Cheating with Cheetah?

Karin Harrassers kritisches Essay „Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manche Menschen genießen wegen einer bestimmten herausragenden Eigenschaft, einer Leistung sportlicher – seltener künstlerischer Art – oder eines hohen Postens in Politik und Wirtschaft besondere Bekanntheit oder gar Popularität. Manche von ihnen geraten dann aus vollkommen anderen, nicht selten unliebsamen Gründen in die Schlagzeilen und womöglich sogar ins Gefängnis. Zu denken wäre hier etwa an Dominique Strauss-Kahn, Uli Hoeneß oder Oscar Pistorius. Letzterer wurde als Sportler bewundert, der nicht nur zahlreiche paralympische Goldmedaillen gewann, sondern als erster Unterschenkelamputierter an Olympischen Spielen teilnehmen durfte. Wenige Jahre später erschoss der Südafrikaner seine Freundin durch die geschlossene Badezimmertür, wofür er derzeit vor Gericht steht. Bekanntlich wurde er jedoch auch schon als Olympionike nicht nur gefeiert, sondern als Sportler kritisiert, der sich mit unzulässigen – wenn nicht unlauteren – technischen Mitteln gegenüber Läufern einen Vorteil verschafft habe, die mit ihren natürlichen Beinen an dem Wettkampf teilnahmen. Waren die Prothesen, die den Behinderten Pistorius auf die Tartanbahn eines olympischen Wettkampfes führten, doch nicht nach der Morphologie menschlicher Beine konstruiert worden, sondern nach derjenigen von Gepardenbeinen, weshalb diese Art von Kunstgliedern auch den Namen Cheetah-Legs bekam.

Solches auf Anthropotechniken beruhende body enhancement durchleuchtet Karin Harrasser in einem instruktiven Buch mit dem Titel „Körper 2.0“. Dabei ist sich die Autorin der „besonders großen Ambivalenz“, die „das Problemfeld der technischen Verbesserbarkeit des Menschen“ prägt, sehr wohl bewusst. Vermutlich wendet sie sich aber gerade darum umso überzeugender gegen die „Inszenierung des Behinderten als ‚Neuem Menschen‘“, wie sie nicht nur von Pistorius, sondern etwa auch von dem ebenfalls Unterschenkel-Amputierten Hugh Herr, einem Teleskop-Prothesen tragenden Biomechatroniker und Steilwandkletterer, oder der wie Pistorius auf Cheetah-Legs laufenden Aimee Mullins, einer als Model tätigen Leichtathletin, betrieben wird.

Mögen Menschen, die auf ihren eigenen Beinen laufen, die Amputation eines Körpergliedes auch als „körperliches Defizit“ wahrnehmen, so sehen sich „Anderskörperliche“ wie die Genannten dadurch ganz im Gegenteil als „privilegierte Subjekte einer Teleologie der technischen Erweiterung, die als Evolution mit anderen Mitteln gedacht ist“, wie Harradser berichtet. Denn gerade die Absenz der Gliedmaßen „qualifiziert sie als besonders geeignet für technische Verbesserungen“. Sie verleihe ihnen eine adability gegenüber technischen Verbesserungen, die Menschen mit beiden Armen und Beinen fehlt. „Körperliche Widrigkeiten“ gelten ihnen nicht als „Grenzen“, sondern als „Herausforderungen, die den Kampfgeist anstacheln“, referiert die Autorin. Mehr noch, die menschliche Natur an sich ist eine solche „Widrigkeit“ und somit „dazu da, überwunden zu werden“. Das probate Mittel hierzu bieten – immer in der von Harrasser referierten Ideologie des body enhancement – Technologien, in denen „das spezifisch menschliche, evolutionäre Mittel der Anpassung“ gesehen wird. PropagandistInnen des body enhancement verstehen und inszenieren sich daher nicht etwa als disabeled, sondern im Gegenteil als superabled. Ganz in diesem Sinne wurde die Paralympics von 2012 mit der groß angelegten Kampagne: „Meet the Superhumans“ beworben.

