Häftling, Zeitzeuge, Historiker, Staatsbürger

Der Prager Historiker Toman Brod skizziert in seiner Biografie einen mitteleuropäischen Lebensweg im 20. Jahrhundert

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im August 1975 in San Francisco der XIV. Internationale Kongress für Geschichtswissenschaft abgehalten wurde, sorgte ein herausgeschmuggeltes Dokument aus der Tschechoslowakei für Aufregung. In einer Acta Persecutionis waren namentlich nahezu 150 tschechoslowakische Historiker aufgelistet, welche in ihrer Heimat Berufsverbot erhalten hatten. Mancher von ihnen, wie Toman Brod, hatte das KZ überlebt und eine überwiegende Anzahl vertrat ein sozialistisches Weltbild. Damals wie auch heute drängte sich die Frage auf, wie es zu diesen Verboten hatte kommen können?

Im vorliegenden Erinnerungswerk holt der Prager Historiker Toman Brod mit seiner Antwort weit aus. Er beginnt mit Erinnerungen an seine behütete Kindheit in Prag. Zusammen mit seinem älteren Bruder Hanuš verbrachte er sorglose Jahre in einem bürgerlichen Elternhaus. Die Familie sprach Tschechisch, war nicht weiter religiös, aber Feste wie Weihnachten wurden gefeiert. Dass Brod aus einer jüdischen Familie stammt, wurde ihm erst ab März 1939 in der Zeit des Protektorats bewusst, als sich Sondervorschriften für Juden Schritt für Schritt verschärften.

Die schikanöse Regelungswut umfasste ebenso den Zugang zu öffentlichen Parks oder Spielplätzen für Kinder, wie den Aufenthaltsbereich in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ab September 1941 wurde das Tragen des „Gelben Sterns“ obligatorisch. Es folgten erste Abtransporte in errichtete Ghettos.

Eindrucksvoll schildert Brod den Mechanismus einer verzweifelten Hoffnung, an die sich die Menschen klammerten. Dies traf auch auf ihn selbst zu, als er mit Bruder und Mutter in das Ghetto Theresienstadt/Terezín deportiert wurde. Brod wurde Augenzeuge von monströsen Vorgängen. Im Dezember 1943 kam Brod in einen Transport nach Auschwitz-Birkenau. Er hat genug gesehen und erlebt, um den Unterschied zwischen dem von den Nazis als „Vorzeigelager“ geführten Ghetto Theresienstadt und einem Vernichtungslager zu verstehen. Die Verlegung in das KZ Märzbachtal in Niederschlesien im Oktober 1944 hatte den jungen Toman Brod am nachhaltigsten zugesetzt, „es reichten bloße drei Monate in Märzbachtal, um mich in ein Wrack zu verwandeln“.

Körperlich und seelisch schwer angeschlagen erlebte Brod seine Befreiung. Bald nach seiner Heimkehr nach Prag wendete er sich den Kommunisten zu, von denen er sich versprach, dass sie eine Wiederholung der schrecklichen Ereignisse am konsequentesten verhindern würden. Diese Erinnerungen zeichnet aus, dass Brod mit großer Offenheit von seinen Hoffnungen aber auch von seiner bald einsetzenden Skepsis berichtet. Bereits in den ersten Jahren der sozialistischen Tschechoslowakei befragte er sich, ob er „ein richtiger Kommunist“ sei. Wenn kritikloser Kadavergehorsam darunter gemeint sein sollte, dann hatte er bereits damals als promovierter Historiker im militärgeschichtlichen Institut innerlich die Gefolgschaft aufgekündigt. Unausweichlich folgten Konflikte mit dogmatischen Parteileuten. Brod hatte die Reformbestrebungen der KPČ unter Alexander Dubček im Jahr 1968 zwar begrüßt, war aber bereits stark desillusioniert. Dass die Reformkommunisten nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 einknickten, hatte ihn nicht mehr verwundert. Was war schon von dem „kommunistischen Morast“ zu erwarten?

Brod teilte das Schicksal mit tausenden von marginalisierten Intellektuellen, die aus ihren Berufen entfernt worden waren und nur mit Mühe ihre Familien ernähren konnten. Folgerichtig gehörte Toman Brod zu den ersten, welche mit ihrer Unterschrift für die Bürgerrechtsbewegung CHARTA 77 einstanden. Es folgten die bleiernen Jahre der „Normalisierung“ mit zum Teil absurden Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Toman Brod nutzte die Zeit, um sich als Zeitzeuge und Historiker eigene Gedanken über gesellschaftliche Tabus wie den Antisemitismus in Böhmen, die Deutschen und auch ihre Vertreibung nach dem Krieg zu machen. Die Länder des „real existierenden Sozialismus“ hatten sich als die legitimen Erben des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur verstanden. Als Historiker rückt Brod die häufig anzufindende Formulierung vom „faschistischen Deutschland“ zurecht, indem er auf die spezifische Form des Nationalsozialismus verweist, die es nur in Deutschland gegeben hatte: „Wäre Deutschland faschistisch gewesen, hätte es keinen Holocaust gegeben“.

An derlei Stellungnahmen lässt sich das gesellschaftspolitische Temperament Toman Brods erkennen, welches ihn im Laufe seines langen Lebens immer wieder tapfer das Wort ergreifen ließ, wenngleich schmerzhafte Sanktionen absehbar waren. In einem kurzen Ausblick zieht Toman Brod noch einmal Bilanz und betrachtet die allerneuesten Entwicklungen in seinem Land. Kritisch und engagiert knöpft er sich Fehlentwicklungen wie auch haarstäubende Missstände vor. Unnachsichtig geißelt er unter anderem die allgemeine Korruption, Verschwendung von öffentlichen Geldern und „ärgert“ sich über „die überbordende Vulgarität der Medien, die allerdings auch die Öffentlichkeit übernommen hat“. Dennoch weiß er die neuen Möglichkeiten eines Lebens in Freiheit entschieden zu würdigen!

Vor dem Hintergrund seiner brutalen Erlebnisse und einer atemberaubenden Lebenserfahrung gerinnen zwei Merksätze Brods zu einer Art zivilgesellschaftlichem Testament: „Von meinem Golgotha unter den Nationalsozialisten sind mir zwei unverrückbare Grundsätze im Sinn geblieben, die ich zu meiner Überzeugung gemacht habe: die Menschen in meiner Umgebung nicht etwa nach Religion, Nationalität oder Hautfarbe einzuteilen, sondern anständige Menschen von Übeltätern zu unterscheiden. Und zu protestieren, wenn Unschuldige von Bosheit und Sanktionen getroffen werden“.

Kein Bild

Toman Brod: Gut, dass man nicht weiss, was kommt. Meine Geschichte.
Übersetzt von Gudrun Heißig und Anna Knechtel.
Herget Verlag, Weßling 2013.
432 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-13: 9783981019254

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch