Wer Arier war, bestimmte Göring nicht

Volker Koop widmet sich in seinem Buch über „Ehrenarier“ der ganzen Palette von Ausnahmeregelungen in Rassenfragen im „Dritten Reich“

Von Julian KöckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Köck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Volker Koop kann als einer der produktivsten Verfasser populärwissenschaftlicher Bücher zur Zeitgeschichte gelten. Eine ganze Reihe seiner Bücher handelt über bisher kaum erforschte Aspekte des „Dritten Reichs“, darunter etwa Themen wie „Hitlers Muslime“, „Dem Führer ein Kind schenken“ und „Himmlers letztes Aufgebot“ (alle im Böhlau Verlag erschienen). Das besprochene Buch reiht sich in diese Reihe ein und bietet teils sehr gute archivalische Recherchen, offenbart aber auch Schwächen.

Anders als der Titel erwarten lässt, beschäftigt sich Koop keineswegs nur mit „Ehrenariern“, sondern thematisiert die ganze Breite der verschiedenen Ausnahmeregelungen, die für Menschen, die laut den Nationalsozialisten keine „Arier“ gewesen waren, getroffen werden konnten. Bei den „Ehrenariern“ handelte es sich um spezielle Fälle davon. Der rein umgangssprachliche Ausdruck fand Verwendung bei „Mischlingen“ im Sinne der Nürnberger Rassegesetze, die mit „Ariern“ „gleichgestellt“ wurden.

Koop verwendet den Begriff indes für alle Fälle, in denen einzelne Juden oder „Mischlinge“ bis zu einem gewissen Grad von Verfolgungen ausgenommen wurden. Die verschiedenen Ausnahmeregelungen beschreibt Koop ausführlich und quellengesättigt. So konnte Hitler beispielsweise verfügen, dass „Volljuden“ zu „Mischlingen“ oder „Mischlinge 1. Grades“ zu „Mischlingen 2. Grades“ erklärt wurden. Auch konnten einzelne Juden von der Verpflichtung, einen „Judenstern“ tragen zu müssen, befreit werden. Am deutlichsten zeigt sich die Willkür des Regimes beim Umgang mit dem Luftwaffen-General und Präsidenten der Lufthansa Erhard Milch und Hitlers ehemaligem Chauffeur Emil Maurice, der zum SS-Obergruppenführer avancieren sollte: Beide waren im Sinne der Rassegesetze Mischlinge, doch wurde dies auf Wunsch Hitlers ignoriert und beide wurden als „Arier“ behandelt. Dann gab es Fälle, in denen „Mischlinge“ weiterhin in der Armee dienen durften und sogar befördert werden konnten – Hitler entschied hierbei wohl oft auf Grundlage von Fotographien –, oder Fälle, bei denen „Mischlinge“ wie der Ministerialdirektor Bergbohm zwar aus der Partei ausgeschlossen wurden, ihre Ämter aber weiterführen durften. Umgekehrt gab es aber auch „Gleichgestellte“, die dann dennoch aus ihren Ämtern entfernt wurden; und mit dem Chemiker Robert Feix gab es gar einen „Halbjuden“, der noch im KZ weiter an seinen Forschungen arbeiten durfte.

Völlig zu Recht betont Koop, dass es sich bei diesen ganzen Regelungen um Ausnahmen handelte. Die Bedeutung, die dem zukommt, wird allein dadurch deutlich, dass sich Adolf Hitler die Entscheidungskompetenz in solchen Fragen vorbehielt. Hermann Görings selbstherrliche Behauptung, die dem Buch den Titel gibt („Wer Jude ist, bestimme ich“), war mithin völlig unzutreffend. Lediglich Joseph Goebbels gelang es, weitgehend selbst darüber zu entscheiden, ob „Mischlinge“ oder „Jüdisch Versippte“ Mitglieder der Reichskulturkammer werden bzw. bleiben durften.

Was die Darstellung dieser Sondergenehmigungen anbelangt, kann das Buch uneingeschränkt empfohlen werden. Leider entsprechen die darüber hinausgehenden Kapitel (etwa über die „Arier“ als auserwähltes Volk) oftmals nicht dem Forschungsstand. In einer Neuauflage wäre zu überlegen, ob man einige der Kapitel streicht, da sie für den Kerninhalt des Buchs in der aktuellen Form keine sonderliche Rolle spielen, oder aber deutlich überarbeitet. Dadurch könnte die Publikation noch zusätzlich an Wert gewinnen. Ein letzter Kritikpunkt betrifft das Inhaltsverzeichnis, das teilweise kaum benutzbar ist, da es nicht zwischen übergeordneten und untergeordneten Kapiteln differenziert, wodurch sich zum Beispiel nicht erkennen lässt, dass ein Kapitel nach einem eingeschobenen „Exkurs“ noch weitergeht.

Titelbild

Volker Koop: "Wer Jude ist, bestimme ich". "Ehrenarier" im Nationalsozialismus.
Böhlau Verlag, Köln 2014.
354 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412222161

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