Harrasser tritt nun an, um „alle Voraussetzungen, die die superabled-Variante von Behinderung strategisch ausblendet, in die Arena des Handelns und Imaginierens zurückzuholen“. Dass sich „nicht jede Behinderung an der Körperperipherie so elegant bekleiden lässt, wie ein fehlendes Bein“ und sich mit Cheetah-Legs „ausgezeichnet sprinten“, aber weit weniger gut stehen lässt, zählt eher zu den Marginalia. Wichtiger ist, dass die von Mullins und den ihren „propagierte Form der Anerkennung des Andersartigen“ nur im Rahmen eines „Wettbewerbs“ erreicht werden kann, der einerseits auf einer überaus kostspieligen Technologie fußt, die keineswegs für alle erschwinglich ist, und andererseits „persönliche Eigenschaften“ erfordert, „die im kognitiven oder affektiven Kapitalismus als wertschöpfend erachtet werden“. Nicht weniger wichtig aber ist, dass die anthropotechnologischen Artefakte des body enhancement wie Cheetah-Legs und Teleskopbeine „Resultat einer instrumentellen Vernunft“ sind. Vor allem aber blendet die Ideologie der ‚Superhumans‘ die „Herkunft“ ihrer körperlichen Optimierungen, „aus der Welt der Fabriken und der Informationstechnologien“ aus, die eben „nicht neutral“ ist. Vielmehr ist die Prothetik (spätestens seit dem Ersten Weltkrieg) mit „Kapital und Militär“ und in jüngerer Zeit zudem aufs engste mit „Lifestyle und Bedürfnisökonomie“ verschlungen.

Dabei können die Technologien des body enhancement allerdings keineswegs auf Individuen als „stabile Einheit“ Bezug nehmen. Denn wie Harrasser schlagend argumentiert, „entsteht das selbstreflexive Individuum, das Selbst, ja erst als eine historisch spezifische Prägeform im Knotenpunkt von Körpertechniken und Praktiken der Selbst- und Fremdbeobachtung.“

Harrasser interpretiert die Interdependenzen von „Selbstregulierungslogiken, Technologien und Körpern“ also nicht losgelöst von gesellschaftlichen Zusammenhängen als „unausweichliche Konsequenz einer allgemeinen Steigerungs-, Fremdbestimmungs-, und Objektivierungstendenz ‚im Menschen‘“, sondern zeigt vielmehr nachdrücklich, dass es sich bei dieser Verstrickung um „eine historisch, epistemologisch und politisch höchst voraussetzungsvolle spezifische Konstellation“ handelt, in deren Rahmen das body enhancement einer „Logik“ folgt, in der ausnahmslos alle als „potentiell behindert“ gelten und somit „beauftragt“ sind, „sich selbst zu verbessern“. Denn „wer Supermenschen als Norm setzt, affirmiert nicht nur impliziert die Mängelwesenthese, sondern auch die Ideologie der permanenten Selbstoptimierung, die Ausdehnung der Wertschöpfungskette auf die ganze Persönlichkeit.“

So erweist sich body enhancement als „Ausdruck einer verinnerlichten Kultur der Selbstverbesserung, die uns alle betrifft“ und sich nicht von einer „neokapitalistischen Logik der Selbstoptimierung trennen“ lässt. Diese Ideologie der Selbstoptimierung realisiert sich nicht nur im body enhancement, sondern „reicht“ in ihren moderateren Varianten, „von Yoga über Coaching-Angebote bis hin zur Konjunktur von MotivationsrednerInnen“.

Harrasser beschließt ihren beeindruckenden Essay mit vier „vorläufigen Thesen“, die sich zumindest teilweise auch als (Auf-)Forderungen verstehen lassen. So klagt ihre erste These „eine Epiphänomenologie teilsouveränen Handelns“ ein, „die uns erlaubt, die Abhängigkeiten und Anhänglichkeiten zwischen technischen und organischen Akteuren besser zu beobachten, zu analysieren, zu gestalten.“ Ausgehend von der plausiblen Annahme, „dass jede Handlung, jedes Denken, jede Wahrnehmung teilsouverän ist“, verwirft sie in der zweiten These, „nostalgischen oder apokalyptischen Erzählungen vom Autonomieverlust“ als unglaubwürdig. Die dritte These besagt, dass sich „nur mit Blick auf das je unterschiedliche Milieu der Herstellung und körperlichen Praxis beurteilen“ lässt, „ob eine technische Modifikation ethisch vertretbar und sinnvoll ist“. Die vierte und letzte These stellt die Aufgabe, „auszuarbeiten und auszutesten, inwieweit und an welchen Stellen der Humanismus des Abendlandes zu einem Parahumanismus erweitert werden kann“ – und sollte, ließe sich anfügen. Harrassers Essay bietet hierzu wegweisende (Denk-)Anstöße.

Titelbild

Karin Harrasser: Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013.
144 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783837623512

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