Saum ihres verstaubten Rockes ein wenig vom Boden an und faßte mit der anderen Hand den blinden Josef am Arm, Martin klemmte sich seine Krücken unter die Achseln, und dann schleppten sie sich gemeinsam davon, während Gustav auf seine Pförtnerloge zu schlurfte.

"Nun gut, wir werden nicht länger warten. Da Herr Käfferlein meinen Vorschlag zu einer kleinen Abschiedszeremonie offensichtlich nicht aufgreifen will, werden wir die Aktion eben ohne ihn beginnen." Oberscharführer Hummel fuhr zackig auf dem Absatz herum, um sich zu vergewissern, daß ansonsten alle notwendigen Personen anwesend waren. Gustav stand mit seinem klirrenden Schlüsselbund neben dem Eingang zur Gruft, das fünfköpfige uniformierte Gefolge des Oberscharführers stand aufgereiht nebeneinander, vor sich eine Holzkiste mit der Aufschrift "Vorsicht. Sprengstoff", der Sprengmeister Leutnant Metzger hielt sich daneben etwas wacklig auf den Beinen und knetete sich fortwährend die Finger, wenn er nicht gerade sein kariertes Tuch aus der Tasche zog, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen. Ein wenig im Hintergrund lagen aufeinander gestapelt einige Sandsäcke und bildeten einen kleinen Schutzwall. "Gustav", brüllte Hummel, "öffnen Sie die Türe!" Gustav trat vor und ließ seinen Schlüsselbund klirren. "Leutnant Metzger", schrie Hummel, "legen Sie los! Alle anderen gehen in Deckung." Während sich der Oberscharführer, Gustav und der Rest des Gefolges hinter die Sandsäcke zurückzogen, nahm Leutnant Metzger mit zitternden Händen vier Dynamitstangen aus der Holzkiste und betrat mit zwei Gehilfen die Gruft. Sie schoben die Steindeckel auf den Sarkophagen nur einen Spalt breit zur Seite - "Halt, halt, das genügt", stammelte Metzger, als seine Gehilfen den Deckel noch weiter aufzerren wollten. Beim Gedanken an einen hundertjährigen Leichnam war dem Leutnant nicht so ganz wohl in der Magengrube. Als seine beiden Gehilfen ihm erstaunt ins blasse Gesicht starrten, fügte er noch ein wenig fester hinzu: "Die Druckwelle, äh... kann besser wirken, wenn...wenn die Deckel möglichst wenig geöffnet sind...genau." Die beiden Gehilfen schauten sich ratlos an, zuckten mit den Achseln und ließen die Deckel, wie sie waren.

Oberscharführer Hummel lugte hinter einem Sandsack hervor, als er Schritte aus dem Eingang zur Gruft poltern hörte. Zuerst quoll die dicke Gestalt des Sprengmeisters Metzger aus der Türe und taumelte auf die Sandsackdeckung zu, und hinter ihm wuselten die beiden Gehilfen her.

Unter der großen Trauerweide im Park, in der Nähe des Gartenhäuschens, standen ein Mann, der sich seinen schmerzenden Rücken hielt, eine Frau in einem langen Rock, ein Blinder und ein Einbeiniger beisammen und schauten sich an, als sie vom Schloß den Widerhall eines gewaltigen zweifachen Bumm herüberwehen hörten.