Die erträgliche Gleichgültigkeit des Seins

Gonçalo M. Tavares hinterfragt in seinem Roman „Joseph Walsers Maschine“ die menschliche Existenz

Von Christopher HeilRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christopher Heil

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist schon erstaunlich: Der 1970 geborene Gonçalo M. Tavares hat seit seinem Debüt 2001 ein umfangreiches und preisgekröntes Werk vorgelegt, und auf dem deutschen Markt ist gerade erst die zweite Übersetzung eines seiner Werke erschienen. Skandalös, möchte man meinen – aber auf der anderen Seite auch Grund zur Freude, denn was steht uns da noch alles bevor.

Einfach ist die Lektüre von Tavares’ Roman „Joseph Walsers Maschine“ sicherlich nicht, handelt das Buch doch von den Grundfragen der menschlichen Existenz in der Welt. Wo die Welt des Romans liegt und in welcher Zeit die Handlung spielt, ist bei dieser zeitlosen Thematik ganz gleich. Es kann überall geschehen und jeden gehen diese Fragen an.

Der Handlungsrahmen erscheint zunächst überschaubar. Ganz minimalistisch könnte man ihn so umschreiben: Joseph Walser arbeitet in einer Fabrik, verliert bei einem Arbeitsunfall den rechten Zeigefinger, seine Frau betrügt ihn mit dem Vorarbeiter Klober Müller, ein Krieg bricht aus und endet auch wieder. Ist das alles? Natürlich nicht. Hinter dieser minimalistischen Fassade stecken gar ungeheuerliche Gedankengänge und Verhaltensweisen, welche die Figuren zum Besten geben. Joseph Walser ist eine davon.

Er „war ein seltsamer Mensch, der wenig sprach“, seine Kleidung ist aus der Zeit gefallen, er hört eher zu, „doch seine Art zuzuhören irritierte seine Gesprächspartner“. Immer wieder wird er gefragt, ob er denn überhaupt den Ausführungen folge. Seine Aufmerksamkeit gilt vielmehr „seiner“ Maschine, an der er täglich arbeitet – und seiner Sammelobsession: Kleine Metallteile – Einzelteile und kleiner als 10 Zentimeter groß müssen sie sein – sammelt er und katalogisiert sie in einem Zimmer, zu dem niemand außer ihm Zutritt hat. Erregt und affektiv tut er dies – ganz im Gegensatz zu seinem Umgang mit Menschen, der für ihn mehr ein notwendiges Übel darstellt.

Ein wenig eigen ist er schon, der Joseph, was ihn natürlich nicht minder interessant macht. Monotonie bestimmt sein Leben: Außer der Arbeit und dem Sammeln gibt es noch den samstäglichen Würfelabend mit Kollegen um ein wenig Geld. Das war es dann aber auch. Keine große Freude und kein großer Verdruss herrschen in seinem Leben. Alles neutralisiert sich. Neutral und objektiv erscheinen sein Wesen und auch die Sprache der Erzählinstanz. Und das passt so auch sehr gut zusammen.

Die Dinge werden in diesem Roman auf den Kopf gestellt, um der Frage nach Ursache und Wirkung auf den Grund zu gehen. Die Maschinen werden mit menschlichen, organischen Eigenheiten umschrieben und der Mensch ist in seinem Wesen einer Maschine als Summe von Einzelteilen nicht unähnlich: „Als wären sie Materialien, die denken“, ja, so sieht Joseph Walser die Menschen. Auch deren Reaktionen, wie beispielsweise auf den Krieg und die Toten, sind für ihn mechanische Formeln, die gelernt wurden und wiedergegeben werden, ohne den Sinn gänzlich zu erfassen – nichts weiter als abgestumpfte Phrasen. Man gewöhnt sich an alles. Traurig, nicht wahr?

Joseph Walser steht über den Dingen, indem er in einer Blase der Gleichgültigkeit schwebt. Es ist schon erschreckend, dass ihn fast gar nichts angeht. Warum sollte es das auch? Sein Einfluss auf Ereignisse scheint ohnehin gegen Null zu gehen. Etwas geschieht und endet wieder, etwas Neues kommt und geht. Das ist der Lauf der Dinge. Nicht nur beim Würfeln erscheint alles als eine Ansammlung von äußeren Umständen und Zufällen. So kommt auch der fatalistische Aspekt des menschlichen Seins in „Joseph Walsers Maschine“ vermehrt zum Tragen.

Der Roman strotzt nur so vor existenziellen Provokationen und Ansichten, was ihn gleichermaßen außergewöhnlich wie bemerkenswert macht. Klober tut sich bei diesen Angelegenheiten durch seine Monologe besonders hervor: Das Markenzeichen des Menschen sei sein Hass und eigentlich sei die menschliche Existenz auch so überflüssig wie ein Kropf – oder etwa nicht?

Was ist nun besser: bedeutend zu sein oder unwichtig? Was bedeutet das Leben im Kollektiv gegenüber der Individualität? „Wenn es heißt: Du musst die geschichtlichen Fakten deines Landes kennenlernen, heißt das in Wirklichkeit: Du musst vergessen, dass du ein individuelles Gedächtnis hast und dass es alleine funktioniert.“ Sollte es tatsächlich, wie Klober weiterhin verlauten lässt, zu dem allerletzten großen Krieg kommen, in dem jeder gegen jeden kämpft und die absolute Auslöschung des Menschen erfolgt? Wem das jetzt nach pubertärem Weltfrust klingt, der irrt gewaltig, denn Tavares hintergründige Sätze treffen ins Mark, und der Roman endet mit einem erstaunlichen Finale.

Es ist definitiv harte Kost, die Tavares liefert. Ein schwer verdaulicher Roman, aber nur dann setzt man sich mit dem Thema eines Buches auch gründlich auseinander, wenn es den Leser dermaßen verstört wie dieses.

Titelbild

Goncalo M. Tavares: Joseph Walsers Maschine. Roman.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014.
176 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421046277

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